Neubeginn in Todesnähe

Von Christian Gampert · 27.02.2013
Der Höhepunkt der Karriere ist vorbei, die Schaffenskraft schwindet - und dennoch können Bilder aus der allerletzten Lebensphase eines Künstlers einen Neuanfang markieren und das Gesamtwerk in ein neues Licht rücken.
Die letzten Bilder sind nicht unbedingt die besten. Die Kraft lässt nach, der Höhepunkt der Karriere ist lang vorbei. Und doch: vielleicht wird da, in der Todesnähe, noch einmal etwas resümiert oder ein neuer Anfang gemacht, vielleicht erscheint ein Gesamtwerk so in einem neuen Licht. Das behauptet jedenfalls die von Esther Schlicht kuratierte Ausstellung in der Frankfurter "Schirn", die diese Vorgaben (natürlich) nur teilweise einlösen kann und trotzdem neue Erkenntnisse liefert: Dinge, die man so oder so genau nicht wusste.

Über die Auswahl kann man streiten: Man hätte gern letzte Arbeiten von Dix, der ja im Alter völlig verändert ist, oder von Polke gesehen. Aber die Kuratorin Esther Schlicht will natürlich Unbekanntes zeigen und hat jeweils zwei Künstler zusammengespannt, die sich quasi gegenseitig kommentieren.

"Mir war das ganz wichtig, nicht eine Folge von einzelnen Künstlern zu haben, wo man das Gefühl hat, man schreitet durch ein Mausoleum, und man ist nur auf die Frage nach dem letzten Bild fokussiert, sondern eben auch andere Ebenen einzuziehen in die Ausstellung."

Die Schau beginnt mit dem Ende des 19. Jahrhunderts: der syphilitische Edouard Manet malte im Endstadium, 1883, jene Blumensträuße, die ihm Freunde ans Krankenbett gebracht hatten - nicht gerade typisch für sein Gesamtwerk. Manet wird nun mit Claude Monet zusammengebracht, der in den letzten Lebensjahren in Giverny manisch an seinen großen Seerosenbildern arbeitete. Da gibt es kein letztes Bild, sondern einen letzten Werkkomplex.

"Neuanfang zu einem späten Zeitpunkt"

"Es sind verschiedene Aspekte auf die die Ausstellung fokussiert. Also zum Beispiel so eine Art Neuanfang zu einem späten Zeitpunkt - wie jetzt hier bei de Kooning und Matisse. Oder aber: ein Raum steht unter dem Titel "Mit beschränkten Mitteln". Also Künstler, die aufgrund von physischen Einschränkungen ihre Techniken anpassen mussten. Diese Gegenüberstellungen sind eher poetisch angelegt, also frei, aber versuchen natürlich, vor dem Hintergrund dieser letzten Bilder noch andere Aspekte und Verbindungen zu erschließen."

Und dieses freie Spiel ist manchmal sehr assoziativ: Martin Kippenberger, der sich letztlich zu Tode getrunken hat, ist mit ein paar Variationen zu Picasso vertreten, die Picassos Witwe mit Kippi-Selbstporträts kurzschließen. Gegenüber hängen rüde gemalte Punktbilder von Francis Picabia, die wie Blicke in den Weltraum wirken, aber vier Jahre vor seinem Tod entstanden sind. Merkwürdig auch die popartigen Selbstwiederholungen von Giorgio de Chirico. Ihm gegenüber hängt "Das letzte Abendmahl", von Andy Warhol 1986 für eine Mailänder Ausstellung verfremdet und mit Camel-Werbung versehen. Aber der Meister konnte damals nicht wissen, dass er sich kurz darauf, nach einer Operation, auf die letzte Reise begeben würde.

Aufschlussreicher, auch stilistisch, ist eine andere Kombination: Henri Matisse war in seinen letzten Lebensjahren körperlich eingeschränkt und begann mit seinen Scherenschnitten, die in ihrer Buntheit und mit ihrer Zirkus-Thematik noch einmal Energie entfalten. Sein Gegenüber, der abstrakte Expressionist Willem de Kooning, hatte dagegen sein Leben lang mit körperlicher Kraft die Leinwand bearbeitet. In der Ausstellung sehen wir nun ganz andere Bilder.

Späte Weisheit oder Niedergang?

"Bei de Kooning ist eine klare Wende, die da stattfindet. Die letzten Bilder sind plötzlich ganz reduziert, graphisch, lyrisch, gar nicht mehr so überladen und expressiv, wie das Werk, mit dem er berühmt geworden ist. Nun scheiden sich die Geister darüber, ob das nun eine späte Weisheit oder ob das eine Form von Niedergang oder nachlassenden Kräften sind."

Denn de Kooning war in seinen letzten Jahren an Alzheimer erkrankt und quasi dement. Die stilistische Wende begann aber schon kurz vor der Erkrankung. Zählt das nun als Alterswerk?

Die Ausstellung zeigt auch radikale Neuanfänge: Georgia O’Keeffe, die wegen ihrer in Nahsicht gemalten, wollüstig aufgeklappten Blumen berühmt ist, malte im Alter, mit nachlassenden Augenlicht, einige wunderbare blasse Horizonte, die den Übergang in eine andere Welt zu signalisieren scheinen. Sie hatte diesen offenen Himmel aus dem Flugzeug heraus entdeckt. Als sie erblindete, konnte sie nur noch tasten und arbeitete bis zu ihrem Tod skulptural.

Auch andere konnten nur unter Einschränkungen arbeiten: Alexej von Jawlensky wurde in den 1930er-Jahren von Lähmungen und Arthritis heimgesucht. Seine düsteren, religiös inspirierten "Meditationen" über das menschliche Gesicht hat er unter großen körperlichen Schmerzen gefertigt. Er konnte die Farbe nur noch in schroffen geraden Linien führen. Neben ihm letzte Filme von Stan Brackhage: Der Krebskranke kratzte mit den Fingernägeln Zeichen auf die Emulsion.

Das Ende der Malerei

Die stärksten Positionen finden sich aber am Ende der Ausstellung. Wie in einer Kirche stehen die tiefschwarzen Quadrate von Ad Reinhardt im Raum, das letzte Bild, das der Amerikaner in den Jahren vor seinem Tod 1967 immer wieder neu gemalt hat. Wenn man lang genug schaut, kann man innerhalb dieser Schwärze wiederum einzelne Quadrate unterscheiden, die in Oberfläche und Farbnuancen differieren: eine Beschäftigung mit dem Nichts, das Ende der Malerei.

Am existentiellsten (und völlig freiwillig) hat sich der holländische Konzeptkünstler Bas Jan Ader dem Sterben ausgeliefert: im Sinne einer fiktiven Heimkehr wollte der in Amerika lebende Ader den Ozean überqueren. Mit einem kleinen Boot brach er 1975 auf und kam in Holland nie an. Man fand das Bootswrack, aber Bas Jan Ader löste sich in seinem Werk sozusagen auf.

"Letzte Bilder. Von Kippenberger bis Manet"
Schirn - Kunsthalle Frankfurt
Vom 28. Februar bis zum 2. Juni 2013
Kunstwerke des Künstlers Francis Picabia
Kunstwerke des Künstlers Francis Picabia© dpa / picture alliance /Nicolas Armer