Netflix-Serie "Sense8"

"Klassische Sender machen immer dasselbe"

Eine Seite der Videostreaming-Firma Netflix ist auf einem Laptop-Bildschirm zu sehen.
Wahnsinnig populär, besonders bei Serien-Guckern: Netflix © dpa / Bernd Von Jutrczenka
Grant Hill im Gespräch mit Susanne Burg · 06.06.2015
"Sense8" ist eine zwölfteilige Fantasy-, Science-Fiction- und Action-Serie, die jetzt auf Netflix anzuschauen ist. Produzent Grant Hill erzählt im Interview, wie aufwendig die Dreharbeiten waren - und warum gute Serien einfach süchtig machen.
Susanne Burg: Haben Sie denn das Gefühl, dass Lana und Andy Wachowski nach den Kritiken an ihren letzten Kinofilmen wie "Cloud Atlas" bei dem Format der epischen Serie in zwölf Teilen nun besser aufgehoben sind?
Grant Hill: Also, die Wachowskis, die sind schon immer gerne an Grenzen gestoßen und sie wollten schon immer Material finden, bei dem sie etwas anderes machen können. Und hier ist es einfach so, sie haben jetzt ein Zwölf-Stunden-Format gefunden und das ist vielleicht auch das bessere Format in der Hinsicht, dass sie hier mit gewissen Einschränkungen drehen müssen. Man muss schon, wenn man fürs Fernsehen dreht, ganz anders arbeiten als für das Kino, und der Zeitfaktor spielt da eine ganz große Rolle. Und so konnten sie ihre Energien einfach besser auf diese Fernseharbeit konzentrieren. Weil, es ist so, dass man beim Fernsehen doch etwa acht Minuten pro Tag drehen muss, im Kino sind das höchstens zwei Minuten. Und dadurch waren sie schon gezwungen, so ein bisschen vorzustürmen. Und sie konnten aus der Hüfte drehen und Dampf ablassen. Gleichzeitig fand natürlich ein Denkprozess statt und es musste eine Methode gefunden werden, eine Drehmethode, wie man so viel drehen könnte und gleichzeitig die hohen Produktionsstandards, die man von den Wachowskis gewöhnt ist, beibehalten konnte. Aber ich denke, das ist ihnen ganz gut gelungen.
Burg: Es ist ja ein unglaublich aufwendiges Projekt. Sie haben in acht verschiedenen Städten gedreht, in verschiedenen Städten wie San Francisco, Reykjavik, Seoul, Mumbai, Berlin, Nairobi. Was waren da die logistischen Herausforderungen?
Hill: Nun, es war eine große logistische Herausforderung. Und das wussten wir auch. Jede dieser acht Figuren, dieser acht Hauptfiguren, die in dem Film eine Rolle spielen, lebt ja in einer Stadt. Und wir wollten auch, dass das Publikum dadurch ein tieferes Verständnis für die Figuren entwickelt, weil diese acht Figuren jeweils in ihrer einzelnen Stadt bleiben. Und so zeigen wir diese Städte auch nicht nur in dieser Postkartenidylle, die man streckenweise von diesen Städten kennt, sondern das Ganze wird persönlicher, weil jede Figur auch ihre persönlichere Einsicht auf die Stadt eben zeigt. Das verstärkt und vertieft letztendlich die Charaktere und man bekommt eine größere Tiefe, eine ganz andere Perspektive. Und das war natürlich unglaublich komplex eben auch für das Drehteam. Wir haben zwölf Tage in San Francisco gedreht, zwei Tage später waren wir dann schon in Chicago, dort blieben wir 23 Tage, dann mussten wir nach England, wo wir neun Tage drehten, und zwei Tage später waren wir schon wieder in Island. Also, da gehört eine unglaubliche Logistik dazu, eine Infrastruktur, die perfekt geplant sein muss. Und natürlich haben wir auch mit lokalen Teams, mit lokalen Crews gedreht, und alles musste wirklich perfekt funktionieren.
Allzu kalkuliert für den Streaming-Dienst?
Burg: Sie haben das Konzept vor sechs Jahren entwickelt, als noch nicht klar war, dass Netflix zu so einem globalen Player werden würde. Nun gibt es trotzdem Stimmen, die sagen, die Serie ist perfekt für so einen Streaming-Dienst, der dem globalen Markt erobern will, aber es besteht eben auch die Gefahr, dass es allzu kalkuliert wirkt. Was ist Ihre Antwort darauf?
Hill: Nun, man kann ja nicht in die Zukunft schauen, man kann sie nicht voraussehen. Und wir hatten erst einmal eine Serie entwickelt, die in verschiedenen Ländern spielen sollte. Und wir als die Kreativen und Netflix dann als das produzierende Studio, wir haben uns dann wirklich in diese Serie hineingekniet und uns in erster Linie auf die Kreativität und auf diese Vision konzentriert. Und wir haben wirklich eine Geschichte geschrieben, die für die gesamte Welt irgendwie gültig ist. Also, das ist wie auf eine große Leinwand gemalt worden, und da spielt natürlich jetzt diese Ausdehnung von Netflix eine schöne Rolle, das freut uns natürlich sehr, dass Netflix jetzt international sich so etabliert hat. Und wir haben erst mal eine Story geschrieben und können die jetzt auch optimal umsetzen und können Menschen in verschiedensten Lebenssituationen zeigen, mit eigenen Herausforderungen. Und das Schöne ist natürlich, dass das jetzt weltweit ein internationales Publikum erreicht, und das ist großartig.
Burg: Ein großes Credo von Netflix ist auch: Daten lügen nicht, data doesn't lie. Netflix führt auch Tests durch, wie bestimmtes Material, wie bestimmte Shows ankommen beim Publikum. Kunden bekommen zum Beispiel sechs Designs vorgesetzt, nach kurzer Testzeit wird dann der Sieger gekürt, man will eben herauskriegen, wie die Zuschauer ticken, wann wer wie lange pausiert. Haben Sie als Produzent nicht auch Sorge, dass das Einfluss haben könnte auf den Inhalt einer Show?
"Eine fantastische Entwicklung"
Hill: Nein, eigentlich finde ich, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Publikum ist ja so vielfältig und so groß, dass es ganz andere Möglichkeiten heutzutage gibt. Und die traditionellen Sender haben ja dem Publikum auch nicht immer gutgetan. Es ist ja sehr vieles eben auch dem Publikum vorenthalten worden. Und nun haben wir einfach die Möglichkeit, auch neue Formate zu entwickeln, auch Neues auszuprobieren. Und auch das findet sein Publikum. Und es ist so, dass dieses Publikum auch einen gewissen Appetit auf Dinge entwickelt hat, die ein bisschen spezieller sind. Und wir können jetzt dafür die Shows und das Material entwickeln und es wird auch produziert. Was bei den klassischen Sendern ja so nicht der Fall war, oder den Plattformen, die es bisher gegeben hat. Und dann hat man dazu geneigt, einfach immer dasselbe zu machen. Das hat natürlich auf Dauer auch nicht mehr funktioniert. Insofern finde ich, das ist eine fantastische Entwicklung, die jetzt stattgefunden hat, dass es sehr viel mehr Möglichkeiten gibt, eben solche Fernsehserien auch auszustrahlen. Und das findet dann auch sein Publikum.
Burg: Netflix hat auch den Trend dieses exzessiven Serienguckens, des Binge Watching, befeuert, indem es alle Episoden einer Staffel auf einmal zur Verfügung stellt. Jetzt haben sich einige wichtige Köpfe, haben ihr Bedauern über diesen Trend geäußert, darunter die Chefin von "Orange Is the New Black" Jenji Kohan und der Erfinder von "Mad Men" Matthew Weiner: Zum einen, sagen sie, vermissen sie, dass hinterher über die Serie gesprochen wird, über einzelne Folgen, zum anderen aber sehen sie Probleme bei der Vermarktung. Man hat eben nur jetzt ein relativ kurzes Zeitfenster, bis die Serie online ist. Wie stehen Sie dazu?
Hill: In erster Linie macht man das ja für ein Publikum. Und ich finde es großartig, wenn der Zuschauer die Wahl hat, wie er eine Serie anschauen möchte. Und da ist er überhaupt nicht gezwungen, sich beispielsweise alles hintereinander anzuschauen, das kann er ja selber entscheiden. Und insofern finde ich das jetzt ein etwas seltsames Argument, dass man sich darüber beschwert, das sei unpraktisch. Ganz im Gegenteil, ich halte das für ausgesprochen praktisch.
Burg: Grant Hill, vielen Dank, thank you very much!
Hill: It's a pleasure!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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