Neue Räume im neuen Gewand

Von Rainer Zerbst |
Der Galerieverein der Staatsgalerie Stuttgart hat maßgeblich Anteil daran, dass im Erdgeschoß der Alten Staatsgalerie zehn neue Ausstellungsräume entstehen konnten. Rainer Zerbst hat sich die neuen Räume angesehen und ganz besonders eine aufregende Neuerwerbung: einen wichtigen Lithographiezyklus von Max Beckmann, "Die Apokalypse".
Natürlich hätte man die Räume in der Staatsgalerie historisch rekonstruieren können, und geblieben ist ja auch der fulminante Säulensaal, der Apsidenraum, die restlichen Räume aber, in denen früher die Verwaltung untergebracht war und die daher relativ klein waren, hat man klar und nüchtern freigelegt, und so ist für Ina Conzen, Kuratorin für das 20. Jahrhundert an der Staatsgalerie, nicht nur die Größe des neu hinzugewonnenen Ausstellungsraums von immerhin 1500 Quadratmetern der eigentliche Gewinn, sondern die Ästhetik der Räume.

" Es sind lichte, hohe, weiße Räume mit wenigen Wänden, wo man ganz anders Skulpturen und zeitgenössische Kunst zeigen kann als uns dies bisher möglich war."

Hier ist jetzt die Kunst seit 1950 zu sehen, wenn auch nur auf Zeit, später werden diese Räume unter anderem für Wechselausstellungen genutzt werden. Die Hängung erfolgte chronologisch, aber man hat für die einzelnen Etappen der Kunst klare Schlagwörter gefunden.

" Zum Beispiel die Art informel, wo wir Werke der Italiener, der Franzosen, der Deutschen, der Amerikaner zeigen können, die ja quasi die Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg markieren. Da haben wir jetzt einen schönen Raum kreieren können, der anschließt thematisch an den Raum, der den Amerikanern vorzugsweise gewidmet ist. Dann haben wir die Land Art, die Minimal Art in einem sehr schönen großen Raum, der eben auch die Raumbezogenheit dieser Arbeiten ganz anders zur Geltung bringen kann."

Gerade die Räume, in denen Kunst gezeigt wird, deren Formensprache reduziert ist, sind ein Erlebnis für das Auge. Ein Raum allerdings, obwohl nicht einmal der größte, ragt unter allen heraus, er ist jetzt der Apokalypse von Max Beckmann gewidmet. Die Blätter sind relativ klein, die Lithographien sollten ja für eine Buchpublikation genutzt werden, aber was für eine Schlagkraft geht von ihnen aus. Schon das erste Blatt überwältigt. Beckmann nahm sich hierfür das bekannte biblische Motiv der Steintafeln und zitiert nicht den Anfang der Apokalypse sondern den Beginn des Johannesevangeliums: Im Anfang war das Wort. Überhaupt ging Beckmann durchaus frei mit dem Text der Apokalypse um, wie Corinna Höper herausgearbeitet hat, die diesen Neubesitz der Staatsgalerie bearbeitet und in einem vorzüglichen, sehr lesbaren Katalog aufbereitet hat

" Er interpretiert die Offenbarung noch mal zusätzlich, er fügt Sachen hinzu oder lässt Sachen weg, er hat auch nicht jedes Kapitel illustriert, er hatte völlig freie Hand, sich die Stellen herauszusuchen, die er illustrieren wollte, er hat aber doch sehr repräsentativ den Grundtenor der Offenbarung begriffen und auch wiedergegeben in seinen Darstellungen."

Die Entstehung dieses Werks ist ein Kapitel düsterer deutscher Kunstgeschichte, freilich mit einem kleinen Hoffnungsstrahl. Beckmann befand sich in Amsterdam im Exil, er war einen Tag nach Eröffnung der Ausstellung "Entartete Kunst" aus Deutschland geflohen. Der Inhaber der Bauerschen Schriftgießerei in Frankfurt aber wollte unbedingt von ihm eine Apokalypse haben. So schuf Beckmann von 1941 an die 27 Zeichnungen, ließ sie heimlich nach Frankfurt schmuggeln, wo sie auf Stein gedruckt wurden, die Probeabzüge gingen zurück nach Amsterdam, und Beckmann kolorierte einen Teil von ihnen. Dieses "Urexemplar" kehrte dann nach Frankfurt zurück. Und apokalyptische Gedanken waren seinem Werk ja nicht fremd.

"Das hat sicherlich auch seine Wurzeln darin: Er war ja im 1. Weltkrieg im Kriegsdienst, ist schwer verwundet worden, hatte dort auch traumatische Erlebnisse gehabt, gerät dann in diesen zweiten Krieg, muss 1937 als "entarteter" Maler emigrieren, wartet lange auf ein Einreisevisum in die USA, kann erst 1947 dorthin reisen - das ist natürlich klar, dass solche Lebensumstände das Werk eines Malers zutiefst bestimmen."

Schon von daher lag dieses Werk Beckmann auch persönlich sehr nahe. Zudem befand er sich in einer ähnlichen Situation wie der Autor dieser Apokalypse, auch Johannes befand sich im Exil in Griechenland. So ist dieser Zyklus fast so etwas wie eine Darstellung seiner eigenen Situation.

" Er durchlebt die Apokalypse selbst, das heißt auch stellvertretend, für den Betrachter. Er erscheint in mehreren Selbstbildnissen: Am Anfang liegt er als Gefangener am Boden, er durchwandert dann die verschiedenen Öffnungen der Siegel, bis er am Schluss dann in einer Hoffnungsvision auf einem Tisch liegt und ein Engel ihm die Tränen trocknet und dann der Ausblick ist auf das Neue Jerusalem, das dann kommen wird."

Es finden sich immer wieder Motive, die auch in anderen Werken Beckmanns auftauchen: die Kerze, das Schwert, das Meer. Die Apokalypse ist fast so etwas wie eine Bestandsaufnahme.

" Kerzen als Symbole des Lebens, auch das Meer ist für ihn ein Symbol des Lebens, da gibt es auch einen kleinen Knackpunkt am Ende der Offenbarung, weil Johannes sagt, das Meer ist vergangen und die Erde entsteht, bei Beckmann in der Illustration ist es aber Wasser nicht Erde, es ist das Meer, weil es eben sein persönliches Symbol für Frieden ist. Dann gibt es immer wieder Schwerter und viele andere Dinge, die man auch in zahlreichen seiner Bilder wiederfindet. "

Nur 24 Exemplare wurden offiziell gedruckt, ab einer Auflage von 25 hätte es dem Propagandaministerium vorgelegt werden müssen. Es ist also ein Werk ganz aus der Notsituation Beckmanns heraus geboren, und doch ist es ein zeitloses Werk. Beckmann hätte ja auch eine Apokalypse seiner Zeit gestalten können, davon hat er Abstand genommen. Nur gelegentlich tauchen Anspielungen auf die Zeitumstände auf. Als er den falschen Propheten Gesicht verlieh, tat er das in durchaus erkennbarer Anlehnung an das Gesicht Josef Goebbels'. Oder die vier Apokalyptischen Reiter:

" Die Reiter reiten vor dem Fenster vorbei und davor steht im Innenraum ein Tisch mit einer Kerze - Symbol des Lebens. Daneben liegt ein Buch, das ist die Offenbarung, das Buch der Offenbarung, und auf diesem Buch liegt ein Stern und das Buch ist gelb. Im September 1941 wurde der Judenstern eingeführt. Für die, die es gesehen haben, war das natürlich sofort klar."