Netzwerk Wissenschaftsfreiheit

"Das Sagbare soll eingeschränkt werden"

Andreas Rödder im Gespräch mit Anke Schaefer · 05.02.2021
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Die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland sei in Gefahr, sagt Andreas Rödder. Der Historiker ist einer der Initiatoren eines Netzwerks, das sich gegen die "Cancel Culture" an den Universitäten wendet, und klagt über moralische Diffamierung.
Der Mainzer Historiker Andreas Rödder erhebt schwere Vorwürfe: Wissenschaftler wie Herfried Münkler oder Jörg Baberowski seien in Deutschland massiven Diffamierungen ausgesetzt, es gebe Versuche, die Redefreiheit einzuschränken.

Was gesagt und was nicht gesagt werden kann

Rödder spricht von "massiven Anstrengungen zu normieren, was gesagt werden und was nicht gesagt werden kann". Der Historiker hat nun eine Initiative gegen Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit mitgegründet. Vielerorts sei an den Universitäten ein Klima der "Cancel Culture" entstanden, in dem abweichende Positionen und Meinungen an den Rand gedrängt und moralisch sanktioniert würden, erklärt das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit".
"Das Sagbare soll eingeschränkt werden, weit bevor die Grenzen von Recht und Verfassung berührt sind", kritisiert Rödder. Wer sich beispielsweise zuwanderungskritisch äußere, werde schnell als Rassist bezeichnet. Damit werde man dann moralisch gelabelt. "Wenn man einmal gegen den Mainstream etwas sagt, merkt man sehr schnell, wo diese Normierungstendenzen des Sprechens anzutreffen sind", meint der Historiker.

Thesen müssen politisch und moralisch "fortschrittlich" sein

Widerspruch sei nicht das Problem, es gehe um "moralische Diffamierung", sagt Rödder. Es gebe an den Universitäten zudem massive Versuche, Veranstaltungen zu stören. Das alles zusammen habe Einschüchterung zur Folge, und das führe wiederum zu "Mechanismen der Selbstkonformisierung".
Auch die Bochumer Philosophin Maria-Sibylla Lotter hat sich dem Netzwerk angeschlossen. Es käme im Uni-Alltag durchaus zu Absagen von Vorträgen, wenn die Thesen der Vortragenden nicht politisch und moralisch "fortschrittlich" erschienen, sagt sie. Für die Universitäten sei es "eine untragbare Situation", wenn bestimmte Positionen nicht mehr vertreten würden, sagt Lotter: "Die Universität lebt von der freien Debatte, gerade heikler Probleme. Das ist ihre gesellschaftliche Aufgabe."
Der Historiker Andreas Frings, wie Rödder an der Mainzer Universität beheimatet, widerspricht diesen Positionen und Zustandsbeschreibungen ausdrücklich. Er sieht in dem Manifest der Initiative eine "unangemessene Dramatisierung", es zeichne ein Bild, als ob die Wissenschaften in Deutschland kurz vor dem Untergang stünden. Bei der "Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit" falle ihm zuerst die Situation von Wissenschaftlern in Ungarn, Polen oder Weißrussland ein – und nicht die deutsche Diskussion um "Cancel Culture", sagt Frings.
Im "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" haben sich rund 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum und unterschiedlichen akademischen Fachgebieten zusammengeschlossen. Neben Rödder und Lotter gehören dazu auch der Historiker Jörg Baberowski, der Philosoph Christian Illies, der Sozialwissenschaftler Berthold Löffler, der Jurist Reinhard Merkel und die Islamforscherin Susanne Schröter.

Das Ziel ist die Entwicklung von Gegenstrategien

Als Ziel gibt die Initiative an, die Bedeutung der Forschungs- und Lehrfreiheit herausstellen zu wollen, Fälle von Einschränkungen offenzulegen und Gegenstrategien zu entwickeln. Zudem sollen Forscher unterstützt werden, wenn es Angriffe auf ihre Wissenschaftsfreiheit gibt.
(ahe/rja/nho)
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