Neue Osnabrücker Zeitung

Von betulicher Regionalzeitung zum digitalen Medienhaus

Defekter Zeitungsautomat mit der Neuen Osnabrücker Zeitung
Defekter Zeitungsautomat mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ist wohl nicht so schlimm. Die Zukunft soll online stattfinden. © picture alliance / dpa / Foto: Friso Gentsch
Von Peter Marx · 17.11.2015
Seit 1998 ist die Auflage der Neuen Osnabrücker Zeitung um 18 Prozent gesunken. Auf die Zeitungskrise und den Auflagenschwund reagierte das Blatt mit einer Digitalstrategie. Heute ist die NOZ in der Region Marktführer und konnte neue Arbeitsplätze schaffen.
Chefredakteur Ralf Geisenhanslücke zieht das Fenster zu: Mittagszeit, der Lärm der vorbeirasenden Autos wächst an. Hinter der Glas/Aluminium-Fassade des Verlags im Straßendreieck - Breiter Gang, Erich Maria Remarque und Karlstraße - zieht Geisenhanslücke die Fäden. Sein Ziel, das er mit den Kollegen formulierte, klingt noch heute leicht überheblich:
"Also wir haben uns 2010 damit beschäftigt, dass Zeitungsauflagen rückläufig sind, dass das Geschäft vom klassischen Zeitungsbetrieb rückgängig ist, und haben uns dafür entschieden bzw. die Gesellschafter haben sich dazu entschieden: Und haben dann 2010 gesagt: 0kay, wir entwickeln eine Strategie 2016 mit dem Ziel bzw. der Vision, 2016 das erfolgreichste regionale Medienhaus zu sein."
Die Neue Osnabrücker Zeitung entstand 1967 durch die Fusion der beiden Osnabrücker Zeitungen Tageblatt und Tagespost. Die Zeitung ist heute Marktführer rund um Osnabrück und liefert den Mantel für sieben Regionalzeitungen. Gesamtauflage unter 160.000 Exemplaren. Die Zeitungskrise hinterließ deutliche Spuren auch bei der NOZ. Die Auflage sank seit 1998 um rund 18 Prozent. Was dem Chefredakteur nicht gefällt, aber ihm auch nicht wirklich den Schlaf raubt. Dabei haben er und seine Kollegen die meisten Ziele schon erreicht. Das Ergebnis: 25 zusätzliche Arbeitsplätze in der Redaktion.
"Und wir haben 'erfolgreich' auch unterschiedlich definiert. Nicht nur an harten Zahlen, an Umsatz, Rendite und Auflage festgemacht, sondern auch an viele andere Faktoren."
Apps, Links und der VfL Osnabrück
Die Entwicklung der Neuen Osnabrücker Zeitung von einer betulichen Regionalzeitung zu einem digitalen Medien- bzw. Informationshaus lässt sich am Online-Angebot ablesen. Angefangen von lokalen Apps zu Veranstaltungen oder über den VfL Osnabrück - bis hin zu Links in alle Informationskanäle. Online-Chefin Anne Krum fasst es in einem Satz zusammen: Wo der Leser ist, wollen wir auch sein.
"Wir sind bei Facebook, wir sind bei Twitter, wir sind bei Instagram. Wir gucken, was wir mit Snapchat machen können. Das ist aber ein Tool, was für sehr, sehr junge Menschen ist und da sehen wir noch nicht so unsere Zielgruppen. Aber wir probieren erst einmal alles aus und gucken dann, wie sehr es uns gelingt, den Leser dort zu erreichen."
Die 35-Jährige ist seit vier Jahren Online-Chefin und Mitglied der Chefredaktion. Sie zeigt auf einen Flach-Bildschirm an der Wand, dem sogenannten Dashboard. Hier kann jedes Redaktionsmitglied genau sehen, wie viele Leser welchen Online-Beitrag in genau diesem Augenblick anklicken und lesen.
"Wir haben Tools, mit denen wir erkennen können, da gibt es eine große Nachfrage nach diesem Thema und das gibt uns dann auch das Zeichen, da sollten wir vielleicht noch mehr investieren, noch mehr Zeit darauf setzen. Da noch einen weiteren Aspekt der Geschichte zu erzählen, also noch mehr Informationen zu liefern. Das ist das eine, aber die Leser kritisieren uns viel schneller, als sie es früher getan haben. Es ist heute sehr leicht, einen Kommentar abzusetzen oder bei Facebook zu schreiben, dass wir vielleicht einen Aspekt nicht ausführlich genug dargestellt haben."
Statt Wände gibt es nun Streifen auf dem Boden
Ralf Geisenhanslücke auf seiner täglichen Rundtour. Im vierten Stock ist die Chefredaktion untergebracht. Ein Stockwerk tiefer sitzen die Onliner, darunter Politik und Wirtschaft. Die Stadtredaktion befindet sich auf der ersten Etage. In allen Stockwerken verlaufen blaue Streifen wie Adern über den sonst grauen Teppich. Sie erinnern an den Verlauf der alten Wände, die beim Umbau eingerissen worden sind. Ein Symbol? "Ja, sicher", sagt der Chefredakteur und erzählt vom Frauenhofer-Institut, das extra für die NOZ einen neuen räumlichen Zuschnitt der Redaktions-Büros entwarf und auch für die richtige Ausstattung sorgte.
"Das schwierigste ist halt, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mitzunehmen. Denen zu erklären, warum wir gewisse Dinge tun, warum es Anstrengung bedarf, auch den Wandel jetzt zu vollziehen und immer wieder den auch zu erklären, was wir gerade machen und warum wir das machen. Das ist halt schwierig bei 1000 Mitarbeitern, das immer wieder auch zu kommunizieren. Das ist anstrengend, aber das machen wir gerne."
Und dann sind da noch die Leser, bekannt dafür, dass sie Veränderungen an ihren Zeitungen meistens kritisch beurteilen. Geisenhanslücke wehrt ab:
"Nein. Wir haben das sehr behutsam gemacht und wir haben es auch sehr intensiv kommuniziert. Wir haben den Lesern nichts genommen. Ganz im Gegenteil. Wir haben alle Lokalausgaben ständig auf den Kopf gestellt und haben sie verbessert. Wir haben unsere Mantel-Inhalte weiter entwickelt."
Zweite Etage. Politik- und Wirtschaftsredaktion. An der Fensterfront leere Schreibtische. Auf der gegenüberliegenden Wandseite Boxen, etwas größer als Telefonzellen, in die sich Journalisten zurückziehen, wenn sie in Ruhe schreiben wollen. Auf jedem Schreibtisch mindestens zwei Bildschirme. Ein großer halbrunder Schreibtisch dominiert: der Newsdesk, die zentrale Steuereinheit der Redaktion für alle Vertriebswege.
"Unser News-Desk ist die oberste Instanz. Wir haben da nicht mehr einen Politik-Chef sitzen, einen Sportchef oder einen Regionalkoordinator oder ähnliches. Wir haben dort Produkte versammelt, einen Spezialisten für mobile Endgeräte, einen Spezialisten für die Web-Seite, auch einen Spezialisten für die Mantelstrecke Print und weitere Sonderfunktionen wie beispielsweise Traffic-Analyse, bündeln dies unter einer Desk-Leitung, die dort kanalunabhängig in Absprache mit den jeweiligen Themenbereichen die jeweiligen Nachrichten streut."
"Ich glaube nicht, dass Zeitungen ein Luxusobjekt werden"
Vize-Chefredakteur Burkhard Ewert erläutert den Newsdesk. Hier sitzen die verantwortlichen Redakteure, während die Reporter unterwegs sind. Anne Krum beschreibt die tägliche Arbeit von den Reportern:
"Er geht einfach ins Internet und ruft dann diesen Editor auf und kann da seinen Artikel für die digitalen Kanäle schreiben und veröffentlichen. Und das geht dann innerhalb von einer Minute direkt online."
Und das im Büro, auf der Straße, direkt vom Unfallort oder aus der Kneippe. Durch knapp 30.000 digitale Zeitungsabonnements, die zwischen einem und rund 35 Euro kosten, hat die NOZ die Verluste der Printausgabe weitgehend aufgefangen. Dazu kommen Anzeigen- und Vertriebserlöse sowie eine Sperre. Wer auf der NOZ-Online-Seite Artikel lesen will, muss zahlen. Die Zeitungsauflage hat sich inzwischen leicht stabilisiert, der Trend weg vom Papier wird jedoch weiter anhalten. Davon geht selbst der Chefredakteur aus. Trotzdem: Für Geisenhanslücke hat eine Regionalzeitung, trotz aller technischer Veränderungen, eine Zukunft:
"Sie wird sich vielleicht verändern, in welcher Weise kann man jetzt nur vermuten. Vielleicht erscheint sie an manchen Tagen dünner, an manchen Tagen dicker. Vielleicht erscheinen wir dann nicht mehr an sechs Tagen, sondern an vier. Ich glaube nicht, dass Zeitungen ein Luxusobjekt werden, was sich nur noch ganz wenige reiche Menschen leisten können."
Kein Luxusgut – aber ein wertvolles Gut. Die NOZ ist dabei auf einem guten Weg. Ralf Geisenhanslücke gefällt das.
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