Neo-nationale Architektur

Das große Verdrängen

Nachtaufnahme vom Stadtschloss, dem Dom und dem Fernsehturm in Berlin.
Neuer Bau im alten Gewand: Über den Wiederaufbau des 1950 gesprengten Stadtschlosses in Berlin wurde lange gestritten. © picture alliance / Zoonar / elxeneize
Ein Kommentar von Matt Aufderhorst · 20.04.2022
Etliche deutsche Städte werden mit Nachahmungen traditioneller Architektur aus früheren Epochen aufgehübscht. Kritiker Matt Aufderhorst sieht darin eine "Disneyisierung", die unangenehme Kapitel der deutschen Geschichte übertünchen soll.
Die deutsche Erinnerungskultur kennt Lücken. Um genau zu sein: leugnet sie. Jedenfalls im Bild unserer Städte, die verstärkt seit der Wiedervereinigung so umgestaltet werden, als hätte es keinen Zweiten Weltkrieg gegeben.

Unpolitische Architektur gibt es nicht

Nachkriegsarchitektur wird abgerissen. Kriegslücken, im weitesten Sinne, werden volkstümelnd übertüncht. Dieses Zukleistern mit „falscher“ Historie prägt etwa die neue Altstadt Frankfurts am Main, den Römer und, noch großflächiger, Potsdams Innenstadt. In Brandenburg geht es so weit, dass sogar das Parlament in einem nachgebauten Schloss untergebracht wurde. Als ob Demokratie und preußischer Absolutismus eineiige Zwillinge wären.
Auch der umstrittene Wiederaufbau der durch das Hitler-Regime missbrauchten Potsdamer Garnisonkirche gehört in die Rubrik neo-nationaler Architektur. Falls Sie sich jetzt fragen, warum es ansatzweise wichtig sei, ob einige Hundert Fachwerkhäuser wiederaufgebaut und Barockfassaden an Neubauten wie das Berliner Schloss geklatscht werden, das sähe doch alles so idyllisch aus, außerdem hätten wir mit dem Ukraine-Krieg ganz andere Sorgen, möchte ich darauf mit einem Grundsatz antworten: Unpolitische Gebäude gibt es nicht. Architektur spiegelt stets den moralischen Gemütszustand einer Gesellschaft wieder.
Deutschland wollte sich die letzten drei Jahrzehnte verniedlichen, die Nazi-Gräuel städteplanerisch wie ein lästiges Intermezzo ausblenden, als beinahe neutrale Wirtschaftsgroßmacht eine passive Sonderrolle spielen. Die pro-demokratische Erinnerungskultur wurde weitgehend auf Festreden und Stolpersteine beschränkt, während Berlin mit Putins Russland, Xis China und Modis Indien lukrative Geschäfte machte.

Erzkonservative Gesinnunsbauten

Das Wiederaufleben der neo-nationalen Bauten in den Innenstädten geht allerdings schon lange einher mit dem anti-aufklärerischen Gepolter der Putin-Versteherinnen gegen die Moderne. Der neo-nationale Historismus dient dabei nicht nur der Ausblendung deutscher Geschichte zwischen 1933 und 1945, sondern stellt sich gegen die freiheitliche Westbindung an Brüssel und Washington.
Der vom Verfassungsschutz überwachte AfD-Politiker Björn Höcke hat 2017 in einer Rede sowohl die Berliner Holocaust-Erinnerungsstätte ein „Denkmal der Schande“ genannt als auch die „Errungenschaften“ neo-nationaler Architektur gepriesen. Höcke versteht die Rekonstruktionen als das, was sie sind: Gesinnungsbauten, Ausdruck einer erzkonservativen Umkehr, die seit der Wende die Errungenschaften der Demokratie-Moderne aushebelt.
Dass dieser Gesichtspunkt der „Schandrede“ Höckes von den Befürwortern des neo-nationalen Wiederaufbaus, etwa dem Förderverein Berliner Schloss, nicht als braune Jauchegrube erkannt wurde, ist – im anderen Maßstab – der Verblendung der Deutschnationalen Anfang der 30er-Jahre gleichzusetzen, die allen Ernstes glaubten, Hitler und seine Horden zivilisieren zu können.

Geschichtsbewusst bauen

Wenn Architektinnen, die genau wissen, was sie wo und warum bauen, darauf verweisen, dass sie eine ideologische Überhöhung der rekonstruierten Gassen ablehnen, wenn sie darauf verweisen, in Town Hall Meetings mit den Wünschen der Anwesenden nach altfränkischer, althanseatischer, alt-was-auch-immer Gemütlichkeit konfrontiert worden zu sein, mag das ja alles stimmen, ändert aber nichts an der Tatsache der Instrumentalisierung des Stadtbildes. Eines Stadtbildes, dessen Pseudo-Geschichtlichkeit de facto eine Verleugnung der unmittelbaren Vergangenheit darstellt.
Es ist an der Zeit, geschichtsbewusster zu bauen und zu handeln. Wie? Weisen wir auf die Überformungen hin, platzieren wir Gedenktafeln vor den neo-nationalen Häusern. Verschweigen wir nichts, um nichts zu vergessen. Biedermeier sind müde Demokratinnen. Wissen widersteht der Diktatur, Ignoranz befördert sie.

Matt Aufderhorst ist 1965 in Hamburg geboren. Er ist Radio- und Fernsehjournalist und Mitbegründer von „Authors for Peace“. Er studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Seine Essays über Architektur und Erinnerung sind unter anderem in „Lettre International“ und „WOZ“ erschienen.

Porträtaufnahme des Journalisten Matt Aufderhorst
© Ali Ghandtschi
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