Zukunft des Neoliberalismus

Die Kräfte des Marktes und die Verantwortung des Staates

53:53 Minuten
Ein Händler an der Börse, umringt von Monitoren, hält sich aus Verzweiflung den Kopf.
Bösenabsturz im Februar 2009: Als Auslöser der Weltwirtschaftkrise gilt die geplatzte Immobilienblase in den USA. © picture-alliance / dpa / Justin Lane
Moderation: Gerhard Schröder |
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Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise gilt Neoliberalismus als Schimpfwort. 1938 jedoch, als er „erfunden“ wurde, war die Welt im Würgegriff totalitärer Diktaturen. Eine kleine Gruppe von Gelehrten belebte liberales Gedankengut neu: die Neo-Liberalen.
Als sich 1947, nach dem Zweiten Weltkrieg, die Neoliberalen in den Schweizer Bergen zu einer Nachfolgekonferenz trafen, begann der Aufstieg einer wirtschaftspolitischen Philosophie, die nach Faschismus und Kommunismus zu den einflussreichsten Strömungen des 20. Jahrhunderts werden sollte.
Neoliberale Ökonomen wie Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman fragten: Wie sehr sollte sich der Staat aus allem Wirtschaftsgeschehen heraushalten? Ist es nicht besser, wenn er den Markt sich selbst überlässt?
Ende der 70er-Jahre, mit Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA, setzten sich die entschiedensten Verfechter eines unregulierten freien Marktes weltweit durch. Das Zeitalter globaler Deregulierungen begann. Nie zuvor konnte die Finanzwirtschaft so ungehemmt agieren wie am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
2008 stürzte die Welt in die globale Finanzkrise. Plötzlich war der Staat wieder gefragt, denn Staaten mussten mit riesigen Geldsummen intervenieren, um das Bankensystem und die Weltwirtschaft vor dem Zusammenbruch zu retten. Es war eine historische Zäsur. Die Frage nach der Rolle des Staates im Wirtschaftsgeschehen wird neu gestellt.
In den letzten Jahren sei der Begriff Neoliberalismus sehr negativ verwendet worden, beklagt der Präsident des ifo-Instituts in München, Clemens Fuest. „Alles, was schlecht ist, ist neoliberal“, sagt er. „Oder alles, was mit Geld und Märkten zu tun hat. Es ist ein oberflächlicher Kampfbegriff geworden, der eigentlich inhaltsentleert ist.“

Der Markt weiß nicht alles besser

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hingegen verweist auf die Weltfinanzkrise 2008. „Die ist für mich das beste Beispiel dafür, dass Neoliberalismus, die Idee, der Markt weiß es besser als der Staat, übers Ziel hinausgeschossen ist“, so Fratzscher. „Die Idee war: Banken wissen selber am besten, wie sie sich selber regulieren. Der Staat soll sich besser raushalten. Der bremst nur die Innovationen im Finanzsystem.“
Diese Innovationen hätten den Schattenbanken geholfen, massive Gewinne zu machen, solange es gut ging, dann aber die Verluste zu sozialisieren.
Oliver Richters, Physiker und Ökonom am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, sieht in der Hoch-Zeit des Neoliberalismus vor 2008 ein Beispiel, wie es den Finanzinstituten gelungen sei, das Beste für sich herauszuholen. „Man hat gerne gesagt, man macht hier gute Profite, weil man die Risiken trägt in der Ökonomie, und als die Risiken eintrafen, wollte man sie dann doch nicht selber tragen.“ Eigentlich zeige die Finanzkrise ein Auseinanderfallen von Leistung und Gegenleistung. „Man streicht gerne ein und lässt sich die Verluste dann von der Gesellschaft bezahlen.“
Auch beim Thema Umwelt und Klima seien die Verhältnisse ähnlich. „Dass diejenigen, die Ressourcen verbrauchen, Biodiversität zerstören, die Kosten, die dabei anfallen, in keiner Weise selber tragen.“

Als die Immobilienblase platzte

Für Clemens Fuest sind nicht allein die Akteure des Marktes für die Weltfinanzkrise verantwortlich zu machen, vielmehr habe der Staat eine verhängnisvolle Rolle gespielt: In den USA habe Bill Clinton die Banken animiert, Kredite für Hausbauten an Menschen zu vergeben, die kein Kapital hatten.
So sei die Immobilienblase entstanden, die dann geplatzt ist. Allerdings, so Marcel Fratzscher, hätten die Finanzinstitutionen dann zweifelhafte Praktiken angewandt, „Unternehmen haben Finanzprodukte entwickelt, wo Risiken so verschachtelt wurden, wo die wirklichen Risiken nicht mehr erkennbar waren. Für mich ist das eine kriminelle Energie.“

Der Staat muss den Märkten Grenzen setzen

Fratzscher beklagt, dass nicht genug Schlussfolgerungen aus diesen Erfahrungen gezogen worden sind. „Ich befürchte, uns stehen wieder große Finanzprobleme bevor, weil der Staat häufig bei der Regulierung hinterherläuft. Ich befürchte, wir wiederholen die gleichen Fehler in anderen Bereichen des Finanzsystems, weil es so komplex und so intransparent ist.“ Für die Zukunft erwartet Clemens Fuest vom Staat, dass er agil ist – ein schlanker Staat in guten Zeiten, der in schlechten Zeiten handlungsfähig ist. Marcel Fratzscher fordert, dass der Staat in guten Zeiten auch vom privaten Erfolg profitiert, um in schlechten Zeiten die Mittel zu haben einzugreifen.
Für die Zukunft verweist Oliver Richters vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung darauf, dass der Naturverbrauch bisher eine viel zu geringe Rolle bei der Regulierung des Wirtschaftsgeschehens spielt. „Die Frage nach dem Klimawandel zeigt, dass der Staat es versäumt hat, den Märkten passende Grenzen zu setzen.“
Über den Klimawandel hinaus müsse der wirtschaftliche Umgang mit der Natur neu geregelt werden. „Diese Idee, den Verbrauch von bestimmten Dingen zu begrenzen, wie wir es mit den CO2-Emissionen versuchen, auf Rohstoffe auszuweiten. Wer Rohstoffe aus der Erde holt, müsste ein solches Zertifikat erwerben. Das ist die Rolle starker Staaten.“

Es diskutieren Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, und Oliver Richters vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Moderation: Gerhard Schröder.

(wist)

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