Neue Rollen für die Bundeswehr
Die Bundeswehr ist ein deutsches Qualitätsprodukt, das sich weltweit größter Beliebtheit erfreut. Wo auch immer man die Truppe zu benötigen braucht: wir sind dabei. Potenziell jedenfalls. Und niemand geht deswegen noch auf die Straße.
Seit die rot-grüne Bundesregierung im Kosovo-Konflikt die Ansicht vertreten hat, die Erinnerung an Auschwitz gebiete geradezu ein militärisches Engagement zu selbstredend rein humanitären Zwecken, nämlich um Schlimmeres zu verhüten, ist der Paradigmenwechsel abgeschlossen, der sich mit der Wende 1989 und vor allem seit dem zweiten Irak-Krieg 1991 anbahnte - umstandslos und rückstandsfrei.
Sind die Deutschen früher im Krisenfall auf unbedingte Friedensliebe ausgewichen, vertrauen sie jetzt scheint’s ebenso blauäugig auf den bewaffneten Arm des Guten.
Und das tut auch nicht gut. Denn sie ist noch immer bitter nötig, die Debatte, welche Bundeswehr es denn sein soll, die für diese neuen Aufgaben infrage kommt. Zwei Optionen aus der Vergangenheit sind noch vertraut: die Nationale Volksarmee der DDR war im Rahmen des Warschauer Pakts durchaus auf militärischen Angriff gegen das feindliche Ausland jenseits der Elbe gedrillt, während die Wehr der Bundesrepublik sich strikt als Instrument der Vaterlandsverteidigung begriff. Beide Selbstbilder haben sich erledigt, doch wo bleibt die neue Rollenbeschreibung?
Nun, man kann davon ausgehen, dass man sich in der Bundeswehr auf die neuen Gegebenheiten längst eingestellt hat. Die Klagen über unzureichende mentale Vorbereitung oder über die schlechte technische Ausrüstung der Truppe sind nicht nur, aber auch Ausdruck einer Politik der Interessenvertretung, schließlich muss die Armee um ihre Ansprüche ebenso kämpfen wie alle anderen Lobbyisten in einer Demokratie. Es gibt keinen direkten Draht vom Militär zur Macht, wie das in Monarchien oder Diktaturen üblich ist.
Zugleich ist die Fürsorgepflicht unendlich viel größer, die man in einer Demokratie insbesondere gegenüber einer Rekrutenarmee hat. In einer Demokratie schickt man seine Söhne und Töchter nun mal nicht auf ein Himmelfahrtskommando, wie es ein Saddam Hussein noch konnte. Die allgemeine Wehrpflicht setzt voraus, dass militärisches Engagement auf Heimatverteidigung im engeren Sinn beschränkt bleibt oder, im weiteren Sinn, auf das, was das nationale Interesse gebietet. Insofern hätte die Präsenz von Wehrpflichtigen in Afghanistan, im Kongo oder an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon den legitim zu nennenden Auftrag längst überschritten.
Gut; deshalb setzen solche Einsätze Freiwilligkeit voraus. Eine Lösung auf die Dauer aber ist das nicht. Denn nicht nur das Ethos einer Wehrpflichtigenarmee, auch das überkommene europäische Handwerk des Krieges insgesamt sind nur noch schwer in Einklang zu bringen mit den Erfordernissen der neuen Kriege, die man asymmetrisch nennt, weil sie die traditionellen Staatenkriege zwischen regulären Armeen abgelöst haben, wie sie im Zweiten Weltkrieg noch einmal kulminierten.
Die Bundeswehr ist mit dem konfrontiert, womit die Russen in Afghanistan und die Amerikaner in Vietnam oder im Irak gescheitert sind und was die Lage Israels nachgerade tragisch macht: Es ist für eine reguläre Armee fast unmöglich, in einem Guerillakrieg zu obsiegen. Irreguläre Kämpfer bedeuten ebensolche Antworten – eine Zerreißprobe für jede reguläre Armee, insbesondere, wenn sie sich auf eine derart zivile, ja friedliche Tradition bezieht wie die Bundeswehr. Eine mitfühlende Öffentlichkeit mag sich gerade noch daran gewöhnen, dass die eigenen Soldaten in Zinksärgen nach Hause geflogen werden, zum Begräbnis mit militärischen Ehren. Aber wird sie es hinnehmen, wenn "unsere Jungs" in den Verdacht geraten, Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet zu haben?
Solche "Kollateralschäden", also unbeabsichtige Nebenwirkungen, sind indes in einem Guerillakrieg kaum zu vermeiden, ist es doch das Prinzip irregulärer Kämpfer, die Grenzen zwischen den Krieg führenden Parteien und der Zivilbevölkerung zu verwischen und sich wie Fische im Wasser unerkannt hinter dem Rücken des Volks zu bewegen. Da sie sich nicht als Ziel zu erkennen geben, ist ein Angriff auf sie immer ein Angriff auf die Bevölkerung. Selbstmordattentäter streben genau das an: möglichst viele zivile Tote. Für eine Armee aber können und dürfen solche Opfer immer nur unbeabsichtigt sein.
Unser Kriegsbild und unsere Armee sind Ergebnis einer langen und durchaus ehrwürdigen Tradition des Stellvertreterkriegs: Krieg führen nur die Uniformierten, die Zivilbevölkerung bleibt unbeteiligt und unbetroffen. Was man aber als Soldat und als Soldatin in einem Guerillakrieg lernen muss, entspricht nicht dem Ethos des europäischen und amerikanischen Kriegshandwerks, das selbst im Zweiten Weltkrieg noch lebendig war, wo man sehr wohl noch zu unterscheiden wusste, was im Krieg erlaubt ist und was zu den zu ahndenden Kriegsverbrechen gehört. Diese Grenzen sind verwischt, Skandale wie Abu Ghraib sind nur ein Wetterleuchten.
Sind wir darauf wirklich schon gefasst?
Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".
Sind die Deutschen früher im Krisenfall auf unbedingte Friedensliebe ausgewichen, vertrauen sie jetzt scheint’s ebenso blauäugig auf den bewaffneten Arm des Guten.
Und das tut auch nicht gut. Denn sie ist noch immer bitter nötig, die Debatte, welche Bundeswehr es denn sein soll, die für diese neuen Aufgaben infrage kommt. Zwei Optionen aus der Vergangenheit sind noch vertraut: die Nationale Volksarmee der DDR war im Rahmen des Warschauer Pakts durchaus auf militärischen Angriff gegen das feindliche Ausland jenseits der Elbe gedrillt, während die Wehr der Bundesrepublik sich strikt als Instrument der Vaterlandsverteidigung begriff. Beide Selbstbilder haben sich erledigt, doch wo bleibt die neue Rollenbeschreibung?
Nun, man kann davon ausgehen, dass man sich in der Bundeswehr auf die neuen Gegebenheiten längst eingestellt hat. Die Klagen über unzureichende mentale Vorbereitung oder über die schlechte technische Ausrüstung der Truppe sind nicht nur, aber auch Ausdruck einer Politik der Interessenvertretung, schließlich muss die Armee um ihre Ansprüche ebenso kämpfen wie alle anderen Lobbyisten in einer Demokratie. Es gibt keinen direkten Draht vom Militär zur Macht, wie das in Monarchien oder Diktaturen üblich ist.
Zugleich ist die Fürsorgepflicht unendlich viel größer, die man in einer Demokratie insbesondere gegenüber einer Rekrutenarmee hat. In einer Demokratie schickt man seine Söhne und Töchter nun mal nicht auf ein Himmelfahrtskommando, wie es ein Saddam Hussein noch konnte. Die allgemeine Wehrpflicht setzt voraus, dass militärisches Engagement auf Heimatverteidigung im engeren Sinn beschränkt bleibt oder, im weiteren Sinn, auf das, was das nationale Interesse gebietet. Insofern hätte die Präsenz von Wehrpflichtigen in Afghanistan, im Kongo oder an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon den legitim zu nennenden Auftrag längst überschritten.
Gut; deshalb setzen solche Einsätze Freiwilligkeit voraus. Eine Lösung auf die Dauer aber ist das nicht. Denn nicht nur das Ethos einer Wehrpflichtigenarmee, auch das überkommene europäische Handwerk des Krieges insgesamt sind nur noch schwer in Einklang zu bringen mit den Erfordernissen der neuen Kriege, die man asymmetrisch nennt, weil sie die traditionellen Staatenkriege zwischen regulären Armeen abgelöst haben, wie sie im Zweiten Weltkrieg noch einmal kulminierten.
Die Bundeswehr ist mit dem konfrontiert, womit die Russen in Afghanistan und die Amerikaner in Vietnam oder im Irak gescheitert sind und was die Lage Israels nachgerade tragisch macht: Es ist für eine reguläre Armee fast unmöglich, in einem Guerillakrieg zu obsiegen. Irreguläre Kämpfer bedeuten ebensolche Antworten – eine Zerreißprobe für jede reguläre Armee, insbesondere, wenn sie sich auf eine derart zivile, ja friedliche Tradition bezieht wie die Bundeswehr. Eine mitfühlende Öffentlichkeit mag sich gerade noch daran gewöhnen, dass die eigenen Soldaten in Zinksärgen nach Hause geflogen werden, zum Begräbnis mit militärischen Ehren. Aber wird sie es hinnehmen, wenn "unsere Jungs" in den Verdacht geraten, Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet zu haben?
Solche "Kollateralschäden", also unbeabsichtige Nebenwirkungen, sind indes in einem Guerillakrieg kaum zu vermeiden, ist es doch das Prinzip irregulärer Kämpfer, die Grenzen zwischen den Krieg führenden Parteien und der Zivilbevölkerung zu verwischen und sich wie Fische im Wasser unerkannt hinter dem Rücken des Volks zu bewegen. Da sie sich nicht als Ziel zu erkennen geben, ist ein Angriff auf sie immer ein Angriff auf die Bevölkerung. Selbstmordattentäter streben genau das an: möglichst viele zivile Tote. Für eine Armee aber können und dürfen solche Opfer immer nur unbeabsichtigt sein.
Unser Kriegsbild und unsere Armee sind Ergebnis einer langen und durchaus ehrwürdigen Tradition des Stellvertreterkriegs: Krieg führen nur die Uniformierten, die Zivilbevölkerung bleibt unbeteiligt und unbetroffen. Was man aber als Soldat und als Soldatin in einem Guerillakrieg lernen muss, entspricht nicht dem Ethos des europäischen und amerikanischen Kriegshandwerks, das selbst im Zweiten Weltkrieg noch lebendig war, wo man sehr wohl noch zu unterscheiden wusste, was im Krieg erlaubt ist und was zu den zu ahndenden Kriegsverbrechen gehört. Diese Grenzen sind verwischt, Skandale wie Abu Ghraib sind nur ein Wetterleuchten.
Sind wir darauf wirklich schon gefasst?
Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".