Neue Ansprüche an katholische Priester

Vom strengen Hirten zum Teamplayer

08:31 Minuten
Vier Männer in weißen Gewändern liegen ausgestreckt aus dem Boden, im Hintergrund befinden sich der Altar und weitere Männer.
Priesterweihe in Frankreich: Die in den Priesterstand erhobenen Männer legen sich auf den Boden, während die Zustimmung der Heiligen erbeten wird. © picture alliance / Godong
Von Michael Hollenbach · 03.10.2021
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Viele Katholiken wollen die Rolle des Priesters neu definieren: weg vom Kleriker, hin zu einem Gemeindeleiter, der sich als Teamplayer versteht. Doch dafür muss sich mehr ändern als die persönliche Einstellung der Priester.
Die Diakonenweihe ist der erste Schritt auf dem Weg zum Priesteramt. Feierlich werden die Kandidaten während der Messe vom Bischof gefragt: "Seid ihr bereit zum Zeichen eurer Hingabe an Christus, den Herrn, um des Himmelreiches Willen ehelos zu leben und für immer eurem Vorsatz treu zu bleiben, in dieser Lebensform Gott und den Menschen zu dienen?"
"Ich bin bereit", antworten die Männer einstimmig. Keine Ehe, keine sexuelle Beziehung – dafür dürfen die Priester auf das Himmelreich hoffen.

Bekenntnis zu Gehorsam gegenüber dem Bischof

Wenn die angehenden Kapläne dann später zum Priester geweiht werden, treten sie abermals vor den Bischof: "Seid ihr bereit, unter der Führung des Heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn zu leiten?", heißt es diesmal.
"Der Weihekandidat muss alle möglichen Versprechen abgeben, und dann kommt aber die Steigerung des Ganzen in dem letzten Akt dieser Abfrage", sagt Julia Knop, Professorin für katholische Dogmatik an der Universität Erfurt. Bei der Priesterweihe wird er unter anderem gefragt: "Versprichst du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?" Die Antwort: "Ich verspreche es."
Doch nicht nur das Gesagte sei wichtig bei der Priesterweihe, sagt Knop: "Da verändert sich auch die Zeichensprache. Bei den ersten Versprechen steht der Weihekandidat vor dem Bischof, und bei diesem Gehorsamsversprechen kniet er vor dem Bischof und legt seine gefalteten Hände in die des Bischofs. Das ist eine Zeichensprache, die für unsere Zeit ganz fremd ist und dieses Standesdenken wieder aufruft, aber auch eine ganz enge psychologische Bindung und eine Übereignung des eigenen Gehorsams an eine andere Person darstellt."

Die Weihe als Aufnahmeritus

Die Zeremonie der Priesterweihe ist für Julia Knop zugleich eine Art Aufnahmeritus in die Kaste der Geistlichen: "Später kommt noch mal nach der Handauflegung des Bischofs die Handauflegung des gesamten Presbyteriums. Wenn man sich das anschaut, dann hat das etwas von Aufnahme in eine besondere Gruppe, die auch ganz stark symbolisch aufgeladen ist. Da sieht man sehr deutlich die Aufnahme in einen Stand."
Nachdem die in der Regel jungen Männer zu Priestern geweiht wurden, legen sie sich flach auf den Boden, während minutenlang die Zustimmung der Heiligen erbeten wird. Die Priester Björn Schulze und Christof Anselmann erinnern sich an diesen besonderen Tag. "Es ist ein wahnsinnig aufregender Tag, das ähnelt auch der Hochzeit von einem Paar", sagt Schulze. "Man stellt sich halt in diese Nachfolge, wo man sagt, es ist was Größeres als mein Leben insgesamt, dem man sich da zur Verfügung stellt", fügt Anselmann hinzu.
Doch auch Zweifel gehörten für Schulze dazu.
"Bei meiner Priesterweihe war das auch so, dass ich da von einer großen Freude erfüllt war aber auch gleichzeitig von dem Gedanken: Werde ich dem gerecht werden können, mein Leben lang? Man hat sich jahrelang darauf vorbereitet und nun ist es soweit. Da ist klar, dass man auch darüber nachdenkt: Wie kann ich dieses Priestersein konkret leben? Und dass das jetzt eine Entscheidung ist, die wirklich tiefgreifend ist."

Überhöhung einer autoritären Amtsführung

Von den rund 12.000 katholischen Priestern in Deutschland rechnet der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner ein gutes Drittel dem klerikalen Typus zu.
"Wir sehen, dass zeitgemäße Gemeindeleiter ganz wenig autoritär sind. Unter den Klerikern, die klerikal sind, sind wesentlich mehr autoritär, und Autoritarismus ist nach Adorno eine Persönlichkeitseigenschaft. Das sind Ich-schwache Personen, die durch Unterwerfung anderer sozusagen für sich in ihrer persönlichen Lebensführung einen Zugewinn haben. Und das wird nun überhöht durch die Theologie des Priesteramtes, dass der Priester ein ganz herausgehobener ist, indem er gleichsam das Gesicht Gottes unter den Menschen ist. Und diese beiden mischen sich gleichsam toxisch zusammen und deformieren dann das Priesteramt zum Klerikalismus."
Also: zu einem Amtsverständnis, bei dem das Priestertum theologisch und rituell überhöht wird. Ein weiterer Faktor seien aber auch die Erwartungen vieler Gemeindemitglieder, so Zulehner, "die eher einen Priester im Leute-religiösen Sinn erwarten. Der muss dann auch gleichsam der Repräsentant einer anderen Welt sein. Der muss sich anders kleiden, der redet anders, der lebt auch anders. Auch die ehelose Lebensform wird von vielen damit in Verbindung gebracht, dass diese Männer nicht mehr von dieser Welt sind. Das heißt: Die Überhöhung erfolgt nicht nur durch die Theologie, sondern auch aus der Rezeption der Priester durch das einfache Volk. Wenn man eine Priesterweihe anschaut und vergleicht mit der Zelebration einer Taufe, dann sieht man die Unterschiede sehr krass."

Standesunterschiede in Kleidung und Sitzordnung

Doch es bleibt nicht bei der Priesterweihe. Bei jeder Messfeier präsentieren sich die Priester als Vertreter eines besonderen Standes, sagt Julia Knop.
"Wenn wir in der Liturgie schauen: Wir haben ganz starke Differenzmarkierungen. Das fängt bei der liturgischen Kleidung an, das geht weiter bei der Raumordnung: Wer sitzt auf welchem Stuhl, wer übernimmt welche Aufgabe?"
So werden Pastoralreferentinnen und -referenten unter anderem über die Kleidung und die Sitzordnung daran erinnert, dass sie nicht Gleiche unter Gleichen sind. Der entscheidende Unterschied in der Messfeier ist die Eucharistie. Denn das Geheimnis des Glaubens, die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, vollzieht sich unter den offenbar magischen Händen des Geistlichen. Kaplan Björn Schulze empfindet es so.
"Es ist nun mal so, dass die Kirche sichtbare Zeichen hat, in denen eigentlich dieses unaussprechliche Geheimnis, das wir Gott nennen, sichtbar wird. Und in diesem Moment repräsentiere ich Christus. Das ist ein unheimlich großer Anspruch, aber da ist auch die Gewissheit: Diesem Anspruch werde ich eh nie genügen können. Ich bin ein Werkzeug, wenn man das so sagen möchte. Gott wirkt durch mich, und dadurch geschieht Wandlung. Man darf natürlich der Gefahr nicht anheimfallen, zu denken, dass man dadurch etwas Besseres wäre."

Geistliche als quasi heilige Wesen

Wenn der Priester als Werkzeug Gottes agiert, wenn Jesus durch ihn wirkt, dann ist der Schritt nicht weit, den Geistlichen als ein quasi heiliges Wesen zu betrachten – näher bei Gott als alle anderen. Julia Knop weiß um die Gefahren der priesterlichen Überhöhung in der katholischen Kirche – einer Überhöhung, die eigentlich überholt sein sollte.
"Das ist ja eine anachronistische, soziologische Kategorie, die wir im kirchlichen Leben und im Kirchenrecht weiterhin mit uns führen, und dass das mit heutigen gesellschaftlichen Vorstellungen eigentlich nicht mehr übereingeht und kaum mehr vermittelbar ist, das liegt doch auf der Hand."
Doch der Typus des klerikalen Priesters ist keine aussterbende Art. Ganz im Gegenteil, meint der Pastoraltheologe Paul Zulehner: "Meine Beobachtung – und ich teile sie mit vielen – geht dahin, dass die weltoffenen Gemeindeleiter wegen des Filters der Ehelosigkeit immer weniger ins Priesteramt finden. Das heißt, es bleiben eher jene anderen übrig, die zum Klerikalismus neigen, wegen ihrer Persönlichkeitsstruktur, und denen das sehr willkommen ist. Das heißt, es gibt unter den jüngeren Priestern wieder erheblich mehr, die zum Klerikalismus neigen, statt dass sie synodal in einer Gemeinde ihren Dienst machen."
Zulehner zieht daraus den Schluss: "Der Kampf des Papstes gegen den Klerikalismus ist ein Kampf gegen Windmühlen."
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