Neue Ästhetik der Bilder

Von Laf Überland |
Radio zum Mitnehmen: Der iPod hat die Rundfunklandschaft verändert. Der Video-Pod stellt die Musikindustrie vor neue Herausforderungen. Vidoclips mit neuer Bildästhetik für das Taschenformat sind gefragt.
Es liegt im Wesen der Marktwirtschaft, dass mit immer schneller werdenden Innovationszyklen auch dem Konsumenten immer neue Verlagerungen seines Lebensumfelds auf den Leib analysiert werden, besonders aber in jenem Bereich, der die per se schnelllebige Popmusik mit den unruhig herumstreunenden Jugendlichen verschaltet.

Als vor gut einem viertel Jahrhundert der Walkman seine ersten Runden joggte, da trieb das die mahnenden Zeigefinger von Kulturpessimisten und Sozialpädagogen in die Höhe, die vor der Isolation des für sich selbst walkenden Musik-Kopfhörers warnten. Seitdem wurde das Musikhören von jeglicher räumlichen Begrenztheit entbunden - keine Verstärker, keine CD-Regale mehr, und auch das Auswahl-Angebot der in Feuerzeuggröße gespeicherten Musik sprengt schnell das der meisten CD-Sammlungen. Das früher mühevolle Zusammenstellen von Mixtapes für Freunde passiert per Mausklick, und die stets veränderbare Playlist ersetzt die kleine und statische CD.
Dann aber begann der iPod, wie das markenträchtigste MP3-Gerät heißt, auch die Radiolandschaft zu verändern, denn wer jetzt mit Musik berieselt werden will, ohne eine CD aussuchen zu müssen, muss keine Dudelsender mehr einschalten.

Das möglicherweise folgenreichste Ereignis des vorigen Jahres für die Popwelt war vermutlich die Einführung der Podcast-Funktion in die Downloadsoftware iTunes, mit der Apple seine multimillionenfach verkauften iPods musikalisch befüllen lässt. Mit Radio, wie man es seit Jahren vermisste. Mit Einführung der Podcasts nämlich wurden zahlreiche Radiosendungen zeit- und ortsunabhängig verfügbar; angeboten werden inzwischen auch anspruchsvolle Inhalte zum Mitnehmen - auch übrigens vom Deutschlandradio Kultur.

Innerhalb nur eines Jahres zog der iPod-Pflug seine Verwerfungen aber nicht nur durch den Hörfunk, als die Firma nämlich ein halbes Jahr nach Podcasting auch den videofähigen iPod vorstellte, weshalb jetzt Hinz und Kunz und Melanie und Ringo sich Videos aus dem Netz laden und Privatleute ihre eigenen kleinen Fernsehsendungen ins Netz stellen können. Aus Köln sendet mit großer Aufmerksamkeit der Szene bereits das erste deutsche Internet-TV "Ehrensenf" - was nichts anderes ist als ein Anagramm von "Fernsehen" - und auch die täglich neuen fünf Minuten fassen sich so ähnlich auf, als verdrehtes, gewendetes, sich neu sortierendes Fernsehangebot: umsonst, aus dem Netz runterzuladen.

Videos auf dem MP3-Player: Das dürfte zu einer wahrhaft bereichernden Veränderung der Ästhetik der Musikvideos führen, wenn die demnächst nicht mehr hauptsächlich für Widescreen-Bildschirme gemacht werden, sondern für die Ansicht in Briefmarkengröße. Da kann man die Goldkettchen und die großen Augen der Mädels doch gar nicht mehr erkennen. Dafür müssen dann völlig neue Effekte erdacht werden, die die subtile Bildfeinheit durch sublime Wirkung ersetzen: Man erinnert sich da an jenes legendäre japanische Computerspiel, das psychogene Lichteffekte eingesetzt hatte und bei nicht wenigen Spielern epileptische Anfälle auslöste. An Leistungsfähigkeit sollten es die MP3-Maschinchen nicht fehlen lassen.

Und vielleicht sogar kommt ja der Musikindustrie der Video-Pod ganz gelegen: Denn nach all den Champagner auf nackte Frauenhaut verspritzenden dicken schwarzen Männern mit Goldketten, die den turbo-speed-mäßig forschenden Kreativ-Explosionen ja folgten, da ging den Videomachern doch allmählich die Luft aus. Nur einzelne Musik-Bild-Synergie-Forscher brachten noch interessante Ideen, und nicht zufällig laufen inzwischen bei MTV und Viva fast mehr Spielhows als Clips.
Musikvideo als Kunstform, in den Neunzigern erfunden, fordert jedenfalls kaum noch die Synapsen der Zuschauer, stattdessen kommen die inzwischen in edlen DVD-Serien auf den Liebhaber-Markt. Zumindest wird es interessant sein zu beobachten, welche Bestandteile der visuellen Pop-Kunst sich als formatübergreifend, also als wesentlich erweisen.

Einen ersten Vorstoß gibt es allerdings auch da bereits: Die amerikanische Band The Presidents of the United States of America hat das Video zu ihrer aktuellen Single ausschließlich mit Kamera-Handys aufgenommen.