Nebentätigkeiten
Was ist bloß eine Werbetochter? Eins dieser sündhaft schönen Mädchen, das in der Fernsehreklame ihr frisch gewaschenes Haar hin- und herschleudert? Oder eine junge Single-Frau, die, statt immer nur darauf zu warten, dass sie umworben wird, selbst den ersten Schritt tut? Ganz falsch. Eine Werbetochter ist eine "Filiale", ist die selbständige Abspaltung eines Unternehmens, die mit Werbekunden verhandelt.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum Beispiel, der ja jenseits von Schleichwerbung auch sozusagen "echte", kommerzielle Werbung betreibt, besitzt so eine Tochter. Bei der ARD heißt sie "Sales & Services", und aus ihrem Topf wurde der Sport- und Tagesthemen-Moderator Gerhard Delling bezahlt.
Nanu? Was hat Delling mit Werbung zu tun? Eigentlich nichts, aber... Im Fernsehen wie auch im Leben gehen die Dinge manchmal durcheinander. Es handele sich, wie der NDR versichert, im Falle Delling um eine technische Lösung für ein arbeitsrechtliches Problem, ansonsten sei nichts dahinter. Na, die Journalisten, seit dem Schleichwerbungsskandal so richtig scharf auf neue Enthüllungen und ganz in ihrem investigativen Element, wollten es genauer wissen und stießen auf noch einen Arbeitgeber Dellings, den DIT = Deutscher Investment Trust. Diese Fondsgesellschaft ist ein Unternehmen der Allianz-Gruppe, und sie hat ihrerseits das Bedürfnis, für sich zu werben. Dafür veranstaltet sie events in Hotels und Stadien, auf denen zum Beispiel Gerhard Delling als Moderator auftritt. Also wirbt der NDR-Sportchef doch. Nicht für den Sport und nicht für den NDR, aber für den DIT, wobei sich hier ebenfalls, wie auch sonst im Leben, alles mischt: Wäre Delling den Leuten nicht vom Fernsehen bekannt, würde keine Fonds-Gesellschaft ihn als Moderator für ihre Veranstaltungen buchen, und wäre er nicht so umworben, von der Allianz-Gruppe und, wie man hört, von anderen Fernsehsendern, hätte sich die ARD nicht bemüht, ihn zu halten und ihn gar bei den Tagesthemen eingesetzt.
Wo ist das Problem? Der Mann ist gut, er ist begehrt, lasst ihn doch machen. Die Öffentlichkeit, die Presse, die Zeitungsleser, sie würden es gerne genau so sehen. Aber sie können nicht. Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht. Delling traut sich offenbar auch nicht mehr, zu seinen Tätigkeiten und Nebentätigkeiten zu stehen. Er wolle seinen Sportchef-Vertrag beim NDR nicht verlängern, heißt es. Außerdem überlegt er, ob er die Aktivitäten für den DIT nicht besser aufgibt. Ist also doch irgendwas faul?
Dieser Verdacht beschleicht heute fast zwanghaft jeden, der fernsieht, Sportstadien besucht oder ein Auto der Marke Volkswagen fährt. Da schaut man scheinbar unschuldige Vorabendserien und wird das Opfer illegaler Reklame. Da freut man sich an tollen Spielen und muss fürchten, dass hinter den Kulissen Säcke mit Schmiergeld auf korrupte Agenten warten. Da bangt man um den Umsatz des deutschesten aller Automobilwerke und erfährt nun, dass der legendäre Betriebsfrieden teuer mit Bestechungsgeldern erkauft worden war. Ist das ganze Land kriminell? Betreibt nicht auch der Nachbar irgendeine Nebentätigkeit, womöglich am Fiskus vorbei? Und wie steht es mit mir selbst?
Der Schreck, der dem Volk bei einer Meldung wie "Delling hat Nebenjob" in die Glieder fährt, ist eine späte Reaktion auf die gegenläufige Enwicklung der Jahrzehnte davor, die von Presse und Politik begünstigt wurde: die Orientierung am Markt, die Vergötzung des Geldes, die Feier des Profitprinzips. Staatliche und gesellschaftliche Verantwortung wurde klein geschrieben, davon müsse man wegkommen, hieß es. Stattdessen solle jeder Einzelne stark genug werden, für sich selbst zu sorgen, ob bei der Arbeitssuche, beim Aufstieg oder bei der Rente. Das Volk vernahm die Botschaft und handelte entsprechend, jedenfalls soweit es die Kraft dazu hatte. Die hatten zum Beispiel Politiker, die sich geradezu aufgefordert fühlen konnten, nach lukrativen Nebentätigkeiten Ausschau zu halten. Aber auch Vertreter der Industrie und der Banken, die als umso fähiger galten, je fetter die Abfindungssummen und Boni ausfielen, die sie ergatterten. Und natürlich die Medienmenschen, die den Werbewert, den ihnen ihre Bildschirmpräsenz gratis liefert, in tolle Nebenjobs auf dem Eventmarkt ummünzten.
Genau so eine Mentalität hat die verschärfte Marktorientierung sämtlicher Institutionen, auch der nicht-kommerziellen Fernsehsender, ermutigt und bewundert. Jetzt ernten wir die Früchte. Wohl ist uns dabei nicht. Wir stecken in einem moralischen Dilemma. Eigentlich finden wir es ja gut, wenn Menschen sich tummeln und etwas aus sich machen, und "Nebentätigkeiten", soweit legal, gehören durchaus dazu. Dann aber wieder erscheint die Abzocke der ohnehin Erfolgreichen doch irgendwie anrüchig. Die Lösung liegt weder in edler Selbstbescheidung noch in den berühmten härteren Bestimmungen, sondern in einem Wertesystem, das dem goldenen Kalb endlich einen Tritt versetzt. Geld stinkt nicht, aber es duftet auch nicht von sich aus nach Sinn. Es ist, wie es eine französische Unternehmerin mal ausgedrückt hat, "ein guter Diener, aber ein schlechter Meister". Erst wenn die Gesellschaft diesen Satz beherzigt, werden Abgreifereien nicht mehr als Leistung angesehen und Nebentätigkeiten wieder vorwiegend ehrenamtlich ausgeübt.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Lebenskunst in Berlin" (mit Ingo Rose) und "Romane vor 1900" mit (Joachim Scholl) und "Das Wunschkind" (Mitautor Klaus Leggewie).
Nanu? Was hat Delling mit Werbung zu tun? Eigentlich nichts, aber... Im Fernsehen wie auch im Leben gehen die Dinge manchmal durcheinander. Es handele sich, wie der NDR versichert, im Falle Delling um eine technische Lösung für ein arbeitsrechtliches Problem, ansonsten sei nichts dahinter. Na, die Journalisten, seit dem Schleichwerbungsskandal so richtig scharf auf neue Enthüllungen und ganz in ihrem investigativen Element, wollten es genauer wissen und stießen auf noch einen Arbeitgeber Dellings, den DIT = Deutscher Investment Trust. Diese Fondsgesellschaft ist ein Unternehmen der Allianz-Gruppe, und sie hat ihrerseits das Bedürfnis, für sich zu werben. Dafür veranstaltet sie events in Hotels und Stadien, auf denen zum Beispiel Gerhard Delling als Moderator auftritt. Also wirbt der NDR-Sportchef doch. Nicht für den Sport und nicht für den NDR, aber für den DIT, wobei sich hier ebenfalls, wie auch sonst im Leben, alles mischt: Wäre Delling den Leuten nicht vom Fernsehen bekannt, würde keine Fonds-Gesellschaft ihn als Moderator für ihre Veranstaltungen buchen, und wäre er nicht so umworben, von der Allianz-Gruppe und, wie man hört, von anderen Fernsehsendern, hätte sich die ARD nicht bemüht, ihn zu halten und ihn gar bei den Tagesthemen eingesetzt.
Wo ist das Problem? Der Mann ist gut, er ist begehrt, lasst ihn doch machen. Die Öffentlichkeit, die Presse, die Zeitungsleser, sie würden es gerne genau so sehen. Aber sie können nicht. Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht. Delling traut sich offenbar auch nicht mehr, zu seinen Tätigkeiten und Nebentätigkeiten zu stehen. Er wolle seinen Sportchef-Vertrag beim NDR nicht verlängern, heißt es. Außerdem überlegt er, ob er die Aktivitäten für den DIT nicht besser aufgibt. Ist also doch irgendwas faul?
Dieser Verdacht beschleicht heute fast zwanghaft jeden, der fernsieht, Sportstadien besucht oder ein Auto der Marke Volkswagen fährt. Da schaut man scheinbar unschuldige Vorabendserien und wird das Opfer illegaler Reklame. Da freut man sich an tollen Spielen und muss fürchten, dass hinter den Kulissen Säcke mit Schmiergeld auf korrupte Agenten warten. Da bangt man um den Umsatz des deutschesten aller Automobilwerke und erfährt nun, dass der legendäre Betriebsfrieden teuer mit Bestechungsgeldern erkauft worden war. Ist das ganze Land kriminell? Betreibt nicht auch der Nachbar irgendeine Nebentätigkeit, womöglich am Fiskus vorbei? Und wie steht es mit mir selbst?
Der Schreck, der dem Volk bei einer Meldung wie "Delling hat Nebenjob" in die Glieder fährt, ist eine späte Reaktion auf die gegenläufige Enwicklung der Jahrzehnte davor, die von Presse und Politik begünstigt wurde: die Orientierung am Markt, die Vergötzung des Geldes, die Feier des Profitprinzips. Staatliche und gesellschaftliche Verantwortung wurde klein geschrieben, davon müsse man wegkommen, hieß es. Stattdessen solle jeder Einzelne stark genug werden, für sich selbst zu sorgen, ob bei der Arbeitssuche, beim Aufstieg oder bei der Rente. Das Volk vernahm die Botschaft und handelte entsprechend, jedenfalls soweit es die Kraft dazu hatte. Die hatten zum Beispiel Politiker, die sich geradezu aufgefordert fühlen konnten, nach lukrativen Nebentätigkeiten Ausschau zu halten. Aber auch Vertreter der Industrie und der Banken, die als umso fähiger galten, je fetter die Abfindungssummen und Boni ausfielen, die sie ergatterten. Und natürlich die Medienmenschen, die den Werbewert, den ihnen ihre Bildschirmpräsenz gratis liefert, in tolle Nebenjobs auf dem Eventmarkt ummünzten.
Genau so eine Mentalität hat die verschärfte Marktorientierung sämtlicher Institutionen, auch der nicht-kommerziellen Fernsehsender, ermutigt und bewundert. Jetzt ernten wir die Früchte. Wohl ist uns dabei nicht. Wir stecken in einem moralischen Dilemma. Eigentlich finden wir es ja gut, wenn Menschen sich tummeln und etwas aus sich machen, und "Nebentätigkeiten", soweit legal, gehören durchaus dazu. Dann aber wieder erscheint die Abzocke der ohnehin Erfolgreichen doch irgendwie anrüchig. Die Lösung liegt weder in edler Selbstbescheidung noch in den berühmten härteren Bestimmungen, sondern in einem Wertesystem, das dem goldenen Kalb endlich einen Tritt versetzt. Geld stinkt nicht, aber es duftet auch nicht von sich aus nach Sinn. Es ist, wie es eine französische Unternehmerin mal ausgedrückt hat, "ein guter Diener, aber ein schlechter Meister". Erst wenn die Gesellschaft diesen Satz beherzigt, werden Abgreifereien nicht mehr als Leistung angesehen und Nebentätigkeiten wieder vorwiegend ehrenamtlich ausgeübt.
Barbara Sichtermann, Jahrgang 1943, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie ist Kolumnistin der Wochenzeitung "DIE ZEIT". Ihre letzten Buchveröffentlichungen: "Lebenskunst in Berlin" (mit Ingo Rose) und "Romane vor 1900" mit (Joachim Scholl) und "Das Wunschkind" (Mitautor Klaus Leggewie).