Neudeck: Hilfe auf wenige Länder Afrikas konzentrieren

Moderation: Vladimir Balzer |
Der Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, Rupert Neudeck, hat scharfe Kritik an der europäischen Afrika-Politik geübt. Das Gießkannenprinzip in der Entwicklungshilfe müsse aufgegeben werden, forderte Neudeck. Stattdessen sollte sich die Hilfe auf wenige vorbildliche Staaten konzentrieren. Andere Länder versuchten dann diesen nachzueifern.
Vladimir Balzer: Als "historisch" wurde dieses Treffen ja zu Beginn angekündigt, das Treffen europäischer und afrikanischer Regierungsschefs in Lissabon - über 40 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit. Doch was war mit "historisch" gemeint? Und was haben am Ende die beiden Kontinente von diesem Gipfel? Wer profitiert von ihm? Afrika? Europa? Hat es beide gar auf Augenhöhe gebracht?

In diesen Fragen ein aktiver Musiker ist Bob Geldorf. Und er hat sich im Vorfeld des Gipfels im Deutschlandfunk dazu geäußert:

"Die Europäische Kommission hat neue Wirtschaftsabkommen mit Afrika vereinbart, aber diese werden Afrika wieder aufgezwungen. Die Regeln der Welthandelsorganisation besagen, dass die seit sieben Jahren dauernden Verhandlungen vor dem 30. Dezember dieses Jahres abgeschlossen sein müssen. Sie setzen den kleinen, schwachen Ökonomien buchstäblich die Pistole auf die Brust und sagen, unterzeichnet dieses Abkommen jetzt, oder wir werden zu dem beschwerlichen System zurückkehren, das es vor den neuen Abkommen gab. So zwingen sie kleine Länder wie zum Beispiel Lesotho, ihre Märkte ganz zu öffnen. Können Sie sich vorstellen, Lesotho öffnet seine Märkte für einen Wirtschaftsgiganten wie Deutschland? Das ist lächerlich! Die werden doch überschwemmt. Deutschland hat keinen einzigen Vorteil davon und Lesotho sowieso nicht. Die Verhandlungen müssen deshalb eine entwicklungspolitische Komponente haben und die gibt es nicht. Wir führen uns ein bisschen auf wie ein Tyrann."

Balzer: Der Musiker Bob Geldorf im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels von Lissabon. Also doch kein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen EU, zwischen Europa und Afrika? Das will ich jetzt fragen Rupert Neudeck, Menschenrechtler, Journalist, Gründer der Hilfsorganisation Cap Anamur und jetzt Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, die Entwicklungsprojekte u. a. in Afrika betreut. Schönen guten Morgen, Herr Neudeck!

Rupert Neudeck: Ja, guten Morgen!

Balzer: Die meisten Beobachter sagen ja, dieser Gipfel sei gescheitert. Wenn man sich das nicht unterzeichnete Handelsabkommen anschaut, dann liegt diese Vermutung ja durchaus nahe, aber es gibt ja andere Themen auf diesem Gipfel oder gab es, die Geschichte beider Kontinente, die Menschenrechte. Was hat dieser Gipfel also aus Ihrer Sicht gebracht?

Neudeck: Ich vermute, gar nichts, weil er erst mal ein Remake war dessen, was die Chinesen viel besser im letzten Jahr gemacht haben, die haben ja alle Staatschefs Afrikas nach Peking geholt und haben das ohne solchen großen Bohei gemacht und hatten nicht die Notwendigkeit, unter Druck, das hat Bob Geldof richtig gesagt, unter Zwang und Druck ein Welthandelsabkommen für Afrika durchzusetzen.

Und das Zweite ist, wir sind ja, wir tun ja immer so, als ob wir Weltmeister seien in universalen Menschenrechten, aber die Europäer hätten ganz anders beginnen müssen. Dieses Afrika versteht uns nicht als Weltmeister der Menschenrechte und das zu Recht. Denn wir waren mit beteiligt ganz groß an der Sklaverei vor zwei Jahrhunderten und haben ganz mühselig uns davon entfernt. Und dafür wäre mal eine ganz große Entschuldigung nötig gewesen.

Und wir haben den Kontinent in der Zeit des Kalten Krieges so fürchterlich misshandelt, dadurch, dass wir nur darauf gesehen haben, ob die Staatschef der damals unabhängig gewordenen Staaten in die richtige Richtung geguckt haben, nämlich nach Westen, nach Washington, nach Bonn und nicht nach Osten, also nicht nach Moskau oder nach Pankow. Und das hat das ganze Instrument der Entwicklungshilfe total ruiniert.

Und deshalb ist der mutige Versuch unserer Kanzlerin, dem Mugabe da die Leviten zu lesen, zwar beachtlich gewesen, weil er beachtlich allein schon deshalb ist, weil auf offener Bühne ausgetragen wurde, aber er hat natürlich nicht annähernd das gebracht, was die Afrikaner wissen: Es gibt natürlich nicht nur das eine Land Simbabwe, was die Menschenrechte nicht wahr macht, sondern es gibt überall dort Staatschefs, die die Verfassungen ändern, damit sie bis auf Lebenszeit Präsident werden können usw.

Also wir sind mit Afrika wirklich ganz … Wir müssen ganz neu anfangen, eine ganz neue radikale Politik dort entwickeln. Und ich könnte mir die vorstellen, aber so, wie das jetzt in Lissabon geschehen ist, ist das eigentlich tote Hose.

Balzer: Aber sollte man denn nicht wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Menschenrechten koppeln?

Neudeck: Das hat ja bisher 40 Jahre nichts gebracht, wie wir wissen. Ich bin natürlich dafür. Ich brauche keinem Hörer zu sagen, dass ich dagegen bin. Aber wenn wir das nur ins Protokoll reinnehmen und nicht dafür sorgen, in einigen wenigen Staaten, in zwei, drei Staaten Afrikas hätte das zum Beispiel mal funktionieren sollen, hat es aber nicht, weil wir uns nicht konzentrieren. Wir gehen seit 40 Jahren mit der Gießkanne unserer leckeren Manna-Mittel, bezahlt von deutschen und europäischen Steuerzahlern, darüber über diesen Kontinent und gießen Geld ab. Das hat aber nicht dazu geführt, dass Menschenrechte, Demokratie annähernd verwirklich wurden in diesen Ländern.

Balzer: Das ist vielleicht schon eine ganze Weile her, aber der Druck auf Südafrika zum Beispiel während des Apartheid-Regimes war ja sehr stark, und das hat ja offenbar was gebracht?

Neudeck: Das hat alles gebracht. Warum? Weil die gesamte Weltgemeinschaft, die gesamte UNO, die hat daraus ein Gesetz gemacht, dass man mit diesem einen Staat nicht mehr zusammenarbeiten darf. Und deshalb hat es am Ende eben das Scheitern dieses Modells Apartheid gegeben und den glorreichen, den ruhmreichen Auszug von Nelson Mandela aus dem Gefängnis.

Deshalb müssen wir uns darauf konzentrieren, etwas ganz anderes zu machen. Die europäischen Länder müssen jetzt anfangen, aus der Unbescheidenheit herauszukommen, über 52 Länder irgendetwas auszugießen. Sie müssen mit ein, zwei Ländern Afrikas große, freundschaftliche, wirkliche Partnerschaften in wirtschaftlicher Zusammenarbeit deshalb machen, weil diese Staaten Afrikas in einer ganz desaströsen Lage sind, sie haben nämlich keinen Anschluss mehr an den globalisierten Weltmarkt.

Das eine Land, das Sie eben erwähnt haben, Südafrika, ist das einzige Land vielleicht Afrikas, was einen Anschluss hat an den globalisierten Weltmarkt, der mit Riesenschritten voranschreitet. Und diese Staaten müssen außer der Landwirtschaft auch jetzt eine Industrie entwickeln, und sie müssen aus der entsetzlichen, totalen Armut herauskommen ihrer ländlichen Bevölkerung. Dazu gibt es einen Vorschlag von Mohamed Yunus, den er auf dem Evangelischen Kirchentag in Köln gemacht hat, und er ist bereit, in drei Ländern Afrikas mit ...

Balzer: Den Nobelpreisträger meinen Sie?

Neudeck: Den Nobelpreisträger, der dieses großartige Modell der Mikrokreditbanken in Bangladesch mit riesigem Erfolg, Erfolg zumal bei Frauen, durchgeführt hat. Über 10 Millionen sind dort schon aus eigener Kraft aus der Armut befreit. Das müssen wir in Afrika erst versuchen. Er hat da mit seinem Trust vorgeschlagen, wenn die Bundesregierung mit den neuen Mitteln, die sie für die Entwicklungshilfe bereit hält, das sind für nächstes Jahr 750 Millionen Euro, das ist ganz gut, wenn die bereit ist, solche Institute zu unterstützen mit Einmalfinanzierung, dann würde das in Afrika einen ähnlichen Erfolg geben können, wenn es Yunus unterstützt mit seinem Trust aus Bangladesch, dann wäre das nämlich eine Süd-Süd-Hilfe. Und das lassen sich die Afrikaner viel einfacher gefallen, als wenn wir wieder als die reichen Onkel und die Exkolonisatoren aus Norden kommen und mit erhobenen Zeigefinger denen sagen, was Sache ist.

Balzer: Herr Neudeck, Sie haben gerade im Gespräch ein, zwei Länder erwähnt, mit denen man direkte und fruchtbare Zusammenarbeit pflegen sollte, besonders mit wirtschaftlicher Hilfe, so eine Art Paradebeispiele, wenn ich Sie richtig verstehe?

Neudeck: Ja.

Balzer: Welche würden Sie denn vorschlagen, welche beiden afrikanischen Länder?

Neudeck: Das wären die zwei, drei afrikanischen Länder, in denen das gibt, was wir in Europa uns gar nicht ausmalen können, dass es das nicht gibt in Staaten, nämlich eine starke, klare Regierung, die angelegentlich um das Wohl und den Wohlstand der eigenen Bevölkerung besorgt ist.

Balzer: Welche wären das?

Neudeck: Das wäre Ghana, das wäre sicher Tansania, das wäre auch Ruanda, und das wäre auch Äthiopien, um mal vier zu nennen, die da in die Auswahl kommen. Wir haben sicher auch noch Madagaskar, die Insel ist unter der neuen Leitung ihres Präsidenten dabei, auch ganz ungeduldig den Weg, den Vormarsch zum Fortschritt aufzunehmen.

Balzer: Und die anderen Länder fallen zurück?

Neudeck: Die fallen zurück, die müssen durch Konkurrenz dazu gebracht werden. Wir können es nicht mit 52 Ländern aufnehmen alleine, mit der wenigen Kraft, die wir in Europa haben, wo wir noch nicht mal selbst einig sind.

Balzer: Machen wir es doch vielleicht mal ganz praktisch: Sie sind ja auch in Ruanda aktiv mit Ihrer Organisation Grünhelme. Das hat mich im Vorfeld, als ich recherchiert habe über Ihre Aktivitäten in Ruanda, durchaus gewundert, dass gerade dieses Land, nehmen wir es mal bei diesem Beispiel, ein von einem Massenmord, von einem großen, verheerenden Bürgerkrieg geschundenes Land, vor 13, 14 Jahren ist der ja vorbeigegangen, jetzt offenbar auf einem guten Weg ist. Sie bauen dort ein Berufsschulzentrum auf?

Neudeck: Ja.

Balzer: Sie selbst finanzieren sich ja Ihre Organisation von Spenden. Sie schicken deutsche Handwerker für ein Taschengeld auf eine Baustelle, um dort zu helfen. Das klingt ja erst einmal nach klassischer Entwicklungshilfe, nicht nach Investition?

Neudeck: Das ist, glaube ich, genau das Gegenteil. Wenn ich jetzt so mir klarmache, dort habe ich zum ersten Mal in 30 Jahren, in denen ich diese Arbeit tue, habe ich eine Regierung erlebt, die uns nicht Hindernisse in den Weg stellt, nicht bürokratische Hindernisse überall zwischen die Beine haut, sondern die uns tritt, die will, dass dieses Projekt möglichst schnell vorankommt, dass wir am 1. März nächsten Jahres mit der Arbeit beginnen, ein neues Curriculum für Berufsschule, für Bautechnik, für Elektrotechnik, für Solartechnik, die selbst will, dass diese Solartechnik jetzt, diese alternative Technik, nach Ruanda kommt, die selbst will, dass sie eine eigene Produktion aufnimmt. Das sind die Regierungen, die ganz wenigen Regierungen, mit denen müssen wir eine ganz große Partnerschaft beginnen. Und ich teile natürlich Ihr Erschrecken. Jeder weiß, dass Ruanda eine ganz furchtbare Zeit, den schrecklichsten Völkermord nach 1945 erlebt hat. Aber diese Regierung, das kann ich jedem sagen, der zuhört, die ist bereit und in der Lage, für ihr Land und für ihr Volk wirklich das Beste rauszuholen. Und das kann ich eigentlich in Afrika nur loben.

Balzer: Wie geht es weiter, Rupert Neudeck? Wo sehen Sie Afrika in, sagen wir, zehn Jahren?

Neudeck: Ich sehe Afrika auf einem ganz anderen Weg. Wir werden ganz große Probleme haben, unsere Beleidigung abzuarbeiten, die darin besteht, dass China auf diesem Kontinent überall Fuß fasst. Sie haben gehört, dass parallel zu Lissabon ein Riesenabkommen mit der demokratischen Republik Kongo geschehen ist, mit einem Bau von einer Eisenbahn über 3.200 Kilometer. Das können die Chinesen, und das kann Europa nicht mehr. Europa wäre gut beraten, sich wieder in Form zu bringen gegenüber Afrika und nicht darauf zu beharren, dass das unser Kontinent ist, der uns gehört und indem wir den Menschen dort und auch den Regierungen sagen können, wo es langgeht.
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