Neu im Kino: "Der seidene Faden"

Die Angst, jemand anderes in sein Leben zu lassen

Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in Paul Thomas Andersons Film "Der seidene Faden"
Daniel Day-Lewis und Vicky Krieps in Paul Thomas Andersons Film "Der seidene Faden" © imago stock&people
Von Patrick Wellinski |
Im London der 50er-Jahre steigt Reynolds Woodcock zum Modestar auf. Doch als die junge Alma in sein Leben tritt, gerät vieles in seinem so wohl gefügten Leben durcheinander. Mit dem Porträt dieser Liebe ist Paul Thomas Anderson ein hermetischer und sehr introspektiver Film gelungen.

Worum es geht

In seiner achten Regiearbeit erzählt der eigensinnige Paul Thomas Anderson von Reynolds Woodcock, einem exklusiven Modeschöpfer, der im London der 1950er-Jahre als Dreh- und Angelpunkt der Haute Couture die Schönen und Reichen beliefert. Woodcock ist ein Genie, ein Künstler, der sich seine eigene Welt geschaffen hat. Alle Mitarbeiter kreisen um ihn wie Planeten um eine Sonne. All das beginnt sich zu ändern, als sich Woodcock in die junge Alma verliebt. Sie ist anfangs nur seine Muse und später eine Störung in seinem System. Woodcock muss sich entscheiden, zwischen seiner kreativen Abgeschiedenheit oder einer Öffnung zu Alma.

Was den Film besonders macht

Paul Thomas Anderson hat einen wundervollen und sehr eleganten Einblick in die Welt der Mode geliefert. Doch sein Film glänzt vor allem durch die nicht eindeutige Dynamik zwischen Woodcock und Alma. Es lässt sich schwer entschlüsseln, wie die beiden ticken. Über den psychologischen Realismus lässt sich ihr Handeln jedenfalls nicht deuten. Vielleicht ist "Der seidene Faden" ein Film über den schmerzhaften Prozess, jemand anderes in sein Leben zu lassen: über die Angst sich zu öffnen, Routinen aufzugeben und etwas Neues anzufangen. Ansonsten sehen wir hier auch die Bilder eines denkwürdigen Abgangs: der große Charakterdarsteller Daniel Day Lewis hat angekündigt, dass dies seine letzte Kinorolle sein werde. Seine ruhige, fast schon meditative Performance ist ein seltsamer, aber nicht minder beeindruckender Abschluss einer großen Kinodarstellerkarriere.

Bewertung

Das meisterhafte an "Der seidenen Faden" erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Es ist ein hermetischer, introspektiver Film, einer, den man sich erarbeiten muss, der es einem phasenweise nicht leicht macht. Doch die Arbeit lohnt sich, da sich hinter den schönen Kleidern und Gesten eine tief persönliche Geschichte verbirgt, eine, die Paul Thomas Andersons Rolle als prägenden modernen Autorenfilmer unterstreicht. Vielleicht können sich ja zwei Menschen nur begegnen, wenn der eine dem anderen etwas nimmt? Schmerzen gehören zum Findungsprozess dazu. Das macht "Der seidene Faden" zu einem sehr menschlichen Film.

Der seidene Faden
USA, Drama 2017
128 Minuten, FSK: frei ab 6
Regie: Paul Thomas Anderson
mit u.a. Daniel Day Lewis, Vicky Krieps, Leslie Manville

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