Neu-England

Teure Kunst in armer Stadt

Ausschnitt des Plakats zur Ausstellungseröffnung
Ausschnitt des Plakats zur Ausstellungseröffnung © Worcester Art Museum
Von Jürgen Kalwa · 29.03.2014
Es fehlt an Geld und - noch - an einer respektablen Zahl von Besuchern, aber keineswegs an Ideen. Und mit denen bringt der deutsche Kunsthistoriker Matthias Waschek seit einem Jahr in Neu-England das mehr als hundert Jahre alte, aber oft unterschätzte Worcester Art Museum ins Gespräch. Seine erste große Ausstellung zeigt, wie sich Publikumsgeschmack und Kunstgeschichte in einem Land miteinander verbinden lassen.
Die Wertschätzung eines Bildes lässt sich gewöhnlich bereits daran ablesen, an welchen Orten es präsentiert wurde. So wie im Fall von Paolo Veroneses "Cupido wird von Venus entwaffnet". Das Ölgemälde, das 1990 bei Christie's einen Preis von 2,9 Millionen Dollar erzielte, gehörte 2001 zur Ausstellung "Venus: Bilder einer Göttin" in der Alten Pinakothek in München und hing danach eine Weile leihweise im Metropolitan Museum in New York.
Wer es dieser Tage sehen will, muss eine Reise in die amerikanische Provinz antreten. Nach Neu-England. Ins Worcester Art Museum. Denn dem hat die New Yorker Sammlerin, die es damals bei der Auktion erworben hatte, das Bild im letzten Jahr geschenkt. Ihre Begründung? “Das beste Heim für ein Kunstwerk ist eine Einrichtung, in der es der Sammlung etwas Neues hinzufügt und dazu beiträgt, ein neues Publikum anzulocken.”
"Das war nationale News. Die New York Times hat darüber berichtet und viele andere Zeitungen."
Matthias Waschek, der Direktor, ist für solche Gaben ausgesprochen dankbar. Denn als er vor anderthalb Jahren seinen Posten antrat, fand er eine ziemlich schwierige Ausgangslage vor. Es fehlte nicht nur an Geld. Es mangelte auch an guten Nachrichten. Man schlief im Haus wie im Glassarg aus dem Märchen und wartete auf jemanden, der die Institution und ihre Mitarbeiter wachrüttelt. Waschek ist solch ein Typ. Anfang 50, promovierter Kunsthistoriker, geboren in Neumünster, Studium in Bonn, jahrelang im Louvre in Paris, danach Gründungsdirektor die Pulitzer Art Foundation in St. Louis. Er weiß, mit dem Vorhandenen umzugehen.
"Die Sammlung des Worcester Art Museums ist phänomenal", sagt er und nennt Höhepunkte. Wie jene Predella, der Historiker eine besonderen Wert zumessen.
"Höchstwahrscheinlich ist eine Figur da drin vom jungen Leonardo da Vinci gemalt worden, als er im Atelier von Verrocchio war. Wir haben, glaube ich – wir sind im Land der Superlative – das größte antike Mosaik auf dieser Seite des Atlantiks. Riesiggroß. Das Worcester Hunt Mosaic. Aus Antioch an der Grenze von Syrien und der Türkei. Wir haben zum Beispiel eines der ersten Gemälde, das Gauguin 1891 in Ozeanien gemalt hat. Diese Sammlung ist zustande gekommen, weil einige Bürger - Patrizier mit sehr, sehr viel Geld – um zu zeigen, dass Worcester einen Platz im Konzert der Nationen hat. Es ist geradezu erstaunlich, dass ein Ort mit maximal 200.000 Einwohnern in die Position kommt."
Erstaunlich allerdings nur, wenn man nicht weiß, welchen Reichtum der Industriestandort Worcester im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts produzierte. Es gab Maschinenbau-Unternehmen und Drahthersteller und die Firma namens Pullman, die die berühmten Eisenbahnwaggons herstellte. Die schwere Strukturkrise der Entindustrialisierung, die folgte, hat Worcester inzwischen überwunden. Heute sind angesehene Bildungseinrichtungen und Hospitäler wichtige Arbeitgeber.
Das Museum jedoch hinkt in Sachen Aufschwung hinterher. Und so hat man Matthias Waschek angeheuert. Der hatte in St. Louis gezeigt, wie man eine elitäre Kunsteinrichtung den unmittelbaren Nachbarn in ihrem Milieu voller Armut und Gewalt näher bringt: in dem man unter anderem einen Sozialarbeiter anstellt.
In Worcester sind die Verhältnisse nicht halb so krass. Hier geht es zunächst erstmal nur darum, in der Region und vor allem im Oberzentrum Boston, rund 80 Kilometer entfernt, das Image aufzumöbeln, sagt Matthias Waschek.
"Die Stadt Worcester hat eine ziemlich schlechte Presse in Neu-England. Aus der Bostoner Perspektive sind das die Hill-Billies."
Hill-Billies, auf Deutsch "Hinterwäldler", die nicht mal wissen, welche Schätze in ihrer eigenen Stadt verborgen sind. Weshalb auch das Higgins Armory Museum nur einige Kilometer weit entfernt Ende 2013 zumachen musste. Der Mangel an Interesse an der mehr als 2000 Ritterrüstungen, Helmen und Schwertern – aus Europa und aus Japan – zehrte die Einrichtung irgendwann einfach finanziell aus.
Waschek war jedoch nicht unglücklich. Er bekam die Sammlung komplett, ohne einen Cent dafür zu bezahlen. Und das Stiftungskapital, um sie in Schuss zu halten, noch dazu. Er wiederum revanchierte sich auf opulente Weise. Mit einer großen Ausstellung mit dem Titel "Knights!" – Ritter jetzt eröffnet wurde. So etwas schafft Aufmerksamkeit.
So schwierig seine Situation sein mag, sie unterscheidet sich von der anderer amerikanischer Museen, die sich de facto in einer extremen Abhängigkeit von reichen Gönnern befinden.
"Das heißt, es gibt niemanden, der mit Geld etwas blockieren kann. Mein Erfolg wird daran gemessen, dass ich das Geld finde. Und Geld wird nur angezogen, wenn sie die Ideen haben. Das heißt: Jede Veränderung kann nur dann stattfinden, wenn sie das Museum langfristig auf sichere Bahnen bringt."
Zu solchen Veränderungen gehören in Worcester Dinge, wie man sie in keinem anderen Museum auf der Welt macht. Dicht gruppierte alte Meister zum Beispiel, teilweise hoch oben an der Wand und zum Betrachter hin geneigt wie einst an den Wändern von Burgen und Schlössern – das war eine Idee des Kunsthistorikers Waschek. Genauso wie die Entscheidung, den Haupteingang zur Straße, der aus Gründen der Kostenersparnis geschlossen worden war, als erste Amtshandlung wieder aufzusperren.
"Wissen Sie, wenn Sie in einer finanziell prekären Situation sind, Sie brauchen schnell symbolische Erfolge. Das war ein ganz einfacher symbolischer Erfolg. Mit vielen kleinen symbolischen Erfolgen bilden sie ein Momentum für etwas Größeres. Und wir arbeiten jetzt an diesem Größeren."