Netzphänomene

"Twittern Sie aus dem All?"

Von Christian Grasse · 27.12.2013
Jedes Jahr gibt es so etwas wie einen großen Internet-Hit. 2012 war es der Gangnam Style von Psy, ein ziemlich schräger Rapper aus Südkorea. Was war in diesem Jahr groß im Netz?
Das Internetjahr 2013 begann im All. Ein Tweet des kanadischen Astronauten und ISS-Kommandanten Chris Hadfield machte am dritten Januar die Runde im Netz und Hadfield damit zum Twitter-Liebling. US-Schauspieler William Shattner, besser bekannt als Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise, wollte wissen:
"Chris Hadfield, twittern Sie aus dem All?"
Die Antwort lautete:
"Ja, aus der Standard-Umlaufbahn, Captain. Und wir haben Lebenszeichen auf der Oberfläche entdeckt."
Der Beginn einer beispiellosen Social-Media-Raumfahrerkarriere mit perfektem Abschluss. Den 12. Mai, den Tag seiner Rückkehr zur Erde, krönte Commander Hadfield mit einem persönlichen Abschiedslied, das mit knapp 20 Millionen Klicks auf Youtube zum Hit wurde.
Auf der Erde ging es derweil weniger harmonisch zu. Unter dem Twitter-Schlagwort #Aufschrei dokumentieren seit Ende Januar Frauen sexistische Äußerungen und Übergriffe und lösten eineSexismusdebatte aus, die schnell aus dem Netz schwappte, die klassischen Medien und schließlich das gesamte Land erfasste.
"Der Vater einer Freundin, der mir damals 13 weinselig was von 'Traumfrau' erzählte, während er mein Bein streichelte #aufschrei"
"Der Kollege, der mich auf der Weihnachtsfeier vor 3 Jahren angrapschte, weil ich 'doch so ausgelassen' war. #aufschrei"
"Lese #aufschrei und fühle mich als Mann richtig schlecht."
Grimme Online Award für #Aufschrei
"Im besten Fall hat es Leute sensibilisiert, die vorher überhaupt kein Zugang zu dem Thema hatten. Und zusätzlich hat es in vielen Fällen auch mehr Bewusstsein für andere Diskriminierungsformen geschaffen."
Sagt Anne Wizorek. Ihre Idee zum Hashtag #Aufschrei brachte dem wirkungsvollen Twitter-Schlagwort am 21. Juni sogar einen Grimme Online Award ein.
Zu diesem Zeitpunkt dominierte aber bereits ein anderes Thema die Kommentare im Netz. Denn im Juni kamen die ersten Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden ans Licht. Die Bundesregierung hält sich zurück, erklärt den Überwachungsskandal schnell für beendet und das Internet bekommt von der Kanzlerin einen neuen Status zugeteilt.
Angela Merkel: "Das Internet ist für uns alle Neuland."
2013 ist aber nicht nur das Jahr der Überwachung, sondern auch das Jahr der Kryptografie.
Was sagt eigentlich der Fuchs?
Das Thema E-Mail-Verschlüsselung schafft es in die Massenmedien, es wird sogar über die Errichtung eines Deutschen Internets diskutiert. Während die Idee eines "Schlandnet" jedoch schnell wieder verschwindet, erlebt die digitale Kryptowährung Bitcoin einen Höhenflug. Von 13 Dollar steigt der Wert eines einzigen Bitcoins zwischenzeitlich auf über 1000 und wird im Netz zum heiß begehrten Spekulationsobjekt.
Einen ähnlich raketenhaften Aufstieg legte im Herbst auch ein zuvor völlig unbekanntes Komiker-Duo aus Norwegen hin. Ylvis begeben sich in ihrem unerklärlich erfolgreichen Youtube-Video auf die Suche nach tierischen Fakten. Es sei ja bekannt, dass die Kuh muh mache, der Frosch quak und der Hund wuff-wuff. Ja, aber was sagt eigentlich der Fuchs?
Über eine viertel Milliarde Mal wurde dieser Song bereits angeklickt. Noch nie davon gehört? Fragen Sie einfach ihre Kinder oder Enkel! Bei Phänomenen wie "What Does The Fox Say" könnte man meinen, das Netz produziere Parallelgesellschaften, die ausschließlich den Jüngeren vorbehalten sind. Dieser Eindruck täuscht. Denn: Die Alten holen auf. Laut der aktuellen ARD-ZDF-Onlinestudie sind im Jahr 2013 über 40 Prozent der Generation 60+ im Netz unterwegs und über 80 Prozent aller 50- bis 60-Jährigen. Da überrascht es auch nicht, wer in diesem Jahr die Liste der in Deutschland am häufigsten gegoogelten Personen anführt.
Genau, Helene Fischer, die Königin des Schlager-Schmonzetten-Pop. Abgeschlagen auf Platz zwei und drei: die Möchtegern-Skandal-Sängerin Miley Cyrus und der dauerpubertierende Teenie-Star Justin Bieber.