Nelson beim Festival "Prager Frühling"

Berlioz hoch zwei

Hector Louis Berlioz (1803-1869) in blauem Sakko und im Halbprofil als Gravur aus dem 19. Jahrhundert.
Louis Hector Berlioz (* 11. Dezember 1803 in La Côte-Saint-André, Département Isère; † 8. März 1869 in Paris) war ein französischer Komponist und Musikkritiker. © imago images / Leemage
Moderation: Olaf Wilhelmer · 07.06.2019
Eine Orgie mit Banditen und ein Loblied auf den Herrn – sei es Gott oder der Kaiser: Hector Berlioz war immer für eine Überraschung gut. John Nelson dirigiert zwei seiner gegensätzlichsten Werke in Prag.
Eine Orgie mit Banditen und ein Loblied auf den Herrn – sei es Gott oder der Kaiser: Hector Berlioz war in vielen Welten zuhause. Auch 150 Jahre nach seinem Tod ist er immer noch so etwas wie ein Geheimtipp, da sein Werk nicht leicht auf einen Nenner zu bringen ist. Zumal in einem Konzert wie diesem, das zwei gegensätzliche Stücke aus Berlioz' Feder einander gegenüberstellt.

Ein Musik-Visionär

Hector Berlioz, der von 1803 bis 1869 lebte, war der große Einzelgänger der französischen Romantik. Ein Visionär aus der französischen Provinz, dem das Künstlertum nicht in die Wiege gelegt war. Ein Mann von ungeheurer Belesenheit, der mit den großen Klassikern der Weltliteratur ebenso auf Du und Du war, wie er die revolutionären Neuerer seiner Zeit genau kannte, etwa die romantischen Pioniere Victor Hugo und Théophile Gautier.
Von all diesen Einflüssen zeugt sein irritierend vielseitiges Werk, aus dem – zu Recht – die "Symphonie fantastique" 1830 als eines der originellsten Stücke der gesamten Orchesterliteratur herausragt. Zu Unrecht aber wird vieles aus dem gar nicht so umfangreichen Œuvre von Berlioz wenig oder gar nicht beachtet. Das gilt für seine Opern ebenso wie für die musikliterarischen Mischformen und die geistliche Musik.

Zwischen allen Stühlen

Als Mann zwischen allen Stühlen hatte Berlioz seine größten Anhänger stets außerhalb Frankreichs, vor allem in Großbritannien und in den USA. Von dort kommt der Dirigent John Nelson, der seit Jahrzehnten neben John Eliot Gardiner der wohl vehementeste Fürsprecher des Komponisten aus La Côte Saint-André ist.
Auch beim Festival "Prager Frühling" hat sich John Nelson für Berlioz eingesetzt und mit dem Prager Radio-Sinfonieorchester einen reinen Berlioz-Abend gegeben.
Porträt des Dirigenten, der in die Kamera lacht.
Der Dirigent John Nelson ist Berlioz-Fachmann.© John Nelson / Marco Borggreve
Das Programm hätte dabei nicht kontrastreicher ausfallen können: Erst "Harold en Italie", jene abenteuerliche Pilgerfahrt und Banditenorgie mit Lord Byron im Gepäck, halb Bratschenkonzert, halb Tondichtung. Das Werk steht in Berlioz' Sinfonik chronologisch wie konzeptionell zwischen der "Symphonie fantastique" und "Roméo Juliette", das der Komponist bezeichnender Weise mit dem Untertitel "Symphonie dramatique" versehen hat.

Zwischen Schauerromantik und Staatsakt

Im zweiten Teil vereinigen sich mehrere Chöre mit dem Prager Orchester, um das monumentale "Te deum" zu musizieren. Während "Harold" mit einer denkbar unbürgerlichen Schauerromantik brilliert, gibt sich das geistliche Werk klassizistisch und staatstragend. Seine jahrelang vorbereitete Uraufführung wurde zum Massenspektakel des Second Empire, zu einem weltlichen Gotteslob im Zeitalter des Fortschritts. Beides beherrschte Berlioz meisterhaft, beides ist – mit Bewusstsein für historische Hintergründe und Begeisterung für zeitlose Musik – neu zu entdecken.
(wil)
Aufzeichnung des Konzertes vom 15. Mai 2019 im Smetana-Saal, Gemeindehaus Prag
Hector Berlioz
"Harold en Italie", Sinfonie für Viola und Orchester op. 16
Te deum für Tenor, Orgel, Chor und Orchester op. 22

Karel Untermüller, Viola
Nicholas Phan, Tenor
Aleš Bárta, Orgel

Slowakischer Philharmonischer Chor
Kühn-Chor Prag
Kinderchor der Tschechischen Philharmonie
Radio-Sinfonieorchester Prag
Leitung: John Nelson

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