Nazi-Richter Manfred Roeder

Wie ein "furchtbarer Jurist" zum Lokalpolitiker wurde

10:47 Minuten
Das Foto ist eine historische Aufnahme des Ortes Glashütten im Taunus (Hessen).
Glashütten im Taunus: Hier ließ sich der NS-Richter Manfred Roeder für seine letzten Lebensjahre nieder. © picture alliance / dpa / arkivi
Von Ludger Fittkau · 19.03.2020
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Er war an vielen Todesurteilen beteiligt – unter anderem gegen Dietrich Bonhoeffer. Nach dem Krieg zog der NS-Richter Manfred Roeder ins hessische Glashütten, wo er in der Kommunalpolitik mitwirkte. Der Künstlerin Ines Nickchen lässt die Geschichte keine Ruhe.

Manfred Roeder war das, was Historiker heute "furchtbare Juristen" nennen: Er war von Hitler damit betraut, die Frauen und Männer der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" zur Hinrichtung zu schicken. Der Nazi-Richter erfüllte seinen Auftrag gründlich. Er war an mindestens 45 Todesurteilen gegen Regimegegner beteiligt. Versuche, ihn nach dem Krieg dafür vor Gericht zu stellen, liefen ins Leere. In den 60er-Jahren lebte Manfred Roeder in einem kleinen Ort im hessischen Taunus und machte dort Kommunalpolitik. Heute bemühen sich engagierte Bürger und Bürgerinnen sowie die Gemeindeverwaltung darum, herauszufinden, wie Roeder es geschafft hat, in seinen späten Jahren unbehelligt ein bürgerliches Dasein zu führen.


Der Emsbach im Taunus führt jetzt reichlich Wasser. Nach 40 Kilometern mündet der Bach bei Limburg in die Lahn. Jahrhunderte alte Reste kleiner Hüttenwerke in einer dicht bewaldeten Schlucht nahe der Hochtaunus-Gemeinde Glashütten zeigen: Die Wasserkraft wurde hier unterhalb des knapp 900 Meter hohen Großen Feldbergs im hessischen Taunus immer schon für die Glasherstellung und andere kleine Industrien genutzt.
Seit einigen Jahren führt deshalb auch ein sogenannter "Waldglasweg" vom Friedhof am Rande der Gemeinde Glashütten in die Emsbach-Schlucht. Ruhebänke sind aus Glas gestaltet, in den durchsichtigen Sitzen finden sich Objekte oder kleine Schrifttafeln, die von der langen Geschichte der Glasherstellung in der Region erzählen.

Vier gläserne Stelen um eine alte Fichte

Gestaltet wurden die insgesamt sieben Glasskulpturen von der Künstlerin Ines Nickchen. Sie führt mich zur Station 5 des Waldglasweges, die "Glas-Rast" genannt wird. Ganz in der Nähe verlief auch der römische Grenzwall Limes, der heute zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.
Vier gläserne Stelen sind um eine alte Fichte drapiert, ein Holztisch und Bänke laden hier zum Rasten ein. Vier farbige, etwas stilisierte Buchstaben zieren die Stelen – sie ergeben das Wort Glas. Die Künstlerin Ines Nickchen:
"G steht für Glashütten. L für Limes. A Allgemein für Glas und S für Supermaterial. Was man heutzutage alles hightechmäßig aus Glas herstellen kann."
Ein großes Informationsschild hinter dem Baum erklärt, warum die Fichte, vor der die Stelen stehen, den Namen "Gottschalkfichte" trägt. Dieses Schild ist Ines Nickchen allerdings ein Dorn im Auge. Denn es ist ohne ihre Zustimmung an der Kunststation aufgestellt worden:
"Es passt überhaupt nicht hierher. Die Leute fragen: Welche Verbindung gibt es zwischen der Kunst und dem Schild? Es gibt einfach gar keine und es zerstört einfach die Atmosphäre."
Dazu kommt: Der Glashüttener Nachkriegsbürgermeister Franz Josef Gottschalk, dem das Schild gewidmet ist, hat einen hochrangigen Vertreter der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz in die Kommunalpolitik von Glashütten eingeführt.
Die Rede ist vom Nazi-Richter Manfred Roeder, der die Todesurteile gegen die Widerstandskämpfer der sogenannten "Roten Kapelle" gesprochen hat.
"Roeder kam 1963 nach Glashütten und wurde gleich im nächsten Jahr in den Gemeindevorstand aufgenommen, und er hat sehr viel für den Gottschalk gearbeitet. Es waren viele Prozesse zu führen, und das hat alles der Roeder gemacht. Das heißt, Roeder und Gottschalk haben ganz, ganz eng zusammengearbeitet. Er sagte oft: Ich bin in Vertretung für den Herrn Gottschalk vor Gericht. 1968 wurde er dann noch erster Beigeordneter für zwei Jahre, also bis zum Lebensende von Roeder haben die beiden eng zusammengearbeitet."

Der Wald soll politikfrei sein

Wenn man schon an Gottschalk erinnern wolle, dürfe man den "furchtbaren Nazi-Juristen" Manfred Roeder nicht unerwähnt lassen, argumentiert Ines Nickchen. Sie fordert nun auch im Namen der Arbeitsgemeinschaft SOG Glasklar, einer örtlichen Bürgerinitiative: Die Tafel im Wald muss wieder abgebaut und am Gebäude der Gemeindeverwaltung von Glashütten eine neues Informationsschild angebracht werden, mit dem auch die geschichtsvergessene Kooperation von Gottschalk und Roeder aufgearbeitet wird.
"Der Wald sollte politikfrei sein, das war das erste, was mich geärgert hatte. Und natürlich haben wir diese Verbindung. Das ist auch noch braun unterlegt. Und das geht gar nicht."
Ob ein Wald grundsätzlich politikfrei sein muss – darüber kann man sicher streiten. In machen Wäldern der Region, etwa im Odenwald, erinnern Erinnerungstafeln an die Morde, die Nationalsozialisten noch in den letzten Kriegstagen an politisch Andersdenkenden oder auch an gefangenen US-Soldaten begingen.
"Manfred Roeder war Nazi-Richter, ist im Krieg nicht verurteilt worden und auch nach dem Krieg nicht verurteilt worden. Was ein schwerer Fehler war."
Brigitte Bannenberg ist die parteilose Bürgermeisterin der 5000-Einwohner-Gemeinde Glashütten. Bisher sei es nicht gelungen, herauszubekommen, warum Manfred Roeder Anfang der 1960er-Jahre ausgerechnet in ihre Gemeinde zog und ob etwa alte Seilschaften da eine Rolle gespielt haben, so Bannenberg:
"Seine Opfer sind ja relativ bekannt. Die Widerstandsgruppen, die Rote Kapelle, Bonhoeffer. Und als er hier hingezogen ist, ist er hier in den Gemeindevorstand gewählt worden und war hier aktiv. Und dadurch, dass das natürlich ein bekannter Nazi-Richter war – aufgrund der prominenten Opfer – kann man sagen: Es ist natürlich wichtig, dass wir gucken: Was war eigentlich zu dieser Zeit?"
Um diese Frage zu beantworten, hat man sich in Glashütten und im Hochtaunuskreis bisher weitgehend auf die heute 83 Jahre alte Lokalforscherin Ingrid Berg verlassen. Die Christdemokratin ist aber in die Kritik geraten, etwa in einer Stellungnahme der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Moniert wird, dass Berg ein Fragezeichen hinter die Aussage von der "Kommunalpolitik mit NS-Vergangenheit" setzt. Dieses Fragezeichen gehöre hier nicht hin, denn Roeders NS-Vergangenheit sei Fakt, heißt es aus Berlin.

Zweifelhafter Eintrag auf der Homepage der Gemeinde

Dass die Lokalhistorikerin Ingrid Berg dazu neigt, in ihren Ausarbeitungen die monströse Rolle Manfred Roeders in der NS-Justiz gegen die Widerstandskämpfer zu wenig zu beachten, zeigt sich aktuell auf der Homepage der Gemeinde Glashütten. Sie ist mit dem "Historischen Arbeitskreis Glashütten-Taunus" verlinkt. Auch diesen Arbeitskreis leitet Ingrid Berg. Manfred Roeder wird dort neben Musikern und bildenden Künstlern als "prominente Person aus Historie und Kultur" aufgelistet.
Ingrid Berg: "Für mich ist er eine wichtige Persönlichkeit, wobei der Begriff Persönlichkeit so positiv belegt ist. Vielleicht sollte man den gar nicht verwenden. Aber eine Person ist er in jedem Fall und für mich ist er eigentlich doch schon eine historische Person, weil auch im Internet sehr viele Links auf ihn hinweisen und man sehr, sehr viel nachlesen kann über ihn."
Für die heutige Bürgermeisterin von Glashütten ist diese Argumentation allerdings nicht mehr hinreichend. Brigitte Bannenberg will den Eintrag zu Manfred Roeder auf der Gemeinde-Homepage nun ändern lassen.
Unterstützung bekommt die Gemeinde Glashütten bei ihrer geplanten Veränderung der Erinnerungspolitik zu ihrem ehemaligen Beigeordneten und NS-Richter Manfred Roeder auch vom zuständigen Landkreis, dem Hochtaunuskreis.
Dort ist Gregor Maier für den Fachbereich Kultur zuständig. Er betrachtet die Aufarbeitung des Falles in Glashütten als einen Modellfall für die Aufarbeitung der NS-Zeit auf lokaler Ebene:
"Auf der kommunalen Ebene, gerade in kleineren Ortschaften wird das natürlich noch mal ganz besonders spannend, weil da tatsächlich zum einen das Reservoir an Personal für Kommunalpolitik und Verwaltung natürlich noch geringer ist als auf größeren Ebenen und zum anderen Netzwerke im Zweifelsfall stabiler sind und anders funktionieren als auf anderen Ebenen. Insofern würde ich mich tatsächlich sehr freuen, nicht nur für Glashütten, sondern auch für den ganzen Hochtaunuskreis, wenn man sich mit diesem Thema der Kontinuitäten aus der NS-Zeit oder auch Diskontinuitäten in den 50er-, 60er- Jahren mal intensiver beschäftigt."
Die Bürgerinitiative "Arbeitsgemeinschaft SOG Glasklar" hat mit einem gut besuchten Filmabend im Gemeindehaus Glashütten inzwischen einen eigenen Beitrag zur Aufarbeitung geleistet.
Die Glaskünstlerin Ines Nickchen wandte sich unterdessen an das Fritz-Bauer-Institut an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, um dort wissenschaftliche Hilfe zur Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte in Glashütten und der Rolle Manfred Roeders zu bekommen.

Fritz Bauers Misstrauen gegen die Staatsanwälte

Denn es war der Frankfurter Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich als einer der wenigen im Nachkriegsdeutschland früh darum bemühte, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus vom Makel des "Landesverrates" zu befreien, mit dem ihn auch Täter wie Manfred Roeder auch nach 1945 immer wieder belegten.
Ines Nickchen weist darauf hin, dass auch andere Staatsanwälte in Frankfurt am Main in der Nachkriegszeit mit Manfred Roeder als "Generalrichter a.D." Briefe austauschten:
"Der Fritz Bauer hat wohl einen Prozess, der schon gegen Roeder lief, zurückgestellt, weil er erst mal einen anderen Prozess zu Ende führen wollte. Und darüber ist der Fritz Bauer dann auch gestorben. Was mich gewundert hat bei der Sache, wenn ich die Staatsanwaltschaft Frankfurt sehe: Da sitzt in einem Büro ein Fritz Bauer und im Nachbarbüro der Staatsanwalt, der immer ganz fröhlich an den Generalrichter schreibt und dazu fällt niemandem irgendetwas ein! Er war ja keine unbekannte Person, dieser Roeder. Das war ja lange bekannt, welche Taten der gemacht hatte und das ist, finde ich eine Sache, da sollte man definitiv mal nachforschen, wie das sein konnte. Auch in der Staatsanwaltschaft Frankfurt."

Fritz Bauer misstraute vielen Staatsanwälten

Dass Fritz Bauer vielen Staatsanwälten in seiner Behörde misstraute, ist heute kein Geheimnis mehr.
Die Glashüttener Bürgermeisterin Brigitte Bannenberg betont, dass man offen für weitere, insbesondere professionelle Forschung zu Manfred Roeder sei:
"Wir haben auch gesagt, dass wir offen sind, wenn sich ein wissenschaftliches Team findet, das weiter forschen will, dass wir dem nicht im Wege stehen. Ja, es kann nur natürlich nicht jeder Hans und Franz kommen, sondern es muss dann schon wissenschaftlich begleitet sein."
In der Schlucht des Emsbaches bei Glashütten wird vorerst weiterhin viel Geschichtsträchtiges zu sehen sein: Von den antiken Spuren des römischen Limes über die Relikte der Glashütten aus der frühen Neuzeit bis zum unkritischen Schild für den Nachkriegsbürgermeister.
Ob und wann dort die NS-Zeit dazukommt, ist Stand jetzt noch offen.
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