Neu im Kino: "Innen Leben"

Ein Antikriegsfilm als intensives Kammerspiel

Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abbass) blicken auf den Krieg vor der Tür
Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abbass) blicken auf den Krieg vor der Tür © © Weltkino
Von Hannelore Heider · 21.06.2017
Neun Menschen verbarrikadieren sich in "Innen Leben" in einer Wohnung irgendwo in Syrien. Der Krieg bestimmt seit Langem ihr Leben. Eines Tages passiert Entsetzliches und Hausherrin Oum Hazan muss Wahrheiten verschweigen, um die Gruppe nicht zu gefährden.

Worum geht es?

Neun Menschen haben sich in ihrer Wohnung in einer syrischen Stadt verbarrikadiert, um sich vor den Kämpfen vor ihrer Haustür zu schützen. Der Krieg bestimmt schon lange ihr Leben, die Tür wird innen mit Brettern vernagelt, ängstlich hören sie auf jeden Einschlag, um herauszufinden, wann man die Wohnung kurz verlassen kann, um sich mit Wasser und Essen zu versorgen. Der Wasserhahn gibt nichts mehr her, die Stromversorgung ist gekappt.
Trotzdem bietet die resolute Hausherrin Oum Hazan (Hiam Abbass) neben ihrer fünfköpfigen Familie auch ihren Nachbarn Zuflucht. Das junge Paar mit einem Baby plant, an diesem Tag aus Syrien in den Libanon zu fliehen, was sie bis jetzt geheim gehalten haben.
Da passiert das Entsetzliche: Nur Delhani, das Dienstmädchen, beobachtet vom Fenster aus, dass auf dem tristen Hinterhof der Ehemann der jungen Frau von einem Scharfschützen erschossen wird. Vermutlich. Denn er ist hinter einen Müllcontainer gefallen.
Oum verpflichtet das Dienstmädchen, niemandem etwas zu sagen. Auf den Hof zu gehen, um sich zu vergewissern oder gar den Verletzten zu bergen, ist unmöglich. Die zwei Frauen verschweigen Halima (Diamand Abou Abboud) den Tod ihres Mannes. Stundenlang wartet sie vergeblich auf ihn. Eine Marter, der auch Oum und Delhani ausgesetzt sind. Sie sind vor das moralische Dilemma gestellt, die Wahrheit verschweigen zu müssen, um die ganze Gruppe nicht zu gefährden.

Was ist das Besondere?

Die Gräuel des Krieges werden in den engen Gängen und Zimmern einer bürgerlichen Stadtwohnung offenbar. Den Räumen der drei halberwachsenen Kinder sieht man immer noch an, wie normal diese Menschen einstmals gelebt haben müssen, die Poster an den Wänden sind die gleichen wie bei Jugendlichen überall auf Welt. Jetzt aber bestimmen Todesangst und Überlebenswille die Beziehungen der Menschen.
Allein der alte Großvater, dem - wie in dieser Kultur üblich - alle höchsten Respekt bezeugen, hat mit dem Leben abgeschlossen. Ansonsten wird nur auf ein vereinbartes Klopfzeichen hin Kontakt mit dem Leben draußen aufgenommen. Mit den Spionen der Regierung oder einer Miliz muss man sich allerdings arrangieren.
Der Film ist so beklemmend, weil alles, was einst natürlich war, aus dem Alltag verschwunden ist. Sicher nicht zufällig liegt die gesamte Last des moralischen Konfliktes auf den Schultern von drei Frauen.

Bewertung

Die ungewöhnliche Form dieses Antikriegsfilmes als Kammerspiel erzeugt höchste Intensität. Gerade weil man von den Umständen des Lebens davor und dem Geschehen draußen kaum etwas erfährt, wird die Fantasie des Zuschauers und seine Aufmerksamkeit aufs Höchste gefordert.
Herausragende Darsteller erzwingen unsere Anteilnahme und das gilt nicht nur für die drei wichtigen weiblichen Rollen. Jede Figur hat ihr Gewicht und behauptet ihre Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten.

Innen Leben
Belgien, Frankreich, Libanon 2017
Regie: Philippe Van Leeuw
Darsteller: Hiam Abbass, Diamand Abou Abboud, Juliette Navis, Mohsen Abbas, Moustapha Al Kar, Alissar Kaghadou, Ninar Halabi
Länge: 85 Minuten, FSK: frei ab 12

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