Neue Erkenntnisse über Höhlenmalerei

Der Neandertaler war ein Künstler

Höhlenmalerei in der Höhle La Pasiega in Spanien, die von Neandertalern stammt
Höhlenmalerei in La Pasiega in Spanien: älter als 60.000 Jahre. © P. Saura
Dirk Hoffmann im Gespräch mit Ute Welty · 23.02.2018
Rote Linien, Punkte, Teile von Tieren: Die älteste bekannte Höhlenkunst entstand vor über 60.000 Jahren und stammt von Neandertalern. Das hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut dank neuer Messtechnik herausgefunden.
Ute Welty: Das Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie sorgt vielleicht für Aufregung, aber auf jeden Fall für Aufmerksamkeit. Von dort kommt nämlich die Nachricht, dass es Neandertaler waren, die die mit Abstand älteste bekannte Höhlenkunst geschaffen haben. Die Forscher konnten jetzt Malereien in Spanien genauer datieren, und die sind mindestens 64.000 Jahre alt und somit gut 20.000 Jahre vor der Ankunft des Homo sapiens in Europa entstanden. Zu diesen Forschern gehört Dirk Hoffmann. Guten Morgen!
Dirk Hoffmann: Schönen guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was sind das für Malereien, welche Art von Kunst haben unsere Vorfahren in diesen Höhlen in Spanien hinterlassen?
Hoffmann: Wir haben in drei verschiedenen Höhlen in Spanien entsprechend alte Kunst datieren können, und dabei handelt es sich eher um Symbole, also es ist jetzt keine ausgereifte figurative Darstellung von Tieren, sondern in der einen Höhle im Norden, in Kantabrien, die Höhle heißt La Pasiega, handelt es sich um ein Kunstwerk, wo wir eine Anordnung von roten Strichen, die so aussehen, als würde man eine Leiter auf ein Blatt Papier zeichnen wollen, datiert haben.
Das Interessante daran ist, dass um diese Leiter drum herum dann noch alle möglichen anderen Figuren beziehungsweise Symbole zu finden sind, eine Anordnung von roten Punkten, die um eine Ecke drum herum angelegt sind, und in den Rechtecken der Leiter sieht man sogar ganz schwach noch Teile von Tieren, die gezeichnet worden sind. Man muss allerdings dazu sagen, dass diese Tiere auch später hinzugefügt sein könnten. Datiert haben wir diese roten Linien, die das Grundmuster des Motivs sind in …

Proben aus Calcitkrusten

Welty: Diese Malereien waren ja schon länger bekannt. Wie haben Sie jetzt herausgefunden, dass sie noch viel, viel älter sind als gedacht?
Hoffmann: In der Tat, beschrieben sind die schon seit etwa 100 Jahren, und das war ein großes Problem der Kunst gerade in Spanien, dass es da wenig Möglichkeiten gab, die wirklich zeitlich einzuordnen. Konventionell würde man zum Beispiel die Radiokarbonmethode anwenden, aber dafür braucht man ein organisches Pigment, also zum Beispiel Holzkohle, aber die Farbe, die dort benutzt wurde, das ist zum Beispiel Mangan oder Eisenoxyd, da ist nichts Organisches drin, und deswegen haben wir dann das anders gemacht, da man in einer Höhle, Höhlenformation findet, die sich aus Wasser abscheiden – also am bekanntesten sind wohl Stalagmiten, Stalaktiten.
Welty: Der berühmte Tropfstein.
Hoffmann: Ganz genau, aber in ganz kleinen Einheiten findet man das auch an den Höhlenwänden. Das sind so minikleine dünne Calcitkrusten, die nach dem gleichen Prinzip sich bilden wie Stalagmiten, und sowas findet man auch auf den Kunstwerken. Das heißt, nachdem die gemalt wurden, hat sich später dann eine solche Calcitkruste gebildet.
Welty: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass Sie so um die Ecke haben denken müssen?
Hoffmann: Da muss ich natürlich zugeben, dass ich da gar nicht auf die Idee gekommen bin. Der Vorschlag, dass man solche Calcitkrusten nehmen könnte, um ein Mindestalter für die darunter liegende Kunst zu bekommen, das wurde schon um 1980 rum vorgeschlagen. Das Problem war nur immer, dass die Messtechnik und wie man das machen kann, da noch nicht so weit war, dass man diese ganz, ganz kleinen Probenmengen benutzen konnte. Das heißt, es war konzeptionell vorgeschlagen, aber technisch noch nicht anwendbar.
Eine mit Farbpigmenten umblasene Hand an der Wand in der Matlravieso-Höhle in Spanien
Eine Hand an der Wand in der Matlravieso-Höhle: Nur der Neandertaler kommt als Künstler infrage.© H. Collado

Der Homo sapiens kam nicht in Frage

Welty: Was folgt denn jetzt aus diesen neuen Studien, welche Schlüsse lassen sich ziehen?
Hoffmann: Nun, wir haben Mindestalter von über 60.000 Jahren, 64-, 65.000 Jahre für drei verschiedene Kunstwerke in drei verschiedenen Höhlen gefunden, und nach derzeitigem Stand der Dinge kann man daraus schließen, dass alleinig der Neandertaler als Künstler dafür infrage kommt, denn wir haben bislang keinerlei Hinweis, dass der moderne Mensch, Homo sapiens, vor etwa 41-, 42.000 Jahren ist der in Spanien nachweisbar, aber davor haben wir keinerlei Nachweis. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass der dort noch nicht war. Da bleibt nur noch der Neandertaler, denn von dem haben wir Nachweise, dass er dort gelebt hat.
Welty: Würden Sie auch den Satz unterschreiben wollen, der Neandertaler war ein Mensch wie du und ich?
Hoffmann: Das kann man so nicht unterschreiben. Wir wissen, selbstverständlich gab es anatomische Unterschiede, es ist ein unterschiedlicher genetischer Code nachweisbar. Das heißt, von identisch können wir keineswegs reden, aber von ebenbürtig, und wir können aufgrund dessen, was wir lernen aus den archäologischen Funden oder Höhlenkunst, können wir zumindest zwischen dem frühen modernen, also der moderne Mensch von vor 50-, 60.000 Jahren, und dem Neandertaler keinen Unterschied sehen, aber gleichmachen wollte ich da jetzt mal nix.
Welty: Was ist für Sie die spannendste Frage, die die Kunst der Neandertaler vielleicht noch wird beantworten können?
Hoffmann: Bei den Neandertalern haben wir jetzt, wie gesagt, drei Kunstwerke erst einmal datieren können. Die große Frage ist natürlich, wie sieht das jetzt aus mit Figuren, also Darstellungen von Tieren, war auch das sozusagen im Repertoire des Neandertalers vorhanden oder nicht, und dann auch die geografische Frage. Wir haben jetzt die hauptsächliche Arbeit in Spanien gemacht. Wie sieht es in anderen Regionen aus? Also es sind schon noch Fragestellungen offen.
Welty: Der Neandertaler als Künstler, als Schöpfer von sehr alter Kunst, und dazu geforscht hat Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthrolo… Anthropologie in Leipzig. Jetzt habe ich es so oft gesagt heute früh, es hat immer geklappt, beim letzten Mal verspreche ich mich. Herr Hoffmann, haben Sie herzlichen Dank!
Hoffmann: Keine Ursache!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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