Neue Perspektive für Nahost?
Es gehört zu den üblichen Gepflogenheiten der Politik im Nahen Osten, dass ganz anders gehandelt als geredet wird. So steht die Welt jetzt wieder einmal baff vor der jüngsten Wendung im endlosen, blutigen Nahost-Drama: Ausgerechnet Israel und Syrien, die im Libanon-Krieg des vergangenen Sommers knapp vor einer direkten militärischen Konfrontation zu stehen schienen und sich gegenseitig lautstark des Erzschurkentums zu bezichtigten pflegen, sollen seit mehr als zwei Jahren Geheimverhandlungen über einen Friedensvertrag geführt haben.
Undurchsichtig bleibt einstweilen, wie ernst diese Gesprächskontakte tatsächlich gemeint und von wie weit oben sie abgesegnet waren. Doch dass Israel und Syrien grundsätzlich zu einem Deal im beiderseitigen Interesse bereit wären, steht außer Frage. Für Israel sind die Syrer sozusagen ein alt vertrauter Feind, dessen Winkelzüge sie genau berechnen zu können glauben. Anders als die fundamentalistischen Mullahs in Teheran und ihr messianischer Frontmann Ahmadinedschad wird das Regime in Damaskus von keinen apokalyptischen Welterlösungsvisionen getrieben. Das Regime in Damaskus verfolgt ausschließlich seine eigenen Macht– und Überlebensinteressen.
Nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins im Irak hatten syrischen Machthaber zeitweilig fürchten müssen, auf der amerikanischen "Regime change"-Liste die Nächsten zu sein. Die Rebellion gegen die syrische Besatzung im Libanon zwang Syrien zum Abzug aus dem Nachbarland, das sie stets als ihr natürliches Einflussgebiet betrachtet hatten. Die Ermittlungen der UN über die syrische Verstrickung in die Morde an syrienkritischen libanesischen Politikern trieb Damaskus zusätzlich in die internationale Isolation.
Um diesem Druck zu widerstehen, hat sich das syrische Regime auf ein Bündnis mit dem Iran eingelassen. Doch dessen hegemoniale Ambitionen, seinen wachsenden Einfluss auf die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas betrachten die Syrer durchaus mit Argwohn – ebenso wie die fortschreitende iranische Unterwanderung des Irak. Gerne würde sich Syrien daher aus seiner Pariah-Rolle befreien und im Westen wieder hoffähig werden. Was es dafür zu bieten hat: die Allianz mit dem Iran zu lockern und seine Unterstützung für die terroristischen Umtriebe von Hisbollah und Hamas sowie von Aufständischen im Irak zurückzufahren. Was das Regime in Damaskus dafür haben will, ist die Garantie, von westlichen Forderungen nach Demokratisierung des eigenen Landes ebenso wie von UN-Sanktionen verschont zu bleiben. Es will außerdem das Recht zugestanden bekommen, im Libanon auch in Zukunft ein gewichtiges Wort mitzureden. Der Westen kann dies nicht ohne weiteres zugestehen, denn er unterstützt die libanesische Regierung, die aus der Revolte gegen Syrien entstanden ist.
Israel dagegen ist von solchen Rücksichtnahmen frei. Es interessiert sich nur für die größtmögliche Sicherung seiner Grenzen und hat als seinen Hauptfeind in der Region den Iran ausgemacht – droht Teheran doch unverhohlen mit der Vernichtung des jüdischen Staates und rüstet dabei atomar auf. Im Sinne dieser Eigensicherung wäre Israel ein von Syrien dominierter, aber stabiler Libanon im Zweifelsfalle lieber als eine instabile libanesische Demokratie.
Die von Israel im Sechs-Tage-Krieg besetzten Golan-Höhen kann Syrien ohnehin nur in direkten Verhandlungen mit dem jüdischen Staat zurückbekommen. So könnten Israel und Syrien im Prinzip also durchaus handelseinig werden. Vorerst aber sind die mysteriösen Geheimverhandlungen unterbrochen.
Dennoch sind sie ein weiteres Indiz dafür, dass im Nahen Osten in jüngster Zeit einiges in Bewegung gerät. Es bilden sich neue, unterschwellige Allianzen – zwischen Kräften, die sich ansonsten auf den Tod Feind sind, aber vor allem eine gemeinsame Bedrohung fürchten: den wachsenden Einfluss des Iran auf die Geschicke der Region. Vor diesem Hintergrund versprechen die USA der eigentlich schon abgetakelten Fatah in Palästina neuerdings massive Hilfe im Kampf gegen ihren Rivalen um die Macht in den palästinensischen Autonomiegebieten, die radikalislamische Hamas. Dabei wird großzügig darüber hinweggesehen, dass die angeblich "gemäßigte" Fatah kaum weniger terroristische Aktivitäten gegen Israel zu verantworten hat als Hamas – und dass sie anlässlich der Hinrichtung Saddam Husseins Trauerfeiern für den gestürzten irakischen Diktator abhielt.
Die USA haben bei ihrer Eindämmungsstrategie gegen Iran die Unterstützung der sunnitischen arabischen Regimes in Saudi-Arabien und Ägypten, die fürchten, dass Teheran die in ihren Ländern unterdrückten Schiiten gegen sie aufwiegeln könnte. Aus diesem Grunde hatten sie den Israelis im Libanon-Krieg gegen die schiitische Hisbollah heimlich die Daumen gedrückt. Und deshalb sind sie in Wirklichkeit heilfroh, dass George W. Bush die US-Truppen im Irak noch einmal aufstockt und damit signalisiert, dem Iran dort nicht das Territorium überlassen zu wollen.
Das alles geht zusammen, weil im politischen Geschäft im Nahen Osten nur auf eines Verlass ist: Dass stets anders gehandelt als geredet wird.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
Nach dem Sturz des Regimes Saddam Husseins im Irak hatten syrischen Machthaber zeitweilig fürchten müssen, auf der amerikanischen "Regime change"-Liste die Nächsten zu sein. Die Rebellion gegen die syrische Besatzung im Libanon zwang Syrien zum Abzug aus dem Nachbarland, das sie stets als ihr natürliches Einflussgebiet betrachtet hatten. Die Ermittlungen der UN über die syrische Verstrickung in die Morde an syrienkritischen libanesischen Politikern trieb Damaskus zusätzlich in die internationale Isolation.
Um diesem Druck zu widerstehen, hat sich das syrische Regime auf ein Bündnis mit dem Iran eingelassen. Doch dessen hegemoniale Ambitionen, seinen wachsenden Einfluss auf die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas betrachten die Syrer durchaus mit Argwohn – ebenso wie die fortschreitende iranische Unterwanderung des Irak. Gerne würde sich Syrien daher aus seiner Pariah-Rolle befreien und im Westen wieder hoffähig werden. Was es dafür zu bieten hat: die Allianz mit dem Iran zu lockern und seine Unterstützung für die terroristischen Umtriebe von Hisbollah und Hamas sowie von Aufständischen im Irak zurückzufahren. Was das Regime in Damaskus dafür haben will, ist die Garantie, von westlichen Forderungen nach Demokratisierung des eigenen Landes ebenso wie von UN-Sanktionen verschont zu bleiben. Es will außerdem das Recht zugestanden bekommen, im Libanon auch in Zukunft ein gewichtiges Wort mitzureden. Der Westen kann dies nicht ohne weiteres zugestehen, denn er unterstützt die libanesische Regierung, die aus der Revolte gegen Syrien entstanden ist.
Israel dagegen ist von solchen Rücksichtnahmen frei. Es interessiert sich nur für die größtmögliche Sicherung seiner Grenzen und hat als seinen Hauptfeind in der Region den Iran ausgemacht – droht Teheran doch unverhohlen mit der Vernichtung des jüdischen Staates und rüstet dabei atomar auf. Im Sinne dieser Eigensicherung wäre Israel ein von Syrien dominierter, aber stabiler Libanon im Zweifelsfalle lieber als eine instabile libanesische Demokratie.
Die von Israel im Sechs-Tage-Krieg besetzten Golan-Höhen kann Syrien ohnehin nur in direkten Verhandlungen mit dem jüdischen Staat zurückbekommen. So könnten Israel und Syrien im Prinzip also durchaus handelseinig werden. Vorerst aber sind die mysteriösen Geheimverhandlungen unterbrochen.
Dennoch sind sie ein weiteres Indiz dafür, dass im Nahen Osten in jüngster Zeit einiges in Bewegung gerät. Es bilden sich neue, unterschwellige Allianzen – zwischen Kräften, die sich ansonsten auf den Tod Feind sind, aber vor allem eine gemeinsame Bedrohung fürchten: den wachsenden Einfluss des Iran auf die Geschicke der Region. Vor diesem Hintergrund versprechen die USA der eigentlich schon abgetakelten Fatah in Palästina neuerdings massive Hilfe im Kampf gegen ihren Rivalen um die Macht in den palästinensischen Autonomiegebieten, die radikalislamische Hamas. Dabei wird großzügig darüber hinweggesehen, dass die angeblich "gemäßigte" Fatah kaum weniger terroristische Aktivitäten gegen Israel zu verantworten hat als Hamas – und dass sie anlässlich der Hinrichtung Saddam Husseins Trauerfeiern für den gestürzten irakischen Diktator abhielt.
Die USA haben bei ihrer Eindämmungsstrategie gegen Iran die Unterstützung der sunnitischen arabischen Regimes in Saudi-Arabien und Ägypten, die fürchten, dass Teheran die in ihren Ländern unterdrückten Schiiten gegen sie aufwiegeln könnte. Aus diesem Grunde hatten sie den Israelis im Libanon-Krieg gegen die schiitische Hisbollah heimlich die Daumen gedrückt. Und deshalb sind sie in Wirklichkeit heilfroh, dass George W. Bush die US-Truppen im Irak noch einmal aufstockt und damit signalisiert, dem Iran dort nicht das Territorium überlassen zu wollen.
Das alles geht zusammen, weil im politischen Geschäft im Nahen Osten nur auf eines Verlass ist: Dass stets anders gehandelt als geredet wird.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "Die Zeit" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".