Neue Materialien

Goldene Spinnenseide für die Medizin

Mit der Seide der Nephila-Spinne wollen Mediziner verletzte Nerven heilen.
Mit Spinnenseide lassen sich Beschwerden heilen. © picture alliance / dpa / M.A.Pushpa Kumara
Von Eva Wolk · 25.02.2016
Hauttransplantate für Brandopfer, Herzmuskelgewebe für Infarktpatienten - medizinische Materialien der Zukunft werden aus Spinnenseide hergestellt. Wie das geht? Unsere Reporterin hat ein Labor mit 150 Radnetzspinnen besucht und bei den Forschern nachgefragt.
80 Prozent Luftfeuchtigkeit, stabile 25 Grad Celsius, Sicherheit vor Fressfeinden, Futter frei Haus – das Spinnenlabor ist ein Paradies für die Achtbeiner. Das 30 Quadratmeter große Spinnenwohnzimmer im Kerstin Reimers Labor für Regenerationsbiologie ist von zwei Seiten komplett verglast und tageslichthell. Für den Netzbau sind Hanfseile quer durch den Raum gespannt. Die Nachzucht wohnt in Terrarien, das Futter auch: Obstfliegen, Schmeißfliegen, Heimchen. Die Stars des Labors, die erwachsenen Spinnenweibchen, haben sogar Namen.
"Und jetzt sehen wir hier oben links in der Ecke, das ist Kuma, die ist noch relativ jung – denke mal, so `n dreiviertel Jahr wird sie jetzt alt sein, also hat gerade erst angefangen, mit uns zu arbeiten. Und sie hat Besuch von einem Männchen."
Die Biologin Dr. Sarah Strauß hat das Forschungsprojekt vor zehn Jahren mit aufgebaut.
Sarah Strauß: "Wir füttern also nur die Weibchen, und die teilen dann mit den Männchen – unter Umständen – die Nahrung. Dafür muss sich der Mann aber richtig ins Zeug legen."
Reporterin: "Was muss er dafür tun?"
Sarah Strauß: "Na ja – wenn er sich der Dame nähert, dann fängt er an, auf das Netz zu trommeln mit seinen Beinen, das ist so eine Art Kommunikation. Und dann kommt er immer näher, ganz vorsichtig. Und entweder kriegt er dann mal eine übergebraten mit dem Hinterbein von der Spinne, oder sie lässt ihn ganz nah kommen, und dann darf er also auch an ihr Futter. Und wenn er Glück hat, dann lässt sie ihn halt auch irgendwann mal ran."
Allein die Weibchen erbringen die Gegenleistung für das sorgenfreie Dasein im Labor: Spinnenseide. Ihre Eigenschaften machen sie zum Bio-Produkt der Zukunft nicht nur in der Medizin: Extrem reißfest und flexibel zugleich, bakteriostatisch, fungizid, wundheilungsfördernd. Außerdem löst das Material keine Immunantwort aus, der Körper baut es vollständig ab. Eins der ersten praktischen Forschungsergebnisse: Chirurgisches Nahtmaterial zum Vernähen von Wunden – Fäden, die nicht mehr gezogen werden müssen.

Beschädigte Nervenbahnen mit Spinnenseide reparieren

Vorrangig arbeiten die Forscher in Hannover daran, mit Hilfe der Seide beschädigte Nervenbahnen zu reparieren. Werden Nerven bei Unfällen durchschnitten, vernarbt das Körpergewebe und verhindert so, dass sie wieder zusammenwachsen können. In einem Experiment durchtrennten die Wissenschaftler mehreren Schafen über eine Distanz von sechs Zentimetern die Nerven in den Hinterläufen. Sie implantierten den Tieren an dieser Stelle ein Stück Vene, gefüllt mit Spinnenseide. Vereinfacht gesagt, wuchsen die Nerven durch diese Röhre wieder zusammen, und sechs Monate später konnten die Tiere laufen wie zuvor. Die Vene war mitsamt Füllung rückstandsfrei abgebaut.
Die Spinnenweibchen werden zwei Mal pro Woche gemolken und liefern dabei den sogenannten Halte- oder Abseilfaden ab, mit dem die Spinne auch ihr Netz baut. Andere und ebenfalls wertvolle Eigenschaften hat der goldgelbe, zwei Zentimeter dicke Kokon der Goldenen Radnetzspinne:
"Das kann man also prima in blutende Wunden legen, dann hört das auf zu bluten und verschließt sich auch sehr schnell. Das ist auch ein ganz altes Wissen – das haben wir im Grunde nur wiederentdeckt."
Sarah Strauß wirft einen Blick ins Protokoll: Heute ist Nadja dran. Sie sitzt friedlich in der Mitte ihres großen Netzes am Fenster.
Sarah Strauß: "Das ist Nadja, da über Ihnen."
Reporterin: "Ihr fehlt ein Bein."
Sarah Strauß: "Ja – das passiert beim Häuten. Das ist aber kein Problem, nach der nächsten Häutung ist das wieder da."
Reporterin: "Das wächst nach?"
Sarah Strauß: "Ja ja, das ist dann wieder da. – Also hier haben wir jetzt Nadja. Die ist schon, sobald sie da in ihrer Kiste ist, ruhig."
Die Biologin hat Nadja mit Hilfe eines Plastikbehälters aus dem Netz geangelt und bringt sie jetzt in den Melkraum des Labors. Sarah Strauß programmiert den Timer immer auf genau 15 Minuten. Eine längere Melkzeit wäre zu anstrengend für die Spinnen. Vorsichtig legt die Biologin das Tier mit Hilfe einer Pinzette rücklings auf einen kleinen Schaumstoffblock. Dann zieht sie langsam den Haltefaden aus Nadjas Hinterleib, befestigt ihn an einer Spindel, die an einem kleinen Motor aufgesteckt ist, und schaltet diesen ein. Die Spinnendrüsen produzieren den Faden, solange der mechanische Reiz andauert. Am Ende glänzen auf der Spule 150 bis 200 Meter goldgelbe Spinnenseide. Feierabend für Nadja. Sarah Strauß bringt sie zurück in ihr Netz und kredenzt das Belohnungsmenü:
Zuerst eine große Ration Wasser aus dem Sprüher, denn das Melken macht die Tiere durstig. Dann gibt's frisches Heimchen. Die Laborspinnen sind es gewohnt, aus der Hand zu fressen. Und sie sind gut genährt: Nadja packt sich die kleine Grille und wickelt sie in Windeseile ein.
"Ja – die scheint jetzt nicht wirklich hungrig zu sein, sonst würde sie sich gar nicht die Mühe machen, das einzutüten."
Schon bald will das Forschungs-Team in Hannover die klinischen Tests der Nervenregeneration mit Spinnenseide starten.
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