Neuanfang im Zeichen der Behutsamkeit
Mit Theaterregisseur Calixto Bieito und dessen radikalen Inszenierungen machte die Staatsoper Hannover 2003 nach Jahrzehnten wieder einmal Schlagzeilen. Intendant Michael Klügl steht für einen Neuanfang im Zeichen der Behutsamkeit. Mit spannenden Lesarten von Verdis "Don Carlo" oder Mozarts "Zauberflöte" macht diese Bühne wieder von sich reden.
Der klassische Metropolenbewohner schaut auf Hannover herab. Mit der Oper macht er keine Ausnahme. Dabei täte er gut daran, einmal genauer hinzuschauen. Schon das Haus allein würde nämlich allemal nicht nur einen Blick, sondern auch einen Besuch lohnen. Im schönsten Spätklassizismus von Ludwig Laves, dem Schinkel Niedersachsens, prangt das Schmuckstück im Zentrum dieser Landeshauptstadt, freistehend, raumgreifend, in seiner Originalgestalt von 1852 – nur München mit seiner Staatsoper kann da mithalten. Nirgendwo in Deutschland wird man im Innern so genüsslich flanieren, treppauf, treppab, wie in den Staatsopern dieser beiden Städte.
Der Opernbetrieb in Hannover steht seit den Tagen des romantischen Komponisten Heinrich Marschner, der hier von 1831 bis 1859 als Hofkapellmeister amtierte, für eine, wenn man so will: gemäßigte Moderne. Hier erlebten mehrere Werke von Wolff-Ferrari in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ihre Uraufführung, nach 1945 deutsche Erstaufführungen Benjamin Brittens. In der langen Ära Lehmann (1980-2001) verkam das Gemäßigte leider oft zum Mittelmäßigen, aus dem es sein Nachfolger Alexander Puhlmann vehement zu befreien versuchte.
Dank Puhlmann trat der kreative Krawallmacher Calixto Bieito hier seinen Triumphzug durch die deutschen Bühnen an. Vor allem seine Verdi-Radikalisierungen "Troubadour" und "Traviata" (2003) brachten das Haus zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in die Schlagzeilen, trieben allerdings auch verschreckte Abonnenten in Scharen hinaus.
Schaut man sich nun die jüngsten Produktionen unter dem seit der Spielzeit 2006/07 amtierenden Intendanten Michael Klügl an, bekommt man den Eindruck, die Oper Hannover versuche einen Neuanfang im Zeichen der Behutsamkeit, ohne jedoch die innovativen Tendenzen, die sich seit dem Eintritt ins neue Jahrtausend bemerkbar machten, zurückzunehmen.
Einem Trend folgend, der auch an vielen anderen Opernhäusern herrscht, interessiert sich auch Klügl für die Erweiterung des immergleichen Repertoires. Mit der Ausgrabung einer Oper aus den dreißiger Jahren – "Simplicius Simplicissimus" von Karl Amadeus Hartmann (Premiere in "Fazit" am 19. Januar besprochen) – setzt er allerdings nicht auf musikalische Kulinarik, obwohl das Werk in seinen vielen reinen Instrumentalpassagen auf reizvolle Weise barocke Klangsprache integriert. Vor allem aber wirkt die Inszenierung von Frank Hilbrich wie eine Antwort auf (und Zurücknahme von) Bieitos "Troubadour".
Hatte der die populäre Verdi-Oper als "Fightclub" angelegt und alle Gewalttaten, von denen das Stück ja strotzt, geradezu provokativ herausgestellt, so haben wir mit Hartmanns Oper über den berühmten Antihelden des Dreißigjährigen Krieges ein Stück, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass die äußere Gewalt zurücktritt. Was Hartmann/Hilbrich interessiert, ist die "Verheerung von Simplicius’ Seelenschatz", ist das, was Krieg und Gewalt im Inneren der Menschen anrichten. Im Verzicht auf Effekte liegt die Stärke dieser eindringlichen Produktion, der mit der geschmeidigen Olivia Stahn in der Hosenrolle des Simplicissimus eine kongeniale Ausdrucksträgerin dieser Ästhetik zur Verfügung steht.
Sparsamkeit der Effekte scheint auch das Motto der letzten Neuinszenierung im alten Jahr 2007 zu sein, die der Schauspielregisseur Christof Nel dem Haus bescherte. Verdis "Don Carlo" bringt er als intensives Darstellertheater auf die Bühne, in dem wiederum die weiblichen Hauptpartien – Brigitte Hans als Königin Elisabeth, Khatuna Mikaberidze als Gräfin Eboli – herausstechen. Sie dürfen auch in den Gesten und in dem teilweise wirkungsvollen Rot ihrer Garderobe kontrastieren mit dem Grau-Schwarz der übrigen Kulisse, das ebenfalls sehr einleuchtend die Totengräberruhe des habsburgischen Spaniens unter König Philipp (wie des drangsalierten Flanderns, das dem Marquis Posa so am Herzen liegen) dokumentiert.
Zwar ist dem Regisseur nicht viel zum emotional-politischen Umeinanderringen der drei männlichen Protagonisten eingefallen, aber seine Sicht auf die scheiternden Ausbruchsversuche der Personen in Verdis "Don Carlo" aus einer still gestellten, unter permanenter Beobachtung stehenden zeremoniellen höfischen Welt ist doch im Ganzen überzeugend, ohne plakativ ins Karikaturistische zu rutschen, wozu sich Theaterregisseure so oft versteigen, wenn sie Verdis Vorlage, den Schiller’schen "Don Carlos", auf die Bretter bringen.
Im Gegensatz zur Behutsamkeit der beiden geschilderten Produktionen könnte man bei der jüngsten Premiere, der Neuinszenierung von Mozarts "Zauberflöte", die Klügl in die Hände der gerade 30-jährigen Absolventin der Hannoveraner Musikhochschule Elisabeth Stöppler legte, von Beherztheit reden. Mit großem szenischem Einfallsreichtum geht die Jungregisseurin das beliebte Stück an, stellt es schon mit der inszenierten Ouvertüre in den Rahmen einer Kinderfantasie.
Unter dem Gerüst jener Schaukel, auf der Klein-Pamina zu den Klängen der Ouvertüre hin- und herschwebt, stehen am Ende auch Pamina und Tamino, um sich dann aber wieder zu verlieren. Konsequent akzentuiert die Regie das Märchenhafte, Komödiantische des Stücks und beschert der Aufführung viele poetische, auch witzige Elemente, wozu nicht zuletzt der spielfreudige Papageno von Frank Schneiders beiträgt.
Die Sarastro-Welt, bestehend aus hüft- und lendenlahmen Lemuren, gerät Elisabeth Stöppler allerdings zum Klischeefeindbild einer autoritären Gesellschaft. Die Idee der Läuterung und Erziehung zum Humanismus wird kurzerhand gekappt. Sarastro und die Seinen – lauter böse Onkels, die den Kindern ihr Vergnügen vermiesen? Das ist natürlich nur der halbe Mozart, aber im Rahmen ihres Konzepts geht diese Perspektive auf.
Und wenn ein gut Teil des Publikums auch empört reagiert, gebannt hat es doch zugehört und zugesehen, denn einprägsame Momente bietet die Aufführung zuhauf, gleichwohl die sängerisch herausragenden Leistungen wiederum von den Damen stammen, allen voran Ekaterina Lekhina als Königin der Nacht. Kurzum: die Staatsoper Hannover ist auf einem vielversprechenden Weg in die Zukunft. Man sollte sich mehr für sie interessieren!
Der Opernbetrieb in Hannover steht seit den Tagen des romantischen Komponisten Heinrich Marschner, der hier von 1831 bis 1859 als Hofkapellmeister amtierte, für eine, wenn man so will: gemäßigte Moderne. Hier erlebten mehrere Werke von Wolff-Ferrari in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ihre Uraufführung, nach 1945 deutsche Erstaufführungen Benjamin Brittens. In der langen Ära Lehmann (1980-2001) verkam das Gemäßigte leider oft zum Mittelmäßigen, aus dem es sein Nachfolger Alexander Puhlmann vehement zu befreien versuchte.
Dank Puhlmann trat der kreative Krawallmacher Calixto Bieito hier seinen Triumphzug durch die deutschen Bühnen an. Vor allem seine Verdi-Radikalisierungen "Troubadour" und "Traviata" (2003) brachten das Haus zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in die Schlagzeilen, trieben allerdings auch verschreckte Abonnenten in Scharen hinaus.
Schaut man sich nun die jüngsten Produktionen unter dem seit der Spielzeit 2006/07 amtierenden Intendanten Michael Klügl an, bekommt man den Eindruck, die Oper Hannover versuche einen Neuanfang im Zeichen der Behutsamkeit, ohne jedoch die innovativen Tendenzen, die sich seit dem Eintritt ins neue Jahrtausend bemerkbar machten, zurückzunehmen.
Einem Trend folgend, der auch an vielen anderen Opernhäusern herrscht, interessiert sich auch Klügl für die Erweiterung des immergleichen Repertoires. Mit der Ausgrabung einer Oper aus den dreißiger Jahren – "Simplicius Simplicissimus" von Karl Amadeus Hartmann (Premiere in "Fazit" am 19. Januar besprochen) – setzt er allerdings nicht auf musikalische Kulinarik, obwohl das Werk in seinen vielen reinen Instrumentalpassagen auf reizvolle Weise barocke Klangsprache integriert. Vor allem aber wirkt die Inszenierung von Frank Hilbrich wie eine Antwort auf (und Zurücknahme von) Bieitos "Troubadour".
Hatte der die populäre Verdi-Oper als "Fightclub" angelegt und alle Gewalttaten, von denen das Stück ja strotzt, geradezu provokativ herausgestellt, so haben wir mit Hartmanns Oper über den berühmten Antihelden des Dreißigjährigen Krieges ein Stück, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass die äußere Gewalt zurücktritt. Was Hartmann/Hilbrich interessiert, ist die "Verheerung von Simplicius’ Seelenschatz", ist das, was Krieg und Gewalt im Inneren der Menschen anrichten. Im Verzicht auf Effekte liegt die Stärke dieser eindringlichen Produktion, der mit der geschmeidigen Olivia Stahn in der Hosenrolle des Simplicissimus eine kongeniale Ausdrucksträgerin dieser Ästhetik zur Verfügung steht.
Sparsamkeit der Effekte scheint auch das Motto der letzten Neuinszenierung im alten Jahr 2007 zu sein, die der Schauspielregisseur Christof Nel dem Haus bescherte. Verdis "Don Carlo" bringt er als intensives Darstellertheater auf die Bühne, in dem wiederum die weiblichen Hauptpartien – Brigitte Hans als Königin Elisabeth, Khatuna Mikaberidze als Gräfin Eboli – herausstechen. Sie dürfen auch in den Gesten und in dem teilweise wirkungsvollen Rot ihrer Garderobe kontrastieren mit dem Grau-Schwarz der übrigen Kulisse, das ebenfalls sehr einleuchtend die Totengräberruhe des habsburgischen Spaniens unter König Philipp (wie des drangsalierten Flanderns, das dem Marquis Posa so am Herzen liegen) dokumentiert.
Zwar ist dem Regisseur nicht viel zum emotional-politischen Umeinanderringen der drei männlichen Protagonisten eingefallen, aber seine Sicht auf die scheiternden Ausbruchsversuche der Personen in Verdis "Don Carlo" aus einer still gestellten, unter permanenter Beobachtung stehenden zeremoniellen höfischen Welt ist doch im Ganzen überzeugend, ohne plakativ ins Karikaturistische zu rutschen, wozu sich Theaterregisseure so oft versteigen, wenn sie Verdis Vorlage, den Schiller’schen "Don Carlos", auf die Bretter bringen.
Im Gegensatz zur Behutsamkeit der beiden geschilderten Produktionen könnte man bei der jüngsten Premiere, der Neuinszenierung von Mozarts "Zauberflöte", die Klügl in die Hände der gerade 30-jährigen Absolventin der Hannoveraner Musikhochschule Elisabeth Stöppler legte, von Beherztheit reden. Mit großem szenischem Einfallsreichtum geht die Jungregisseurin das beliebte Stück an, stellt es schon mit der inszenierten Ouvertüre in den Rahmen einer Kinderfantasie.
Unter dem Gerüst jener Schaukel, auf der Klein-Pamina zu den Klängen der Ouvertüre hin- und herschwebt, stehen am Ende auch Pamina und Tamino, um sich dann aber wieder zu verlieren. Konsequent akzentuiert die Regie das Märchenhafte, Komödiantische des Stücks und beschert der Aufführung viele poetische, auch witzige Elemente, wozu nicht zuletzt der spielfreudige Papageno von Frank Schneiders beiträgt.
Die Sarastro-Welt, bestehend aus hüft- und lendenlahmen Lemuren, gerät Elisabeth Stöppler allerdings zum Klischeefeindbild einer autoritären Gesellschaft. Die Idee der Läuterung und Erziehung zum Humanismus wird kurzerhand gekappt. Sarastro und die Seinen – lauter böse Onkels, die den Kindern ihr Vergnügen vermiesen? Das ist natürlich nur der halbe Mozart, aber im Rahmen ihres Konzepts geht diese Perspektive auf.
Und wenn ein gut Teil des Publikums auch empört reagiert, gebannt hat es doch zugehört und zugesehen, denn einprägsame Momente bietet die Aufführung zuhauf, gleichwohl die sängerisch herausragenden Leistungen wiederum von den Damen stammen, allen voran Ekaterina Lekhina als Königin der Nacht. Kurzum: die Staatsoper Hannover ist auf einem vielversprechenden Weg in die Zukunft. Man sollte sich mehr für sie interessieren!