Neuauflage

Ungleiche Juwelierstöchter

Von Maike Albath · 13.01.2014
Zwei Frauen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen lieben denselben Mann. Dieses Dilemma ist der Handlungsmotor von "Die Schwestern Kleh". Der spannungsreiche Gesellschaftsroman von 1933 ist nun wieder zu haben.
Eine Zeit lang war sie hauptberuflich eine Femme fatale, ging in den Wiener Salons der 1910er-Jahre ein und aus, verdrehte einer Fülle von Männern den Kopf und verfasste nebenbei Feuilletons, Theaterstücke und Romane: die Schriftstellerin Gina Kaus. 1893 als Tochter einer jüdischen Familie in der Wiener Berggasse geboren, wo Sigmund Freud seine berühmte Praxis unterhielt, stammte sie aus äußerst bescheidenen Verhältnissen und bewerkstelligte durch die Ehe mit einem Musiker den gesellschaftlichen Aufstieg. Ihr Mann fiel im Ersten Weltkrieg, und Gina Kaus ließ sich von einem finanzkräftigen Geliebten adoptieren, um abgesichert zu sein.
Sie verkehrte in den Kreisen um Franz Blei und Karl Kraus, brachte 1917 ihre erste Komödie ans Burgtheater und wurde zu einer gefragten Journalistin: Ihre Artikel erschienen in der "Vossischen Zeitung", der "BZ am Mittag" und anderen Blättern. Nach der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten, der auch ihre Romane zum Opfer fielen, veröffentlichte sie 1933 "Die Schwestern Kleh" im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange. Fünf Jahre später verließ Kaus Österreich und floh über Paris in die USA, wo sie bis zu ihrem Tod 1985 lebte und sich als Drehbuchautorin einen Namen machte.
Mondän, urban, selbstbestimmt
Ähnlich wie Erika Mann oder Vicky Baum verkörperte Gina Kaus einen neuen Phänotyp, der sich auch in ihren Büchern wiederfindet: mondän, urban, selbstbestimmt und beruflich erfolgreich. In "Die Schwestern Kleh" schildert die Autorin am Beispiel eines ungleichen Schwesternpaares und unverkennbar autobiografisch weibliche Lebensentwürfe der Zwischenkriegszeit. Irene und Lotte sind die Töchter des alteingesessenen Juweliers Kleh und wachsen unter der Obhut ihrer Gouvernante Eula auf, die auch als Erzählerin in Aktion tritt. Die Handlung gewinnt durch ein klassisches Dilemma an Fahrt: Beide Schwestern lieben denselben Mann. Der Architekt Alexander ist mit Irene verlobt, die ein Kind von ihm erwartet, aber Lotte verfällt ihm ebenfalls.
Obwohl auch Alexander von Lotte hingerissen ist, heiratet er aus Ehrgefühl Irene. Lotte hält ihre Gefühle vor der Schwester geheim. Das Kind ist eine Totgeburt, Irene droht schwermütig zu werden. Lotte verlobt sich mit einem 30 Jahre älteren Baron, startet eine Karriere als Schauspielerin und löst die Verlobung wieder. Als sie plötzlich schwanger wird, überlässt sie das Kind unter der Hand ihrer Schwester, für die der kleine Sohn zur Rettung ihrer Ehe wird. Doch am Ende rächt sich die Unehrlichkeit.
Erzählerisch eher konventionell gestaltet, gelingt Gina Kaus in den "Schwestern Kleh" ein spannungsreiches Gesellschaftspanorama mit psychologischer Raffinesse, das die fatale Wirkung von Rollenmustern offenlegt. Die Neuauflage des Romans, der zuletzt 1989 bei Ullstein erschien und ebenso wie die Verfasserin längst in Vergessenheit geraten ist, ist dem kleinen Hamburger Verlag edition fünf zu verdanken. Eine lohnenswerte Entdeckung.

Gina Kaus: "Die Schwestern Kleh"
edition fünf, Hamburg 2013
343 Seiten, 21,90 Euro