Neue Bischöfin für neue Kirche
Am 29. August wird im Dom zu Magdeburg eine Frau in das wichtigste geistliche Amt der neu gegründeten Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands eingeführt. Ilse Junkermann heißt sie, ist 52 und bisher Oberkirchenrätin in Stuttgart. Sie wird nun die Evangelische Kirche in Sachsen-Anhalt und Thüringen repräsentieren.
In einer Kirche in Mitteldeutschland. Die Bischöfin in spe betritt ehrfürchtig den Raum. Er ist denkmalgeschützt, wie die meisten Kirchen ihrer neuen Landeskirche im Stammland der Reformation. Diese hier zum Beispiel, die Herderkirche in Weimar, atmet Geschichte aus fünf Jahrhunderten. Ilse Junkermann, die Frau mit wachen Augen hinter einer dezenten roten Brille, liest aufmerksam die Details, decodiert mühelos die Ikonografie. Deutet die Inschriften.
"Die Gebäude sprechen, sind ja Ausdruck von Glaubenszeugnissen. Also hier, das Tetragramm, die hebräischen Buchstaben für das Wort 'Gott' in der hebräischen Bibel, sagt ja ganz viel: wie hängen wir zusammen - jüdisch-christliche Kultur."
Sie kommt aus dem pietistischen Württemberg, hat als Kind evangelikale Prägung mitbekommen. Doch die viele Angst vor dem Leben hatte ihr nicht eingeleuchtet. Sie ahnte, da ist mehr. Nun bezieht sie sich auf Karl Barth und seine Schüler, zitiert mühelos aus der feministischen Theologie. Jede Generation, so sagt Ilse Junkermann, muss ihre Bibel selbst lesen.
"Ich glaube, die größte Herausforderung ist, zu einer theologischen Existenz zu kommen. Das heißt: Theologie zu treiben und Verkündigung mit einer eigenen Beteiligung. Also nicht, Richtigkeiten zu sagen, und ein gutes System, was zu erfassen und korrekt, sondern dieses - das ist unbedingt Vorraussetzung: Was ist das für mich?"
Ilse Junkermann kommt in eine Region, in der fast in jedem Dorf eine evangelische Kirche steht. Die ohnehin schon überschaubare Zahl der Kirchenmitglieder - in der EKM gut 900.000 - sinkt drastisch. Die frisch fusionierte Kirche Mitteldeutschlands wird dramatisch kürzen müssen.
"Eine große Herausforderung ist: Bleiben wir auf der gesamten Fläche präsent mit Parochien? Oder bilden wir andere Gemeinden? Ist es zu leisten bei den wenigen, die noch da sind? Können wir in allen Kirchen noch Gottesdienst feiern?"
Sie möchte kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermuntern, beherzt weg zu lassen, um weniger besser hin zu bekommen. Das wird harte Arbeit. Ilse Junkermann will sie moderieren. Sie versteht sich als Impulsgeberin und geistliche Begleiterin. Zuhören kann sie gut. Wahrnehmen. Feine Töne bekommt sie mit, und geht damit um. Ist klar und strukturiert. Sie leitet bisher das Personaldezernat der Württembergischen Landeskirche. Während es etliche ihrer bisherigen Kollegen nicht wundert, dass sie Bischöfin wird, weil sie ihr mehr zu trauen, war sie über die Anfrage verblüfft. Und dachte spontan:
"Ausgeschlossen. Das ist vollkommen daneben, das ist undenkbar. Und hab das auch sofort gesagt: Ich bin geschieden, ich bin 'ne Frau, ich bin aus dem Westen, mein Sohn hat direkt sein Abitursjahr, da kann ich nicht weggehen."
Doch dann habe sie mit dem Gedanken geflirtet. Und dachte gleich: zum Flirten bin ich mit über 50 eigentlich zu alt, ich prüfe das mal ernsthaft. Dann ist sie hergekommen, hat sich Land und Leute angesehen, den Fusionsprozess der beiden Kirchen - lutherisch Thüringen und Kirchenprovinz Sachsen. Und das hat sie angesprochen. Das Kirchenparlament hat mit sich diskutiert und erst im dritten Wahlgang aber da doch sehr eindeutig für sie votiert.
"Und es war eine große Freude, als sie gesagt haben 'Ja'. Ich war erstaunt, wie sehr ich mich gefreut habe. Und das merke ich jetzt auch beim Erzählen."
Auf den ersten Blick könnte man sie unterschätzen, die Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt. Sie wirkt eher unscheinbar. Ihre Stärke wird deutlich, sobald man mit ihr redet. Sie kann wahrnehmen, verstehen, präzise einordnen.
Es sind nur ein paar Schritte von der Kirche auf den Markt. Die Bauerntochter fühlt sich hier nicht unwohl. Im Gegenteil. Kirche ist in die Öffentlichkeit gestellt, sagt sie. Hier gehört sie hin. Zwischen Blumenständen und Bratwurstgrill steht sie in ihrem großgeblümten Kostüm, und sagt, warum:
"Gott hat diese ganze Welt geschaffen, er will sie erhalten, er errettet sie, und er wird sie neu schaffen. Sie gehört ihm. Und dieses zu bezeugen, und auch in den politischen Diskurs einzubringen, zu sagen: Jeder Mensch hat deswegen als Geschöpf einen Auftrag für diese Welt und das Gemeinwesen mit zu gestalten. Er ist auch nicht für sich alleine da, er ist in diese Welt gesetzt."
Seit 20 Jahren ist Ilse Junkermann Mitglied bei Pro Asyl. Seelenruhig am Mittelmeer Billigurlaub zu machen, wo dort jährlich zehntausend Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken - das kann sie nicht, will es nicht. Jahrelang hat sie Flüchtlingsarbeit gemacht, sich um Deutschkurse gekümmert, um Nachhilfe für die Kinder, um Verständnis in der Politik.
Nun arbeitet sie sich ein in die neue Region, in Mitteldeutschland. Liest von Joachim Maatz den "Gefühlsstau", das Standardwerk für alle, die wissen wollen, wie der Ossi so tickt. Magdeburg wird als Bischofssitz ihre neue Heimat, von dort pendelt sie nach Erfurt, wo das Kirchenamt stehen wird, wenn es fertig ist. Sie wird viel auf den Landstraßen zwischen Stendal und Suhl unterwegs sein
In einem Straßencafe redet Ilse Junkermann von ihrer Familie, von ärmlichen Verhältnissen im Hohenloheschen, Nordwürttemberg. Sie wollte nur weg. Einzige Möglichkeit: das Gymnasium.
"Da habe ich sehr vor allem mit meiner Mutter gekämpft, dass ist das durfte: aufs Gymnasium gehen, Latein lernen war unvorstellbar."
Außerdem musste das Mädchen parallel zum Latein erst einmal Hochdeutsch lernen. Vorher, so hatte es die Lehrerin angeordnet, dürfe sie sich im Unterricht nicht melden. Ein Trauma. Sie hörte anderen zu, las viel, und nach anderthalb Jahren klappte es. Ilse Junkermann hat sich durchgebissen. Allein. Die Eltern konnten nicht helfen. Ihre Begeisterung für die Bibel ließ sie Theologie studieren.
"Es war für mich ausgeschlossen, Pfarrerin zu werden. Ich dachte: ich kann mit irgendwas mein Geld verdienen, ich kann arbeiten, ich arbeite gern. Und ich habe es sehr genossen, das Studium."
Sie wird doch Vikarin, dann Pfarrerin, Studienleiterin, Oberkirchenrätin und nun Bischöfin. Und was ist die Ilse Junkermann für eine?
"Ne Lustige. Also: ich freu mich gerne. Aber auch 'ne strenge. Also: mir ist dran gelegen, wenn jemand was anfängt, dass er es auch zu Ende macht. Auch ich selber."
Ilse Junkermann kann kämpfen. Eine schwere Lektion hieß: Es ist erlaubt, zu scheitern. Sie beendete ihre Ehe mit einem psychisch kranken Mann. Sie wird ernst, wenn sie davon redet. Und es ist deutlich: der Schritt war eine Erleichterung, auch für ihren Sohn Justus Jonas, der jetzt 18 ist.
'Frau, geschieden, Wessi'? Ilse Junkermann ist eine erfahrene Frau. Das wird der EKM gut tun. Beides, ihre Weisheit und ihr Frau-Sein. Und der wahrnehmende Blick von außen.
"Die Gebäude sprechen, sind ja Ausdruck von Glaubenszeugnissen. Also hier, das Tetragramm, die hebräischen Buchstaben für das Wort 'Gott' in der hebräischen Bibel, sagt ja ganz viel: wie hängen wir zusammen - jüdisch-christliche Kultur."
Sie kommt aus dem pietistischen Württemberg, hat als Kind evangelikale Prägung mitbekommen. Doch die viele Angst vor dem Leben hatte ihr nicht eingeleuchtet. Sie ahnte, da ist mehr. Nun bezieht sie sich auf Karl Barth und seine Schüler, zitiert mühelos aus der feministischen Theologie. Jede Generation, so sagt Ilse Junkermann, muss ihre Bibel selbst lesen.
"Ich glaube, die größte Herausforderung ist, zu einer theologischen Existenz zu kommen. Das heißt: Theologie zu treiben und Verkündigung mit einer eigenen Beteiligung. Also nicht, Richtigkeiten zu sagen, und ein gutes System, was zu erfassen und korrekt, sondern dieses - das ist unbedingt Vorraussetzung: Was ist das für mich?"
Ilse Junkermann kommt in eine Region, in der fast in jedem Dorf eine evangelische Kirche steht. Die ohnehin schon überschaubare Zahl der Kirchenmitglieder - in der EKM gut 900.000 - sinkt drastisch. Die frisch fusionierte Kirche Mitteldeutschlands wird dramatisch kürzen müssen.
"Eine große Herausforderung ist: Bleiben wir auf der gesamten Fläche präsent mit Parochien? Oder bilden wir andere Gemeinden? Ist es zu leisten bei den wenigen, die noch da sind? Können wir in allen Kirchen noch Gottesdienst feiern?"
Sie möchte kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermuntern, beherzt weg zu lassen, um weniger besser hin zu bekommen. Das wird harte Arbeit. Ilse Junkermann will sie moderieren. Sie versteht sich als Impulsgeberin und geistliche Begleiterin. Zuhören kann sie gut. Wahrnehmen. Feine Töne bekommt sie mit, und geht damit um. Ist klar und strukturiert. Sie leitet bisher das Personaldezernat der Württembergischen Landeskirche. Während es etliche ihrer bisherigen Kollegen nicht wundert, dass sie Bischöfin wird, weil sie ihr mehr zu trauen, war sie über die Anfrage verblüfft. Und dachte spontan:
"Ausgeschlossen. Das ist vollkommen daneben, das ist undenkbar. Und hab das auch sofort gesagt: Ich bin geschieden, ich bin 'ne Frau, ich bin aus dem Westen, mein Sohn hat direkt sein Abitursjahr, da kann ich nicht weggehen."
Doch dann habe sie mit dem Gedanken geflirtet. Und dachte gleich: zum Flirten bin ich mit über 50 eigentlich zu alt, ich prüfe das mal ernsthaft. Dann ist sie hergekommen, hat sich Land und Leute angesehen, den Fusionsprozess der beiden Kirchen - lutherisch Thüringen und Kirchenprovinz Sachsen. Und das hat sie angesprochen. Das Kirchenparlament hat mit sich diskutiert und erst im dritten Wahlgang aber da doch sehr eindeutig für sie votiert.
"Und es war eine große Freude, als sie gesagt haben 'Ja'. Ich war erstaunt, wie sehr ich mich gefreut habe. Und das merke ich jetzt auch beim Erzählen."
Auf den ersten Blick könnte man sie unterschätzen, die Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt. Sie wirkt eher unscheinbar. Ihre Stärke wird deutlich, sobald man mit ihr redet. Sie kann wahrnehmen, verstehen, präzise einordnen.
Es sind nur ein paar Schritte von der Kirche auf den Markt. Die Bauerntochter fühlt sich hier nicht unwohl. Im Gegenteil. Kirche ist in die Öffentlichkeit gestellt, sagt sie. Hier gehört sie hin. Zwischen Blumenständen und Bratwurstgrill steht sie in ihrem großgeblümten Kostüm, und sagt, warum:
"Gott hat diese ganze Welt geschaffen, er will sie erhalten, er errettet sie, und er wird sie neu schaffen. Sie gehört ihm. Und dieses zu bezeugen, und auch in den politischen Diskurs einzubringen, zu sagen: Jeder Mensch hat deswegen als Geschöpf einen Auftrag für diese Welt und das Gemeinwesen mit zu gestalten. Er ist auch nicht für sich alleine da, er ist in diese Welt gesetzt."
Seit 20 Jahren ist Ilse Junkermann Mitglied bei Pro Asyl. Seelenruhig am Mittelmeer Billigurlaub zu machen, wo dort jährlich zehntausend Menschen auf der Flucht nach Europa ertrinken - das kann sie nicht, will es nicht. Jahrelang hat sie Flüchtlingsarbeit gemacht, sich um Deutschkurse gekümmert, um Nachhilfe für die Kinder, um Verständnis in der Politik.
Nun arbeitet sie sich ein in die neue Region, in Mitteldeutschland. Liest von Joachim Maatz den "Gefühlsstau", das Standardwerk für alle, die wissen wollen, wie der Ossi so tickt. Magdeburg wird als Bischofssitz ihre neue Heimat, von dort pendelt sie nach Erfurt, wo das Kirchenamt stehen wird, wenn es fertig ist. Sie wird viel auf den Landstraßen zwischen Stendal und Suhl unterwegs sein
In einem Straßencafe redet Ilse Junkermann von ihrer Familie, von ärmlichen Verhältnissen im Hohenloheschen, Nordwürttemberg. Sie wollte nur weg. Einzige Möglichkeit: das Gymnasium.
"Da habe ich sehr vor allem mit meiner Mutter gekämpft, dass ist das durfte: aufs Gymnasium gehen, Latein lernen war unvorstellbar."
Außerdem musste das Mädchen parallel zum Latein erst einmal Hochdeutsch lernen. Vorher, so hatte es die Lehrerin angeordnet, dürfe sie sich im Unterricht nicht melden. Ein Trauma. Sie hörte anderen zu, las viel, und nach anderthalb Jahren klappte es. Ilse Junkermann hat sich durchgebissen. Allein. Die Eltern konnten nicht helfen. Ihre Begeisterung für die Bibel ließ sie Theologie studieren.
"Es war für mich ausgeschlossen, Pfarrerin zu werden. Ich dachte: ich kann mit irgendwas mein Geld verdienen, ich kann arbeiten, ich arbeite gern. Und ich habe es sehr genossen, das Studium."
Sie wird doch Vikarin, dann Pfarrerin, Studienleiterin, Oberkirchenrätin und nun Bischöfin. Und was ist die Ilse Junkermann für eine?
"Ne Lustige. Also: ich freu mich gerne. Aber auch 'ne strenge. Also: mir ist dran gelegen, wenn jemand was anfängt, dass er es auch zu Ende macht. Auch ich selber."
Ilse Junkermann kann kämpfen. Eine schwere Lektion hieß: Es ist erlaubt, zu scheitern. Sie beendete ihre Ehe mit einem psychisch kranken Mann. Sie wird ernst, wenn sie davon redet. Und es ist deutlich: der Schritt war eine Erleichterung, auch für ihren Sohn Justus Jonas, der jetzt 18 ist.
'Frau, geschieden, Wessi'? Ilse Junkermann ist eine erfahrene Frau. Das wird der EKM gut tun. Beides, ihre Weisheit und ihr Frau-Sein. Und der wahrnehmende Blick von außen.