Neue Indizien im Fall Barschel

Moderation: Liane von Billerbeck · 12.09.2007
Weder Mord noch Selbstmord – nach Recherchen des NDR gibt es im Fall Uwe Barschel neue Erkenntnisse. "Es spricht einiges für Sterbehilfe", sagte Patrik Baab, einer der Autoren des NDR-Films "Der Tod des Uwe Barschel". So seien im Körper Barschels vier verschiedene Beruhigungsmittel gefunden worden, von denen zumindest das letzte erst zugeführt wurde, nachdem Barschel bereits das Bewusstsein verloren hatte.
Liane von Billerbeck: Am Telefon ist jetzt Patrik Baab, er hat gemeinsam mit Andreas Kirsch und Stephan Lamby die Barschel-Affäre noch einmal recherchiert und für den NDR den Film "Der Tod des Uwe Barschel – Skandal ohne Ende" gedreht. Guten Tag nach Kiel.

Patrik Baab: Hallo, Frau Billerbeck.

Billerbeck: Die Spiegel-Geschichte über das Waterkantgate erschien am 12. September 1987, das ist 20 Jahre her, da könnte man ja annehmen, dass längst Gras über die Geschichte gewachsen ist. Warum ist das nicht so?

Baab: Na ja, es handelt sich ja um den größten Polit-Skandal der Bundesrepublik. Es sind damals Karrieren gemacht worden, es sind andere Karrieren zerstört worden. Die SPD hat mit Björn Engholm einen Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten verloren, die CDU hat mit Uwe Barschel ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent, aber auch eine Landtagswahl verloren, das alles wirkt bis heute nach und der ganze Fall ist ein Lehrstück der politischen Kultur oder Unkultur, und ich darf einfügen: In diesem Fall Barschel ist bis heute keine einzige wichtige Frage grundlegend geklärt. Wir wissen nicht: Was ist der Tatanteil von Uwe Barschel bezüglich der Machenschaften aus der Staatskanzlei? Was hat Pfeiffer zu verantworten, was hat Barschel zu verantworten? Warum erhält Pfeiffer Jahre später von der SPD 50.000 Mark? Wo kommt das Geld her? Das ist ungeklärt. Was hat es auf sich mit der Verstrickung von Uwe Barschel in Waffengeschäfte? Wo liegen die Hintergründe? Es ist völlig ungeklärt, genauso wie die Frage: War es Mord, oder war es Selbstmord?

Billerbeck: Uwe Barschel ist tot, aber die meisten Protagonisten des Barschel-Skandals erfreuen sich ja bester Gesundheit. Wie groß war denn deren Bereitschaft, sich vor der Kamera zu äußern?

Baab: Na ja, die Leidenschaft, diesen Fall aufzuklären, ist äußerst gering ausgeprägt, in beiden politischen Kräftefeldern, sowohl bei der CDU als auch bei der SPD, und dafür gibt es Motive. Bei den Christdemokraten spricht man ungern über die Verstrickung ihres früheren Parteifreundes Barschel in Waffengeschäfte, denn damit könnten auch andere zu tun gehabt haben. Ein Beispiel dafür: Die Kieler Werft HDW gehörte damals dem Land und dem Bund, ein Staatssekretär, ein Minister der Kieler Landesregierung saßen im Aufsichtsrat. Die SPD spricht nur ungern über die Zahlungen an Reiner Pfeiffer und ihr frühes Wissen über ihre Beteiligung an dieser Affäre, auch hier herrscht Schweigen im Walde. Aber es ist uns nach einigen Mühen gelungen, an über 30 Zeitzeugen heranzutreten: das sind Bürgerrechtler aus der DDR, an den Altbundeskanzler Kohl, an den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel konnten wir rankommen, aber auch an den früheren iranischen Staatschef Abul Hassan Banisadr, der aus dem Versailler Exil interessante Hinweise zum Thema Waffengeschäfte geben konnte.

Billerbeck: Die anfängliche Lichtgestalt hieß ja Björn Engholm, doch der ist bekanntlich längst nicht mehr in der Politik. Sie haben gesagt, vieles ist ungeklärt – aber konnten Sie dann herausfinden, seit wann man in der SPD etwas wusste über die Wühlarbeit gegen Engholm und seit wann wusste Engholm selber etwas, dass da Tricks gegen ihn angewandt wurden im Wahlkampf?

Baab: Auch diese Frage ist nicht bis in die letzten Einzelheiten geklärt. Engholm hat ja angegeben unmittelbar nach der Wahl, er habe bis zur Wahl davon nichts gewusst. Dies war eine Lüge – er musste anschließend zugeben, dass er sechs Tage vor der Wahl 1987 über die Machenschaften von Reiner Pfeiffer gegen ihn informiert gewesen sei. Nach Darstellung, nach Ergebnissen des Zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Kiel sechs Jahre später ist klar, Engholm war bereits Ende Juli, also mindestens sechs Wochen vor der Wahl, über Pfeiffers Machenschaften informiert und es kommt noch eins drauf: Nach Darstellung zweier Stasi-Abhöroffiziere – die unabhängig voneinander von verschiedenen Horchposten der DDR die Autotelefonie im Westen abgehört haben – wurde Engholm von Klaus Nelius, seinem Pressereferenten, bereits Ende Januar, Anfang Februar 1987 über trübe Machenschaften aus der Kieler Staatskanzlei heraus informiert. Das würde bedeuten, die SPD wusste über die Aktivitäten von Reiner Pfeiffer von Anfang an Bescheid.

Billerbeck: Haben Sie denn mit ihm sprechen können? Was hat er dazu gesagt?

Baab: Wir haben ein Hintergrundgespräch mit ihm geführt, er hat es uns schriftlich dementiert, er habe nichts gewusst, zu einem Interview war Björn Engholm nicht bereit.

Billerbeck: Uwe Barschel – davon ist immer die Rede gewesen, Sie haben jetzt auch die Staatssicherheit der DDR erwähnt – soll ja ein Doppelleben geführt haben und ziemlich merkwürdig oft in die DDR gereist sein. So was bleibt ja bekanntlich nicht unbemerkt, weder von dem einen noch von dem anderen Geheimdienst. Was haben Sie darüber herausgefunden?

Baab: Na ja, es ist bei der Staatsanwaltschaft Lübeck aktenkundig, dass Uwe Barschel in seinen letzten fünf Lebensjahren mindestens 19 Mal in die DDR gereist ist. Das waren offizielle Reisen, das waren inoffizielle Reisen, es gibt Hinweise darauf, dass er auch Waffenlager der DDR besucht hat. Es gibt in Stasiprotokollen Hinweise darauf, dass er Liebschaften in der DDR gehabt hat, mindestens zwei Fälle sind dokumentiert. Und was das Doppelleben betrifft, kann man sagen: Uwe Barschel hat seit 1980 zunehmend Medikamentenmissbrauch gepflegt, er hat zunehmend wachsende Tavor-Dosen eingenommen. Tavor ist ein Angstlöser, der bei extremem Missbrauch, wie er hier vor allem in den letzten Lebensjahren vorlag, zu charakterlichen Veränderungen führen kann.

Billerbeck: Bis heute ungeklärt sind ja auch noch immer noch die Umstände seines Todes. Wir wissen, dass der Sternreporter Sebastian Knauer die Leiche fotografiert hat. Alles andere – da müssen wir den Aussagen des Journalisten trauen oder nicht trauen, der die Leiche gefunden hat. Wissen Sie inzwischen Näheres über diese Zeit um den 10./11. Oktober 1987 herum?

Baab: Dies bleibt ein Verwirrspiel. Die Spuren sind verwischt und das beginnt schon bereits bei der Ankunft von Uwe Barschel am 10. Oktober 1987 um 15.10 Uhr in Genf. Es ist bis heute ungeklärt, wer der Taxifahrer ist, der Uwe Barschel vom Flughafen zum Hotel gebracht hat. Es ist bis heute ungeklärt, ob Uwe Barschel auf dem Weg zum Hotel einen Entlastungszeugen, den er selbst in seinen Notizen angegeben hat, getroffen haben kann. Auch das ist bis heute nicht klar. Die Todesumstände sind auch nicht geklärt. Klar ist: Ein Zimmerkellner bringt ihm um halb sechs eine Flasche Wein mit zwei Gläsern, anschließend, so verzeichnet es der Hotelcomputer, führt er mehrere Telefonate, mit seinem Bruder, mit seiner Frau, mit seiner Schwester Folke in Kiel. Es ist unklar, und es ist auch unklar, was Sebastian Knauer vorgefunden hat am kommenden Tag. Wir stützen uns nur auf seine eigenen Angaben, es gibt keine weiteren Zeugen.

Billerbeck: Sebastian Knauer hat ja den bekleideten Uwe Barschel tot in der Badewanne fotografiert. Die Leiche ist obduziert worden. Was ist denn Ihre Theorie nach Ihren Recherchen? Kann die These, dass Uwe Barschel Selbstmord begangen hat, gehalten werden, wie es ja offiziell immer noch heißt? Wurde er ermordet? Oder gibt es Anzeichen für eine dritte Variante?

Baab: Es gibt Anzeichen für andere Varianten, ich halte aus heutiger Sicht die Selbstmordthese für die unwahrscheinlichste. Es gibt Hinweise, die auf Selbstmord deuten, es gibt auch Hinweise, die auf das Erscheinen dritter Personen am Tatort hindeuten. Ich will Ihnen einen Sachverhalt nennen. Im Körper Uwe Barschels wurden vier verschiedene Beruhigungsmittel und Gifte gefunden, die er zeitversetzt eingenommen haben muss. Nach Angaben der Obduzenten muss Uwe Barschel schon das Bewusstsein verloren haben, als ihm das letzte tödliche Präparat zugeführt worden ist. Es spricht also einiges für Mord. Es gibt allerdings – das muss ich in Richtung all derjenigen sagen, die von Mord hier reden – keine konkreten Hinweise auf einen Täter und ein konkretes Tatmotiv. Alle Zeugen, die wir sprechen konnten, sind Zeugen vom Hörensagen, die haben es mal von irgendeinem Geheimdienstler gehört, ja, da war was mit Uwe Barschel, aber nichts Konkretes. Alle sind Zeugen vom Hörensagen, und ich denke, es spricht einiges für Sterbehilfe, denn es gab am 27. Juli 1987, deutlich vor Uwe Barschels Tod, einen Anruf aus der Kieler Staatskanzlei bei der Deutschen Gesellschaft für Sterbehilfe, und Sterbehilfe war in der Staatskanzlei, im Kräftefeld um Uwe Barschel, ein Thema.

Billerbeck: Über die Hintergründe der Barschel-Affäre und wahrscheinlich ein Grund dafür, dass dieser Fall noch mal aufgerollt werden muss von der Justiz sprachen wir mit Patrik Baab, einem der drei Autoren des NDR-Films "Der Tod des Uwe Barschel – Skandal ohne Ende", er wird am 17. September um 21 Uhr in der ARD zu sehen sein. Ich danke Ihnen schön, Herr Baab.

Baab: Gerne.
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