Neue Krimis: "Wenn Engel brennen" von Tawni O’Dell

Eine Kommissarin als Ausnahmeerscheinung

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Das Bild zeigt das Buchcover von "Wenn Engel brennen".
Der Krimi ist klassisch um die Frage gebaut, wer den Mord an einem Teenager begangen hat. Die Kommissarin ist jedoch eine eher ungewöhnliche Erscheinung. © Ariadne Verlag /Deutschlandradio
Von Sonja Hartl · 09.08.2019
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Tawni O'Dells "Wenn Engel brennen" ist ein klassischer Whodunit: ein brutaler Mord an einer jungen Frau, im Setting eines Bergarbeiterdorfes in Pennsylvania. Zum Glück hat die ermittelnde Chief Carnahan viel Humor. Hoffentlich wird das eine Serie.
Ein infernalischer Anfang: Polizeichefin Dove Carnahan steht in einem verlassenen Bergarbeiter-Dorf in Pennsylvania vor einer glühenden Erdspalte, in die ein Mädchen geworfen wurde. Die Leiche ist nicht vollständig verbrannt, der Anblick ist grauenvoll. Es handelt sich um Camio Truly, eine Teenagerin, die weg wollte aus diesem Ort. Die aufs College gehen und ihre verwahrloste, kriminelle, weiße Sippschaft zurücklassen wollte.
Carnahan ist vollauf mit diesem grausamen Mord beschäftigt, als der Mann auf ihrem Revier auftaucht, der vor Jahrzehnten für die Ermordung ihrer Mutter verurteilt wurde. Er behauptet, Carnahan und ihre Schwester hätten ihn damals fälschlicherweise bezichtigt – und kündigt an, die Wahrheit herausfinden zu wollen.

Arm, gewalttätig, kriminell

Der ländliche Handlungsort und die Grausamkeit des Mordes deuten auf ein allzu gängiges Muster in US-amerikanischen Kriminalromanen hin, mit dem von den gesellschaftlichen Verlorenen erzählt werden soll. Doch "Wenn Engel brennen" von Tawni O’Dell ist ein fast schon klassischer Whodunit, der zeigt, wie viel Potential in der "Wer hat’s getan"-Frage steckt, und sich durch ein exzellentes Gespür für die Region auszeichnet. Vor Jahren blühte in Pennsylvania der Bergbau und brachte gleichermaßen Aufschwung wie Verfall: "Das Minenfeuer, das den Ort Campbell’s Run zerstörte, begann vor über fünfzig Jahren mehrere Meilen tief in der Erde."
In solchen Ortschaften wohnen Menschen wie die Trulys: arm, gewalttätig und kriminell. Aber auch die Carnahans, gezeichnet durch die Ermordung der Mutter. Durch diese beiden Morde verknüpft Tawni O’Dell geschickt diese Familiengeschichten, die tiefe Einblicke in die Schicksale des Ortes geben.

Unwiderstehlich trockener Humor

Zusammengehalten werden sie durch eine der interessantesten Ermittlerfiguren der vergangenen Jahre: Polizeichefin Carnahan hat ihr "gesamtes Erwerbsleben in einem männerdominierten Beruf" verbracht, sie kennt "sämtliche Spielarten von Ablehnung, Sabotage und Schikanen (…), die das Y-Chromosom aufzubieten hat", hebt sich ihre Entrüstung aber "für die echten Frauenhasser" auf. Vor kurzem ist sie 50 Jahre alt geworden, was sie doch mehr beschäftigt, als sie zugeben möchte. Sie hat keine Kinder, eine enge Bindung zu ihrer Schwester und ist zufrieden.
Allein das lässt Dove Carnahan schon zu einer Ausnahmeerscheinung nicht nur in der Kriminalliteratur werden. Dazu kommen ein unwiderstehlich trockener Humor, ein bemerkenswertes Gespür für Unscheinbares, das konsequente Erkennen der eigenen Bedürfnisse – und die lässige Gewissheit, dass sie sich von niemand für dumm verkaufen lässt.

Ein Mord ist kein Tabu

"Wenn Engel brennen" ist daher eine komplexe Studie einer ländlichen Gesellschaft und überforderter Menschen, für die ein Mord eine Grenze ist, die sie allzu leicht überschreiten – und hoffentlich der Auftakt einer Serie mit Chief Carnahan.

Tawni O’Dell: "Wenn Engel brennen"
Aus dem Englischen von Daisy Dunkel
Ariadne 2019, 352 Seiten, 21 Euro

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