Neubauprojekt in Leipzig

Ein Wohnquartier wie ein Schwamm

09:10 Minuten
Männer und Frauen pflanzen auf dem Forschungsgründach des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ).
Isolationswirkung für die Räume darunter: Grün auf dem Dach des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. © André Künzelmann / UFZ
07.07.2021
Audio herunterladen
Leipzig plant ein neues Wohnviertel, womöglich eines der modernsten Deutschlands. Es soll Regenwasser speichern und wieder nutzen. Die Dächer sollen großflächig begrünt werden. Derzeit wird bereits dazu geforscht - mit ermutigenden Ergebnissen.
Wenige Kilometer nordwestlich des Leipziger Hauptbahnhofes soll ein neues Stadtquartier entstehen, eines der modernsten der Stadt, womöglich sogar Deutschlands. In wenigen Jahren soll es bereits soweit sein. Bis vor Kurzem standen auf dem 25 Hektar großen Areal Gewerbehallen und im Zentrum der alte Eutritzscher Freiladebahnhof. Jetzt sind Bagger zu sehen, außerdem aufgeschüttete Erdhügel, plattgewalzter Boden und gebrochener Asphalt.

Mehrere Grünflächen und ein Sportpark

Der Leiter des Leipziger Stadtplanungsamtes, Heinrich Neu, beschäftigt sich schon seit drei Jahren mit dem Bebauungsareal 416. Es soll ein besonderes Stadtviertel werden: Es habe mehrere Grünflächen, aneinandergereiht, darunter einen Sportpark. Auf den Wohnblöcken sollen Gründächer sein.
"Und wir werden Innenhöfe haben, die nicht komplett durch Tiefgaragen unterbaut sind, sondern auch Möglichkeiten haben, dort Bäume zu pflanzen, Versickerung zu organisieren", sagt Heinrich Neu. Zudem soll es auch Stellen geben, an denen Grundwasser entnommen werden kann, um die Grünanlagen zu bewässern.
Das Wassermanagement ist der zentrale Punkt dieses Neubauprojekts.
Denn Leipzig sei um 100.000 Einwohner gewachsen in den vergangenen Jahren, erklärt Neu. Die Kanäle der Stadt seien voll ausgelastet – wenn Starkregen falle, auch überlastet. Das bedeute, dass dann Abwasser in die Gewässer laufe. Erweitert werden könnten die Netze nicht. Es gehe darum, das Wasser, das durch neue Wohngebiete dazu komme, in diesen Gebieten zu lassen und den Abfluss auf null zu reduzieren.
Wie also umgehen mit großen Mengen an Regenwasser, die im Quartier gespeichert werden sollen und dann bei Trockenheit direkt vor Ort wieder genutzt werden? Ein bisschen ist es wie bei einem Schwamm – allerdings handelt es sich um ein Stadtquartier, in dem bis zu 5000 Menschen leben und arbeiten sollen, mit Schulen, Kitas, Kultur- und Gewerbeflächen.

Gründächer zur Isolation

Die Idee: Sogenannte Baumrigolen nehmen das Wasser auf, speichern es unter ihren Wurzelballen in einer Art künstlicher Wanne und geben es später bei Bedarf wieder ab. Eine herkömmliche Kanalisation wäre dann – zumindest in diesem Bereich – überflüssig. Das Regenwasser würde nicht mehr einfach abgeleitet – erklärt Amtsleiter Neu. Entstehen soll so eine blau-grüne, naturnahe Infrastruktur.
Viel Grün, wenig Beton und Asphalt. Um die Folgen des Klimawandels abzumildern, müssten sich Städte wie Leipzig nachhaltig verändern, meint Roland Müller, Wissenschaftler am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), der das das Bauprojekt 416 schon eine Weile begleitet.
Auf dem Dach des UFZ wächst bereits im Kleinen, was in wenigen Jahren die Dächer von Areal 416 großflächig begrünen soll. Es gibt ein sogenanntes Sumpfpflanzen-Dach mit schwimmenden Pflanzen. Außerdem gibt es Gründächer.
Man könne sehr gut nachweisen, dass das eine gewisse Isolationswirkung für die oberen Stockwerke hat, sagt Müller. "Wenn man im Hochsommer die Temperaturen über und unter dem Gründach vergleicht, dann haben wir auf dem Kiesdach manchmal Temperaturen von 60, 70 Grad, und unter dem grünen Dach wird es selten wärmer als 25 bis 30 Grad." Der Isolationseffekt sei im heißen Sommer enorm, so Müller. Und im Winter ebenso, etwa bei extremer Kälte.

Bund fördert Modellregionen

Deutschlandweit gehört das Bauprojekt zu elf Modellregionen, die vom Bund gefördert werden. Denn Klimaschutz und die Folgen des Klimawandels zu erforschen und die Erkenntnisse dann zumindest in Neubauprojekte einfließen zu lassen, kostet Geld. Viel Geld, sagt Heinrich Neu. Nicht nur die Investoren, die mit ins Boot geholt werden müssen, sondern auch die Städte und Kommunen.
In zwei Jahren soll mit der Bebauung von Areal 416 begonnen werden – ab 2025 sollen dann die ersten Bewohnerinnen und Bewohner einziehen. Zu einem wohl in höherpreisige Eigentumswohnungen, daneben rechnet die Stadt aber auch mit 30 Prozent Sozialwohnungen.
Grafik zum geplanten Schwammviertel in Leipzig
Es soll ein bisschen funktionieren wie ein Schwamm, wird aber ein Stadtviertel mit 5000 Bewohnerinnen und Bewohnern. © ARTKOLCHOSE / UFZ
Allein die momentane Erschließung in der Vorplanungsphase werde für Leipzig teuer, so Heinrich Neu. Auf diesen Bahnflächen gebe es zwei Probleme: "Wir haben lehmige Böden, das heißt, Versickerung ist ohnehin sehr schwer möglich." Außerdem sei der Boden teilweise belastet. Das bedeute, nicht auf allen Flächen könne Regenwasser versickern.
Bodenaustausch wäre eine Möglichkeit. Angesichts der Größe des Gebiets müsse man für die Erschließung insgesamt wohl mit 75 Millionen Euro rechnen. Auch die Regenwasseranlagen würden daran einen nicht unerheblichen Anteil ausmachen. "Und: Die Anlagen – also Straßen, Wege, Plätze, Grünanlagen – werden irgendwann von der Stadt übernommen." Das müsse dann unterhalten werden – aus dem laufenden Stadthaushalt.

Klarer gesetzlicher Rahmen fehlt

Damit das alles funktioniert, sich am Ende rechnet und die blau-grünen Ideen die Kommunen in Zukunft nicht finanziell überfordern, brauchen Projekte wie Areal 416 einen klaren rechtlichen Rahmen. Bestenfalls schon in der jetzigen Planungsphase, sagt Moritz Reese, Rechtsexperte am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Doch tatsächlich hingen die Kommunen da noch erheblich hinterher.
Es fehle eine verbindliche rechtliche Grundlage, wie in Zukunft das Abwasser nicht nur einfach beseitigt, sprich abgeleitet wird, sondern auch wiederverwendet werden kann. Den gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen sei Aufgabe der Bundesländer. "Einige sind da recht proaktiv, andere relativ rückständig", so Moritz Reese.
Modellvorhaben wie in Leipzig gebe es auch in anderen Städten, beispielsweise in Hamburg, Berlin und Frankfurt. Die meisten seien ebenfalls von Forschungsprojekten begleitet. "Es geht auch darum, das jetzt in die Breite zu bringen", sagt Reese mit Blick auf die Zukunft. "Dass die Gemeinden sich jetzt nicht mehr nur auf einzelne Quartiere konzentrieren, sondern für ihr gesamtes Gemeindegebiet Vorstellungen entwickeln müssen."

Kühlung auch gut für die Gesundheit

Es gibt also noch eine Menge zu tun für alle Beteiligten. Für UFZ-Wissenschaftler Roland Müller sind die neuen Quartiere aber auf jeden Fall eine Chance, dem Klimawandel aktiv zu begegnen – und am Ende gesund zu bleiben.
"Das hat ja nicht nur verfahrenstechnische Konsequenzen, sondern belastet ja auch die Bürger. Hitze in betonierten Städten mit wenig Stadtgrün führt zu Hitzeinseln – und das hat gesundheitliche Konsequenzen", erklärt er. Man müsse sich verstärkt über Kühlung Gedanken machen. Und unser Quartier ist ein Modellquartier, wo man bestimmte Dinge schon mal ausprobieren kann."
Audio: Ronny Arnold
Manuskript-Bearbeitung: abr
Mehr zum Thema