Neubau im "Geist der Gastfreundschaft"

Hartwig Fischer im Gespräch mit Britta Bürger · 28.01.2010
Der Direktor des Museums Folkwang in Essen, Hartwig Fischer, hält den Neubau an seinem Haus für einen Glücksfall. Hier könnten Betrachter und Kunstwerke "in einen Dialog treten". Chipperfield habe dafür gesorgt, dass es "lebendiges" Tageslicht in den Ausstellungsräumen gebe.
Britta Bürger: Heute wird David Chipperfields Neubau des "schönsten Museums der Welt" mit einem Festakt eröffnet, das Museum Folkwang in Essen. Als schönstes Museum der Welt hatte schon einer der MoMA-Mitbegründer 1932 das ursprüngliche Haus bezeichnet, es war nämlich tatsächlich das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Europa, mit Hauptwerken von Gauguin und Cézanne, van Gogh und den Expressionisten – Kunst, die die Nazis wenig später als entartet brandmarkten.

Jetzt hat der britische Architekt David Chipperfield für das Museum Folkwang einen Neubau geschaffen, der den Titel "schönstes Museum der Welt" wieder aufleben lässt. Möglich wurde dieser Bau allein durch eine 55-Millionen-Euro-Spende der Krupp-Stiftung. Wir schauen uns das Haus gleich näher an, im Gespräch mit Museumsdirektor Hartwig Fischer.

Bevor David Chipperfields Neubau für das Museum Folkwang in Essen ab Sonnabend das Publikum empfängt, wird es heute Vormittag im Rahmen eines feierlichen Festakts mit geladenen Gästen aus Kultur, Politik und Wirtschaft eröffnet. Und bevor das Haus heute Vormittag feierlich eröffnet wird, habe ich mit Museumsdirektor Hartwig Fischer über das Wunder von Essen gesprochen, das Highlight der europäischen Kulturhauptstadt 2010. Zunächst hat mich interessiert, was ihn besonders begeistert an diesem Museumsneubau.

Hartwig Fischer: Der Geist der Gastfreundschaft, der einem sofort vor Augen tritt, zugänglich ist, indem man sich hineinbegibt, sobald man das Museum betritt, ein Ort, der geschaffen ist für Kunstwerke, und dafür, dass Kunstwerke in einen Dialog treten mit den Besucherinnen und Besuchern. Ich glaube, der Bau von Chipperfield ist ein rares Beispiel dafür, wie so etwas funktioniert, und wir sind darüber natürlich sehr glücklich, weil das bedeutet, dass unsere bedeutende Sammlung ihr ganzes Potenzial richtig ausleben kann.

Deswegen sagen wir Gastfreundschaft, weil man die Menschen empfangen muss und man muss die Kunst empfangen, damit es zu diesem Austausch von Hingabe und Hergabe, von Gaben geht. Das Entscheidende, was in einem Museum passiert, ist ein Geschenk, ist eine Gabe, die Gabe, sich mit Wesentlichem auseinanderzusetzen, sich ansprechen zu lassen, sich verwandeln zu lassen und geliebt zu werden, beglückt zu werden.

Bürger: Wenn Sie sagen, die Architektur diene hier wirklich der Kunst, also, Chipperfield überzeugt durch seine Zurückhaltung, durch die Kunst der Reduktion, sagen andere. Woran wird denn das besonders deutlich?

Fischer: Ich würde gar nicht sagen, dass Chipperfield durch seine Zurückhaltung überzeugt. Chipperfield überzeugt dadurch, dass er eine großartige Architektur geschaffen hat, und großartige Architektur hat es nicht nötig, billige Effekte zu erzeugen, sondern sie muss einen Ort schaffen, wo man als Mensch aufrecht steht und der Welt entgegentritt und sich in der Welt fühlt. Und das ist, glaube ich, etwas, wozu die Kunstwerke in besonderer Weise uns auffordern. Deswegen würde ich sogar sagen, diese Architektur ist viel spektakulärer als das, was man gemeinhin spektakuläre Architektur nennt, weil sie eben genau das mit großer Kunst, mit großer Feinheit ermöglicht.

Bürger: Der Neubau von David Chipperfield – er setzt ja nicht nur ästhetisch Maßstäbe, ungewöhnlich ist auch, wie dieses Bauvorhaben überhaupt in nur zwei Jahren Bauzeit realisiert werden konnte. Waren da besonders gewiefte Strippenzieher am Werk?

Fischer: Ich würde nicht von Strippenziehern, Strippenziehern sprechen. Es ist sicher eine ganz glückliche Konstellation – deswegen habe ich auch vom Wunder von Essen gesprochen –, dass eine der ganz großen Stifter- und Fördererpersönlichkeiten Deutschlands, Berthold Beitz, mit der Krupp-Stiftung entschieden hat, diesen Bau zu finanzieren. Und Herr Beitz hat die Bedingung gestellt: Die Kosten müssen eingehalten werden, die Zeit muss eingehalten werden, die Qualität muss stimmen.

Dass die Stadt einen internationalen Wettbewerb ausgeschrieben hat, aus dem niemand anderes als David Chipperfield als Sieger hervorgegangen ist, dass die Stadt auch die ganze weitere Entwicklung mitgetragen hat – ich glaube, diese Dinge müssen zusammenkommen und auf der Museumsseite die Begeisterung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Beste zu tun, damit dieser Bau ein perfektes Museum wird. All das kommt zusammen zu einer glücklichen Konstellation und das Ergebnis steht heute vor Augen.

Bürger: Herr Fischer, welche neuen Möglichkeiten bietet Ihnen der Neubau für die Präsentation Ihrer Sammlung?

Fischer: Wir hatten am Beginn sehr genau definiert, was wir in diesem Neubau brauchen. Der Neubau fasst eigentlich all die Dinge zusammen, die ein modernes Museum braucht, nicht nur wunderbare Ausstellungsräume für die Sammlungen, daneben aber auch ein Restaurant, eine Buchhandlung, einen Leseraum, einen Multifunktionsraum. All das ist in diesem Bau drin und macht das neue Museum Folkwang wirklich zu einem Museum, das dieser Institution eine Zukunft sichert.

Wenn man aber jetzt spezieller auf die Räume für die Kunst eingeht, so würde ich vor allem hervorheben, dass wir jetzt über Räume verfügen, in denen das natürliche Licht eine ganz entscheidende Rolle spielt. Wir hatten immer gehofft, dass das natürliche Licht in dem Neubau die Werke zum Leuchten bringt, denn das natürliche Licht ist das Lebenselixier der Kunstwerke. Und Chipperfield hat dafür gesorgt, dass wir hier über Räume verfügen, in denen das Tageslicht lebendig ist, Räume, in denen sich das Tageslicht auch mit dem Verlauf des Tages ändern kann.

Wenn Sie morgens in das Museum gehen, werden Sie eine andere Situation vor Augen haben als nachmittags zum Beispiel, dass Licht nicht nur von oben kommt, sondern auch von der Seite. Und damit haben wir jetzt eine Situation, die es uns erlaubt, die Werke wirklich zur Geltung zu bringen.

Bürger: Darüber hinaus hat David Chipperfield ja einen sehr, sehr großen Saal für Wechselausstellungen integriert, in dem dann ab März auch die erste Sonderausstellung stattfinden wird, in der Sie die legendäre, historische Folkwang-Sammlung rekonstruieren, "Das schönste Museum der Welt", Museum Folkwang, bis 1933. Heißt das, hier holen Sie jetzt aus den renommiertesten Museen der Welt zurück, was vor der Zerschlagung durch die Nationalsozialisten zur Folkwang-Sammlung gehört hat?

Fischer: Teils, teils. Tatsächlich hat das Museum 1937 1400 Werke verloren, darunter Hauptwerke, die jetzt zu den Schätzen anderer Museen zwischen Beirut, Basel, New York, Philadelphia und Sao Paolo gehören. Und diese bringen wir zusammen mit den Hauptwerken der historischen Sammlung, die im Museum geblieben sind. Dazu gehören natürlich die van Goghs, dazu gehört Gauguin, Renoir, Dornier, Monet und so weiter.

Aber wir zeigen in dieser Ausstellung auch einen Teil unserer Sammlung, der lange völlig aus dem Blick geraten ist, und das ist der Bereich alte und außereuropäische Kunst, der von Osthaus, dem Gründer unseres Museums, aufgebaut wurde. Das heißt, in diesem Museum hat von vornherein die Begegnung zwischen unterschiedlichen Kulturen eine ganz wichtige Rolle gespielt, und das wollen wir in der Zukunft fortsetzen, um uns unserer Geschichte zu vergewissern und in diesem Sich-Vergewissern die Kriterien zu schärfen für die Arbeit der Zukunft. Und da spielt eben der Umgang mit den Meisterwerken und der Dialog zwischen den Kulturen eine ganz entscheidende Rolle.

Bürger: Vor der Eröffnung des Essener Folkwang-Museums sprechen wir hier im Deutschlandradio Kultur mit Museumsdirektor Hartwig Fischer. Seit 1902 hatte der Sammler, Mäzen und Bankierserbe Karl-Ernst Osthaus, Sie haben ihn eben schon erwähnt, Herr Fischer, zunächst in seinem Museum Folkwang in Hagen gesammelt und erst nach seinem Tod 1922 kam die Sammlung ja dann nach Essen. Welche Rolle spielten schon damals Stifter und Sponsoren?

Fischer: Osthaus hatte in seinem Testament festgehalten, dass die Sammlung zusammenbleiben soll. Nun war Hagen nicht in der Lage, den Fortbestand des Museums zu garantieren, und deswegen haben die Erben die Sammlung veräußert an eine Gruppe von Unternehmern, Bankiers und Mäzenen in Essen, die – und das ist ein wichtiger Aspekt dieser Geschichte – in einer Zeit der schärfsten Krise, Wirtschaftskrise, gesellschaftlichen Krise, 1921, 1922, sich dafür entschieden haben, diese Sammlung gerade wegen der Krise nach Essen zu holen und sie hier ihre Wirkung entfalten zu lassen.

Und es ist genau diese Gruppe, die dann sich als Folkwang-Museumsverein konstituiert hat und mit der Stadt einen Vertrag geschlossen hat, in dem festgehalten ist, dass das Konsortium – dieser Museumsverein – die Hälfte am Eigentum der Sammlung der Stadt überträgt und die Stadt sich im Gegenzug verpflichtet, für Bau, Personal und Unterhalt zu sorgen, in würdigen und geeigneten Räumen, wie es heißt. Und das heißt zugleich, dass das Museum Folkwang seit 1922 eine Public Private Partnership ist, wie man das heute nennt.

Und es ist gerade dieses Zusammenspiel der privaten und der öffentlichen Hand, die die Geschichte des Museums seit 1922 wesentlich geprägt hat, und das großartigste Beispiel für dieses Zusammenwirken ist jetzt der Neubau, gestiftet auf Vorschlag von Berthold Beitz durch die Krupp-Stiftung. Die Krupp-Stiftung hat sich mit der Stadt auch darüber verständigt, dass dieses Geschenk gepflegt werden muss, dass es erhalten werden muss in hervorragendem Zustand und dass das Museum Folkwang auf beiden Säulen stehen wird, dem Engagement der Privaten und der Trägerin Stadt Essen, die den Betrieb sichert.

Bürger: Welche Rolle werden private Sponsoren künftig spielen? Großsponsor E.ON zum Beispiel fördert ja auch die Schau jetzt, die erste große Sonderschau "Das schönste Museum der Welt".

Fischer: Es ist eine Partnerschaft, die dem Museum wichtige Ausstellungen ermöglicht hat, Ausstellungen, die auch kunsthistorisch einen bedeutenden Stellenwert haben, die neue Forschungsergebnisse gezeitigt haben und die zugleich einer hohen Zahl von Menschen die Möglichkeit gegeben haben, sich mit Meisterwerken aus der ganzen Welt auseinanderzusetzen. Die erste Ausstellung im Jahr 2010 werden wir also mit E.ON Ruhrgas machen, "Das schönste Museum der Welt", Museum Folkwang bis 1933, und auch die letzte große Ausstellung im Jahr 2010, die sich mit einer anderen Metropole auseinandersetzt, nämlich mit Paris zwischen 1865 und 1900, werden wir mit E.ON Ruhrgas machen, und dazwischen eine große Ausstellung der fotografischen Sammlung, "Fotografie und Rock seit Elvis Presley" mit einem anderen bedeutenden Partner des Museums, nämlich der RWE AG, mit der wir ebenfalls eine langfristige Partnerschaft haben, die sich aber vor allem auf den Bereich der zeitgenössischen Kunst und der Fotografie konzentriert.

Bürger: Bevor heute Vormittag David Chipperfields Neubau für das Essener Museum Folkwang feierlich eröffnet wird, waren wir im Gespräch mit Museumsdirektor Hartwig Fischer. Herr Fischer, haben Sie vielen Dank!

Fischer: Ich danke Ihnen!

Programmtipp:
Heute abend steht in der Sendung "Fazit am Abend" ab 19.07 Uhr im Deutschlandradio Kultur der Architekt des Museums, David Chipperfield, Rede und Antwort. Ab 23.05 Uhr berichtet "Fazit" in einer Sonderausgabe von der Eröffnung des Museums. Dort wird Hartwig Fischer noch einmal Stellung beziehen, die Chefin der Fotosammlung des Museums informiert über die Porträtfotografie und Christoph Gehring stellt die Plakatsammlung vor.
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