Neue Einblicke in den Geburtsvorgang

Von Marieke Degen · 09.01.2011
Millionenfach haben Mediziner Geburten betreut - und trotzdem ist noch nicht vollständig klar, was sich während einer Entbindung im Unterleib der Frau alles abspielt. Um das zu ändern, hat an der Charité jetzt eine Frau ihr Kind in einem Magnetresonanztomografen zur Welt gebracht.
Es ist der 20. November, ein Samstagabend, als Christian Bambergs Telefon klingelt.

"Mit der Frau war ja vereinbart, dass sie sich bei mir meldet, wenn sie Wehen bekommt."

Der Geburtsmediziner macht sich sofort auf den Weg in die Charité, zum Campus Mitte.

"Dann hatte sie schon Wehen, der Muttermund war drei Zentimeter geöffnet, und dann hatte sie wie verabredet eine Periduralanästhesie bekommen, zur Schmerzlinderung."

Nur eine Stunde später ist das Baby auf der Welt: Ein Junge, zweieinhalb Kilogramm schwer. Für Christian Bamberg eine Geburt wie aus dem Bilderbuch.

"Also es war eine ganz unkomplizierte Geburt ohne Auffälligkeiten, es war ja eine Zweitgebährende, das war so von der Ethikkommission verlangt worden, und wirklich ganz komplikationslos ohne Besonderheiten."

Trotzdem war die Geburt weltweit einmalig: Denn die Frau hat ihr Kind in einem Magnetresonanztomografen zur Welt gebracht. Mithilfe des MRT konnten die Forscher praktisch in den Unterleib hineinschauen. Und beobachten, was genau sich während der Geburt dort abspielt.

"Und in dem MRT sieht man jetzt wirklich das erste Mal die knöchernen Strukturen, das Becken von der Patientin, ihre Wirbelsäule, aber auch die Wirbelsäule des Kindes. Und auch Weichteile. Wir können das erste Mal Muskulatur sehen und auch in welcher Beziehung das zueinander steht."

Die Probandin musste sich aber nicht in eine enge Röhre zwängen. Die Geburt fand in einem offenen Magnetresonanztomografen statt. Dieses MRT besteht aus zwei runden Scheiben: Eine Scheibe schwebt über dem Patienten, eine unter ihm. Die schwangere Frau konnte sich also in alle Richtungen bewegen. Eigentlich ist das Gerät für Übergewichtige entwickelt worden, und für Patienten, die in einer Röhre Panik bekommen. Felix Güttler, Ingenieur und Projektleiter.

"Der Vorteil von dieser Bauweise ist, dass man einen guten Zugang zu den Patienten hat, oder in diesem Fall zu der Schwangeren, das heißt, wir können von den Seiten herantreten und haben fast 360 Grad Zugang, das gibt es natürlich in der Röhre nicht. Wir können auch die Monitore ranschieben, so dass man direkt wie im Kreißsaal sich sozusagen dort bewegen kann."

Die Sicherheit von Mutter und Kind stand an erster Stelle. Die Forscher wollten unbedingt die Herztöne des Babys überwachen. Sie mussten dafür extra ein Gerät entwickeln, das in der Nähe eines Magnetresonanztomografen funktioniert. Normalerweise werden elektrische Geräte nämlich durch das enorme Magnetfeld des MRT gestört.

"Im Normalbetrieb ist das Gerät noch ein bisschen lauter. Deshalb mussten wir auch Gehörschutze für das gesamte Personal hier haben, auch natürlich für die Schwangere und deshalb war auch ein Kriterium, dass abgebrochen wird in dem Moment, wo der Kopf zu sehen ist. Damit wir keine Gehörschädigung oder so was auch nur ansatzweise haben könnten."

Die Forscher haben gestochen scharfe Schwarz-Weiß-Bilder vom Unterleib der Schwangeren aufgenommen. Sie haben sogar einen Film gedreht. Felix Güttler zeigt ihn im Zeitraffer auf seinem Notebook. Ganz deutlich ist zu sehen, wie das Kind mit seinem Kopf in den Geburtskanal stößt, wie es sich quasi vorwärts schraubt. Die Arme und Beine überkreuz.

"Das war der erste Ausbruchsversuch sozusagen des Kindes, den Sie hier jetzt sehen, das heißt, da war eine Wehe, und hier sieht man jetzt die Drehbewegung des Kopfes, das Köpfchen dreht sich zur Seite, um durch den Geburtskanal zu kommen, das ist eine Seitwärtsbewegung des Kopfes."

Das Baby windet sich an Schambein und Steiß vorbei. Sein Kopf wird dabei ein bisschen in die Länge gezogen.

"Und in dem Moment, hier sehen Sie auch schon im MR-Bild die Hand vom Geburtshelfer, wie sie dann da entgegeneilt und das Köpfchen stützt, und da kommt die zweite Hand dazu, und das ist der Moment, wo wir abbrechen mussten."

Die Aufnahmen sollen den Forschern dabei helfen, die hochkomplexen Bewegungsabläufe bei einer Geburt besser zu verstehen. Vielleicht wird dann auch klar, warum es bei manchen Frauen zu Komplikationen kommt. Christian Bamberg:

"Was ist die Ursache, dass bei circa 10, 15 Prozent der Frauen es zu einem Geburtsstillstand kommt und wir müssen doch einen Kaiserschnitt machen. Und unser Ziel ist es, das besser zu verstehen und die Rate an diesen sekundären Kaiserschnitten, also im Geburtsverlauf auftretenden Kaiserschnitten zu reduzieren, weil die können sehr unangenehm sein für Mutter und Kind, es kann zu mehr Blutungen führen und so weiter."

Die Forscher wollen noch fünf weitere Geburten filmen und dann eine erste kleine Studie veröffentlichen. Schwangere Interessentinnen gibt es genug. Die nächste Geburt soll noch im Januar im offenen MRT stattfinden.