Neue Heimat Istanbul
Die Debatte über Begrenzung von Zuwanderung blendet aus: Inzwischen wandern mehr Menschen aus als ein. Darunter auch die Deutschtürkin Rahükal Turgut. Wie 40.000 andere Türken aus Deutschland arbeitet und lebt sie jetzt in Istanbul und ist froh, "dass ich eine Auszeit habe von diesen ganzen Debatten".
Ulrike Timm: Sie sei jetzt Gastarbeiterin in der Türkei. Das sagt zum Beispiel die Berliner Regisseurin Sükriye Dönmez. Gerade arbeitet sie an einer Fernsehserie über Deutschtürken in Istanbul. "Kültürschock" wird sie heißen. Und was ist das? Nur ein Beispiel.
Was die ganze Integrations- und Zuwanderungsdebatte gerne außer Acht lässt: Es gehen inzwischen mehr Türken aus Deutschland weg, als zu uns kommen. 40.000 deutsch-türkische Auswanderer gingen im vergangenen Jahr, 30.000 Zuwanderer kamen.
Und wir, wir wollen jetzt den vielen Staccatoschlagzeilen keine neue hinzufügen, sondern uns erzählen lassen von Lebenswegen, die selten Schlagzeilen machen, aber die inzwischen zu Tausenden vorkommen: Junge, gut ausgebildete Deutschtürken gehen nach Istanbul um Erfolg zu haben, Karriere zu machen, und vielleicht auch, um den ewigen Debatten zu entrinnen. Eine von ihnen ist Rahükal Turgut, in Deutschland aufgewachsen, Anglistik studiert. Sie lebt seit einem Jahr in Istanbul und arbeitet dort in einem Verlag. Schönen guten Tag, Frau Turgut!
Rahükal Turgut: Ja, hallo!
Timm: Frau Turgut, warum sind Sie weggegangen?
Turgut: Bei mir ist es so, dass ich eine berufliche Auszeit genommen hatte. Ich hab in Köln gearbeitet und dann war, aus familiären Gründen habe ich eine berufliche Auszeit genommen. Und dann, als ich wieder anfangen wollte zu arbeiten, habe ich mir gedacht, kehrst du wieder zurück nach Köln oder fängst du etwas ganz Neues an? Und hab mich für Istanbul entschieden, also für das Leben in der Türkei, weil das schon immer, seit Jahren eigentlich ein Gedanke von mir war, mal auszuprobieren wie es ist, in der Türkei zu leben. Und so kam es, dass ich mich spontan, eigentlich sehr spontan entschlossen habe, in der Türkei es mal erst auszuprobieren, wie es ist, hier zu leben.
Timm: Sie sind mit ganz kleiner Pause als kleines Kind in Deutschland aufgewachsen. Waren Sie denn in der Türkei erst mal die Deutsche?
Turgut: Ich hab das Glück, dass ich nicht als Deutschländerin, wie man das hier nennt, erkannt werde, weil ich ein fließendes Türkisch habe und auch keinen Akzent habe. Also Menschen, die aus Deutschland zurückgekehrt sind, haben oft einen Deutschländerakzent, sage ich mal. Aber ich hab das Glück, dass ich das nicht habe, und somit werde ich nicht direkt in die Schublade Deutschländerin gesteckt.
Timm: Das Ziel von vielen jungen Deutschtürken heißt ganz klar Istanbul, die Stadt am Bosporus. Was ist so toll an Istanbul, warum landet man ausgerechnet da?
Turgut: Also ich hatte auch persönlich eigentlich nicht vor, erst mal in Istanbul zu leben, ich dachte immer, ich würde in Izmir leben, was eine ganz tolle ägäische aufgeschlossene Stadt ist. Nur ist es so, dass die Berufsmöglichkeiten in Istanbul wirklich ganz anders sind. Wenn man Karriere machen möchte, kann man schon in Istanbul das gewährleisten. Und außerdem ist Istanbul eine so wahnsinnig dynamisch-energievolle Stadt, es ist wirklich eine Weltstadt so wie London oder Paris für mich, und ich denke, die meisten, die auch sei es nur für ein paar Tage nach Istanbul kommen, die merken diese Dynamik und diese Energie, und es ist wirklich etwas ganz Besonderes, in Istanbul zu leben.
Timm: Wen zieht denn diese Dynamik an, was haben die Leute für Berufe, was haben die für Pläne, die nach Istanbul gehen?
Turgut: Die, die aus Deutschland sind, haben natürlich meistens ... Also die, die ich kenne, haben studiert und haben eine gewisse Berufserfahrung hinter sich und können direkt auch manchmal, wenn sie natürlich Glück haben – also es ist nicht so, dass man hier direkt ja in Karriereberufen einsteigen kann –, aber oft ist es so, dass wir dann auch sehr gute Angebote kriegen und dann auch hier in sehr guten Positionen anfangen können.
Timm: Und in Deutschland hätten Sie das so nicht können, oder warum der Weg nach Istanbul?
Turgut: Also bei mir war es nicht der Beweggrund, dass ich in Deutschland irgendwie nicht Karriere machen konnte, aber ich denke, für einige ist das schon ein Grund. Weil, so wie ich das persönlich auch aus meinem Umfeld mitbekommen habe, ist ja die Arbeitslosigkeit bei türkischstämmigen oder bei migrantenstämmigen Menschen in Deutschland, die auch ein Studium haben, doppelt so hoch als die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Und einige nutzen sicherlich auch die Möglichkeiten, die die Türkei mittlerweile bietet, um halt einfacher an ihre gewünschte Position zu kommen.
Aber bei mir war das nicht der Fall, also bei mir waren eher persönliche Gründe auch, weil ich zum Beispiel in England und in Amerika studiert habe, also Auslandsstudien hinter mir habe, und ich kannte das Leben dort und kannte aber das Leben in der Türkei nicht, wo die Hälfte von meiner Familie lebt. Das waren zum Teil die Beweggründe eigentlich bei mir.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen über Auswanderer von Deutschland nach Istanbul oder auch über Einwanderer in die Türkei, ganz wie es Ihnen gefällt. Frau Turgut, bei Mercedes-Benz zum Beispiel in der Türkei sind ein Drittel aller Beschäftigten mit gehobenen Aufgaben Deutschtürken. Warum nehmen türkische Unternehmen oder Unternehmen in der Türkei Berufstätige, die in Deutschland gelernt, studiert haben? Warum nehmen die Sie so gern?
Turgut: Gerade natürlich Mercedes ist ja halt ein deutsches Unternehmen und kann natürlich ihr System mit Deutschtürken besser realisieren. Aber ich denke, auch die anderen Unternehmen nehmen gerne Deutschtürken, weil erstens die internationalen Beziehungen in der Türkei ja auch mittlerweile sehr gut sind und diese gut qualifizierten und in Europa aufgewachsenen Menschen natürlich dann noch besseren Zugang haben. Die Deutschtürken, also wenn man es klischeehaft sagen kann, sind ein bestimmtes System in Deutschland gewöhnt, also man arbeitet wirklich mit System in Deutschland, also mehr, als das in der Türkei der Fall ist. Und man kann das aber dann auch gleichzeitig mit der türkischen Flexibilität vielleicht verbinden. Also die Türken haben hier wirklich, ich muss sagen, also ein sehr gutes Flexibilitätsvermögen, und wenn man das mit der deutschen Systematik, sag ich mal, und türkischen Flexibilität und Kreativität verbindet, ich denke, dass das wirklich eine ganz gute Mischung ist, die die Unternehmen dann gern aufnehmen.
Timm: Und dann sucht man sich das Beste aus zwei Kulturen heraus auch als Arbeitgeber, als türkischer Arbeitgeber?
Turgut: Ja, also ich denke auch, gerade die internationalen Beziehungen, die ja jetzt stetig wachsen, führen dazu, dass viele Fachkräfte auch hier gebraucht werden, die im internationalen Bereich auch agieren können und die europäische Denkweise auch verstehen und somit halt dann besser arbeiten können damit.
Timm: Wenn man in einem Elternherkunftsland wie der Türkei kaum je war, dann kann man nicht gut von einer Rückkehr sprechen bei den Deutschtürken, über die wir gerade sprechen, Frau Turgut. Wären manche, die Sie kennen, die jetzt in Istanbul Karriere machen, eigentlich gern in Deutschland geblieben?
Turgut: Also für einige, die ich kenne, ist das so, dass die auf Zeit in Istanbul sind oder in der Türkei. Ich glaube, viele sind da jetzt sehr flexibel, also genau so, wie wenn man in Deutschland, sag ich mal, als Arzt zum Beispiel einfach mal in die Schweiz gehen kann, kehren auch einige mit dieser Motivation zurück, aber auch mit dem Gedanken, ich könnte auch trotzdem irgendwann wieder zurück nach Deutschland. Es ist nicht für die Ewigkeit, denke ich mal, für einige, dass sie sagen, ich kehre jetzt in die Türkei zurück und nie wieder nach Deutschland, sondern dass einfach, für eine gewisse Zeit werde ich in der Türkei arbeiten, aber mal schauen, was das Leben bringt. Und einige können sich sehr gut vorstellen, wieder in Deutschland zu leben und zu arbeiten.
Ich glaube, man muss das auch aus diesem Blickwinkel sehen, dass viele Akademiker da auch sehr flexibel mittlerweile sind: Sie können in London leben, sie können in Paris oder Berlin leben, sie können auch in Istanbul leben auf Zeit, und dann irgendwann wieder zurückkehren. Also ich denke nicht, dass das so ein klarer Cut ist.
Timm: Ich will auch in die schöne Selbstverständlichkeit, mit der Sie uns erzählen, in keiner Weise was mit Gewalt reininterpretieren, aber könnte es sein, dass zumindest einige von Ihnen die ewige Debatte in Deutschland auch nervt?
Turgut: Also, bei mir war es so, also mein Beweggrund war nicht der, dass mich irgendwelche Debatten gestört haben, das war ...
Timm: ... nein, das habe ich verstanden, deswegen meine ich, ob Sie Leute kennen, die vielleicht auch sagen, also ehe ich mich hier aufreibe an dem "Bin ich Türke, bin ich nicht Türke, darf ich, darf ich nicht", haue ich lieber ab! Ich bin jetzt etwas drastisch, aber könnte ja sein?
Turgut: Nein, also auch bei mir war es natürlich auch der Fall, dass mich auch einige Debatten gestört haben, dass man sich, also auch dieses sich ewig verteidigen zu müssen, nervt natürlich manchmal. Da muss man sehen, dass niemand irgendwie daran vorbei kommt. Wenn man türkischstämmig ist und in Deutschland lebt, muss man manchmal ja einiges rechtfertigen, wofür man eigentlich ja nicht irgendwie geradestehen müsste.
Ich bin eigentlich zurzeit sehr froh, dass ich eine Auszeit habe von diesen ganzen Debatten. Ich krieg natürlich auch von hier aus mit die ganze Sarrazindebatte und alles Weitere, was damit zusammenhängt, krieg ich natürlich mit und bin persönlich einfach froh, dass ich eine gewisse Auszeit habe. Ich verfolge hier das zwar mit, aber ich muss mich zurzeit nicht so direkt rechtfertigen, sag ich mal, und das tut einem schon, denke ich, ganz gut, dass man eine Auszeit nehmen kann.
Timm: Ich denke jetzt mal politisch, Frau Turgut: Das heißt, viele von den 40.000 deutsch-türkischen Ausländern, die machen jetzt in Istanbul Karriere, die zahlen in Istanbul Steuern und die bauen in Istanbul als Ingenieure die Brücken, die wir in Deutschland gut hätten brauchen können!
Turgut: Das kommt darauf an, was für eine Sicht Sie haben. Also genau so kann man argumentieren, ja die ganzen Medizinstudenten oder die Ärzte, die in die Schweiz zum Beispiel, in der Schweiz arbeiten ... Also die Deutschtürken hier bilden eine sehr gute Brücke, denke ich auch, eine menschliche Brücke zur Türkei, und die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen sind sehr gut und sehr reich, und da kann sowohl Deutschland als auch die Türkei sehr gut davon profitieren.
Timm: Frau Turgut, wenn ich Ihnen zuhöre, dann muss ich die ganze Zeit an ein sehr schönes, an ein sehr deutsches Wort denken, nämlich Heimat. Hätten Sie das gern im Plural?
Turgut: Also, das erleben wir ja, so leben wir ja eigentlich. Also wir sind nicht zwischen den Kulturen – also es ist nicht so dieses Klischee, ich bin zwischen den Kulturen –, aber die meisten Deutschtürken, die ich kenne, die ja auch hier leben, pendeln ständig nach Deutschland und wieder zurück. Also es ist so, dass man sagen kann, man ist beheimatet in zwei Ländern. Das stimmt schon.
Timm: Rahükal Turgut, eine von 40.000 deutsch-türkischen Auswanderern oder Zwischenwanderern, wie immer Sie wollen. Sie lebt seit einem Jahr in Istanbul. Vielen Dank fürs Gespräch!
Was die ganze Integrations- und Zuwanderungsdebatte gerne außer Acht lässt: Es gehen inzwischen mehr Türken aus Deutschland weg, als zu uns kommen. 40.000 deutsch-türkische Auswanderer gingen im vergangenen Jahr, 30.000 Zuwanderer kamen.
Und wir, wir wollen jetzt den vielen Staccatoschlagzeilen keine neue hinzufügen, sondern uns erzählen lassen von Lebenswegen, die selten Schlagzeilen machen, aber die inzwischen zu Tausenden vorkommen: Junge, gut ausgebildete Deutschtürken gehen nach Istanbul um Erfolg zu haben, Karriere zu machen, und vielleicht auch, um den ewigen Debatten zu entrinnen. Eine von ihnen ist Rahükal Turgut, in Deutschland aufgewachsen, Anglistik studiert. Sie lebt seit einem Jahr in Istanbul und arbeitet dort in einem Verlag. Schönen guten Tag, Frau Turgut!
Rahükal Turgut: Ja, hallo!
Timm: Frau Turgut, warum sind Sie weggegangen?
Turgut: Bei mir ist es so, dass ich eine berufliche Auszeit genommen hatte. Ich hab in Köln gearbeitet und dann war, aus familiären Gründen habe ich eine berufliche Auszeit genommen. Und dann, als ich wieder anfangen wollte zu arbeiten, habe ich mir gedacht, kehrst du wieder zurück nach Köln oder fängst du etwas ganz Neues an? Und hab mich für Istanbul entschieden, also für das Leben in der Türkei, weil das schon immer, seit Jahren eigentlich ein Gedanke von mir war, mal auszuprobieren wie es ist, in der Türkei zu leben. Und so kam es, dass ich mich spontan, eigentlich sehr spontan entschlossen habe, in der Türkei es mal erst auszuprobieren, wie es ist, hier zu leben.
Timm: Sie sind mit ganz kleiner Pause als kleines Kind in Deutschland aufgewachsen. Waren Sie denn in der Türkei erst mal die Deutsche?
Turgut: Ich hab das Glück, dass ich nicht als Deutschländerin, wie man das hier nennt, erkannt werde, weil ich ein fließendes Türkisch habe und auch keinen Akzent habe. Also Menschen, die aus Deutschland zurückgekehrt sind, haben oft einen Deutschländerakzent, sage ich mal. Aber ich hab das Glück, dass ich das nicht habe, und somit werde ich nicht direkt in die Schublade Deutschländerin gesteckt.
Timm: Das Ziel von vielen jungen Deutschtürken heißt ganz klar Istanbul, die Stadt am Bosporus. Was ist so toll an Istanbul, warum landet man ausgerechnet da?
Turgut: Also ich hatte auch persönlich eigentlich nicht vor, erst mal in Istanbul zu leben, ich dachte immer, ich würde in Izmir leben, was eine ganz tolle ägäische aufgeschlossene Stadt ist. Nur ist es so, dass die Berufsmöglichkeiten in Istanbul wirklich ganz anders sind. Wenn man Karriere machen möchte, kann man schon in Istanbul das gewährleisten. Und außerdem ist Istanbul eine so wahnsinnig dynamisch-energievolle Stadt, es ist wirklich eine Weltstadt so wie London oder Paris für mich, und ich denke, die meisten, die auch sei es nur für ein paar Tage nach Istanbul kommen, die merken diese Dynamik und diese Energie, und es ist wirklich etwas ganz Besonderes, in Istanbul zu leben.
Timm: Wen zieht denn diese Dynamik an, was haben die Leute für Berufe, was haben die für Pläne, die nach Istanbul gehen?
Turgut: Die, die aus Deutschland sind, haben natürlich meistens ... Also die, die ich kenne, haben studiert und haben eine gewisse Berufserfahrung hinter sich und können direkt auch manchmal, wenn sie natürlich Glück haben – also es ist nicht so, dass man hier direkt ja in Karriereberufen einsteigen kann –, aber oft ist es so, dass wir dann auch sehr gute Angebote kriegen und dann auch hier in sehr guten Positionen anfangen können.
Timm: Und in Deutschland hätten Sie das so nicht können, oder warum der Weg nach Istanbul?
Turgut: Also bei mir war es nicht der Beweggrund, dass ich in Deutschland irgendwie nicht Karriere machen konnte, aber ich denke, für einige ist das schon ein Grund. Weil, so wie ich das persönlich auch aus meinem Umfeld mitbekommen habe, ist ja die Arbeitslosigkeit bei türkischstämmigen oder bei migrantenstämmigen Menschen in Deutschland, die auch ein Studium haben, doppelt so hoch als die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Und einige nutzen sicherlich auch die Möglichkeiten, die die Türkei mittlerweile bietet, um halt einfacher an ihre gewünschte Position zu kommen.
Aber bei mir war das nicht der Fall, also bei mir waren eher persönliche Gründe auch, weil ich zum Beispiel in England und in Amerika studiert habe, also Auslandsstudien hinter mir habe, und ich kannte das Leben dort und kannte aber das Leben in der Türkei nicht, wo die Hälfte von meiner Familie lebt. Das waren zum Teil die Beweggründe eigentlich bei mir.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen über Auswanderer von Deutschland nach Istanbul oder auch über Einwanderer in die Türkei, ganz wie es Ihnen gefällt. Frau Turgut, bei Mercedes-Benz zum Beispiel in der Türkei sind ein Drittel aller Beschäftigten mit gehobenen Aufgaben Deutschtürken. Warum nehmen türkische Unternehmen oder Unternehmen in der Türkei Berufstätige, die in Deutschland gelernt, studiert haben? Warum nehmen die Sie so gern?
Turgut: Gerade natürlich Mercedes ist ja halt ein deutsches Unternehmen und kann natürlich ihr System mit Deutschtürken besser realisieren. Aber ich denke, auch die anderen Unternehmen nehmen gerne Deutschtürken, weil erstens die internationalen Beziehungen in der Türkei ja auch mittlerweile sehr gut sind und diese gut qualifizierten und in Europa aufgewachsenen Menschen natürlich dann noch besseren Zugang haben. Die Deutschtürken, also wenn man es klischeehaft sagen kann, sind ein bestimmtes System in Deutschland gewöhnt, also man arbeitet wirklich mit System in Deutschland, also mehr, als das in der Türkei der Fall ist. Und man kann das aber dann auch gleichzeitig mit der türkischen Flexibilität vielleicht verbinden. Also die Türken haben hier wirklich, ich muss sagen, also ein sehr gutes Flexibilitätsvermögen, und wenn man das mit der deutschen Systematik, sag ich mal, und türkischen Flexibilität und Kreativität verbindet, ich denke, dass das wirklich eine ganz gute Mischung ist, die die Unternehmen dann gern aufnehmen.
Timm: Und dann sucht man sich das Beste aus zwei Kulturen heraus auch als Arbeitgeber, als türkischer Arbeitgeber?
Turgut: Ja, also ich denke auch, gerade die internationalen Beziehungen, die ja jetzt stetig wachsen, führen dazu, dass viele Fachkräfte auch hier gebraucht werden, die im internationalen Bereich auch agieren können und die europäische Denkweise auch verstehen und somit halt dann besser arbeiten können damit.
Timm: Wenn man in einem Elternherkunftsland wie der Türkei kaum je war, dann kann man nicht gut von einer Rückkehr sprechen bei den Deutschtürken, über die wir gerade sprechen, Frau Turgut. Wären manche, die Sie kennen, die jetzt in Istanbul Karriere machen, eigentlich gern in Deutschland geblieben?
Turgut: Also für einige, die ich kenne, ist das so, dass die auf Zeit in Istanbul sind oder in der Türkei. Ich glaube, viele sind da jetzt sehr flexibel, also genau so, wie wenn man in Deutschland, sag ich mal, als Arzt zum Beispiel einfach mal in die Schweiz gehen kann, kehren auch einige mit dieser Motivation zurück, aber auch mit dem Gedanken, ich könnte auch trotzdem irgendwann wieder zurück nach Deutschland. Es ist nicht für die Ewigkeit, denke ich mal, für einige, dass sie sagen, ich kehre jetzt in die Türkei zurück und nie wieder nach Deutschland, sondern dass einfach, für eine gewisse Zeit werde ich in der Türkei arbeiten, aber mal schauen, was das Leben bringt. Und einige können sich sehr gut vorstellen, wieder in Deutschland zu leben und zu arbeiten.
Ich glaube, man muss das auch aus diesem Blickwinkel sehen, dass viele Akademiker da auch sehr flexibel mittlerweile sind: Sie können in London leben, sie können in Paris oder Berlin leben, sie können auch in Istanbul leben auf Zeit, und dann irgendwann wieder zurückkehren. Also ich denke nicht, dass das so ein klarer Cut ist.
Timm: Ich will auch in die schöne Selbstverständlichkeit, mit der Sie uns erzählen, in keiner Weise was mit Gewalt reininterpretieren, aber könnte es sein, dass zumindest einige von Ihnen die ewige Debatte in Deutschland auch nervt?
Turgut: Also, bei mir war es so, also mein Beweggrund war nicht der, dass mich irgendwelche Debatten gestört haben, das war ...
Timm: ... nein, das habe ich verstanden, deswegen meine ich, ob Sie Leute kennen, die vielleicht auch sagen, also ehe ich mich hier aufreibe an dem "Bin ich Türke, bin ich nicht Türke, darf ich, darf ich nicht", haue ich lieber ab! Ich bin jetzt etwas drastisch, aber könnte ja sein?
Turgut: Nein, also auch bei mir war es natürlich auch der Fall, dass mich auch einige Debatten gestört haben, dass man sich, also auch dieses sich ewig verteidigen zu müssen, nervt natürlich manchmal. Da muss man sehen, dass niemand irgendwie daran vorbei kommt. Wenn man türkischstämmig ist und in Deutschland lebt, muss man manchmal ja einiges rechtfertigen, wofür man eigentlich ja nicht irgendwie geradestehen müsste.
Ich bin eigentlich zurzeit sehr froh, dass ich eine Auszeit habe von diesen ganzen Debatten. Ich krieg natürlich auch von hier aus mit die ganze Sarrazindebatte und alles Weitere, was damit zusammenhängt, krieg ich natürlich mit und bin persönlich einfach froh, dass ich eine gewisse Auszeit habe. Ich verfolge hier das zwar mit, aber ich muss mich zurzeit nicht so direkt rechtfertigen, sag ich mal, und das tut einem schon, denke ich, ganz gut, dass man eine Auszeit nehmen kann.
Timm: Ich denke jetzt mal politisch, Frau Turgut: Das heißt, viele von den 40.000 deutsch-türkischen Ausländern, die machen jetzt in Istanbul Karriere, die zahlen in Istanbul Steuern und die bauen in Istanbul als Ingenieure die Brücken, die wir in Deutschland gut hätten brauchen können!
Turgut: Das kommt darauf an, was für eine Sicht Sie haben. Also genau so kann man argumentieren, ja die ganzen Medizinstudenten oder die Ärzte, die in die Schweiz zum Beispiel, in der Schweiz arbeiten ... Also die Deutschtürken hier bilden eine sehr gute Brücke, denke ich auch, eine menschliche Brücke zur Türkei, und die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen sind sehr gut und sehr reich, und da kann sowohl Deutschland als auch die Türkei sehr gut davon profitieren.
Timm: Frau Turgut, wenn ich Ihnen zuhöre, dann muss ich die ganze Zeit an ein sehr schönes, an ein sehr deutsches Wort denken, nämlich Heimat. Hätten Sie das gern im Plural?
Turgut: Also, das erleben wir ja, so leben wir ja eigentlich. Also wir sind nicht zwischen den Kulturen – also es ist nicht so dieses Klischee, ich bin zwischen den Kulturen –, aber die meisten Deutschtürken, die ich kenne, die ja auch hier leben, pendeln ständig nach Deutschland und wieder zurück. Also es ist so, dass man sagen kann, man ist beheimatet in zwei Ländern. Das stimmt schon.
Timm: Rahükal Turgut, eine von 40.000 deutsch-türkischen Auswanderern oder Zwischenwanderern, wie immer Sie wollen. Sie lebt seit einem Jahr in Istanbul. Vielen Dank fürs Gespräch!