Nazareth

Arabische Start-ups - mitten in Israel

Eine Person bedient einen Laptop mit einer Mouse.
In der arabisch geprägten Stadt Nazareth in Israel siedeln sich immer mehr Start-ups an. © picture-alliance / dpa / Tim Brakemeier
Von Lizzy Kaufmann  · 16.07.2014
Wirtschaftlich erfolgreich zu sein oder gar florierende Unternehmen auf die Beine zu stellen, ist schwierig für arabische Israelis. Doch in der Stadt Nazareth ändert sich das allmählich. Hier entsteht eine junge, arabische Hightech-Szene.
Die Stadt Nazareth liegt in den Hügeln Galiläas und ist vor allem für ihre christliche Geschichte berühmt. Bald könnte Nazareth aber auch für die aufstrebende Hightech-Szene arabischer Unternehmer bekannt werden. Denn in Nazareth steigt die Zahl ihrer Hightech-Firmen.
Die Veränderung kommt langsam. Denn bislang war die arabische Minderheit weitgehend von der Erfolgsgeschichte Israels ausgeschlossen. Hightech-Firmen und Investoren sitzen überwiegend in jüdisch dominierten Städten, hauptsächlich im sogenannten Silicon Wadi, im Zentrum des Landes rund um Tel Aviv.
Über 800 junge Unternehmensgründer arbeiten dort an ihren Ideen. Die Stadtverwaltung unterstützt die Szene und bietet unter anderem Jungunternehmern günstige Arbeitsplätze in Gemeinschaftsbüros an. Im Silicon Wadi haben zahlreiche internationale Firmen wie IBM, Google, Cisco oder Microsoft ihre Forschungs- und Entwicklungszentren. Dort sitzen - anders als in Nazareth - auch potenzielle Investoren.
In Orten mit überwiegend arabischer Bevölkerung wie Nazareth, wo rund 70 Prozent der Bevölkerung muslimisch sind, gab es bisher kaum Jobs im Hightech-Bereich.
In einem Altstadtgebäude sitzen ein paar Männer in einem Stuhlkreis zusammen. Sie sind zwischen 25 und 45 Jahre alt. Die meisten tragen statt T-Shirt ein gebügeltes Oberhemd und anstelle von Sneakers schwarze Lederschuhe - nicht gerade das, was man sich bei jungen und kreativen Computerfreaks so vorstellt.
Zwölf von ihnen – allesamt arabische Israelis – haben vor Kurzem ein Hightech Start-up gegründet – wie der Softwareentwickler Jamil Mazzawi, der seit einem Jahr an seinem kleinen Unternehmen bastelt. Jamils Software soll Herstellern von elektronischen Chips helfen, Pannen zu vermeiden. Denn Chips sind empfindlich und können durch Partikel gestört werden. Gerade in der Elektronik von Autos kann das gefährlich werden.
"Wir sind in einer sehr guten Phase. Wir haben eine Software, die 1000 mal schneller arbeitet als die existierenden Produkte auf dem Markt. Wir beantragen derzeit Patente und sind in Gesprächen mit Investoren. Damit sind wir schon ziemlich weit. Wenn wir die ersten Geldgeber an Bord haben, werden wir in der nächsten Phase mehr Leute einstellen. Derzeit habe ich nur einen Ingenieur. Aber dann werden wir uns auch um Verkauf und Marketing kümmern."
Ein erfolgreiches Unternehmen auf die Beine zu stellen ist schwierig für arabische Israelis in Nazareth.
Auch arabische Unternehmen sollen in Israel eine Chance bekommen
Nun soll die wirtschaftliche Kluft zwischen der arabischen und der jüdischen Bevölkerung überbrückt werden. Auch arabische Unternehmen sollen eine Chance bekommen, ihre Ideen zu verwirklichen. Zu diesem Zweck wurde eine Organisation ins Leben gerufen, die Unternehmern in der ersten Phase der Start-up-Gründung hilft – der "Nazareth Business Incubator". Er vermietet günstig Büroräume, vermittelt Kontakte und berät bei der Gründung. Die Initiative dazu kam von der Behörde für die "wirtschaftliche Entwicklung der Minderheiten". Fadi Swidan, ein arabischer Israeli, ist Mitgründer der Organisation.
"In der arabischen Gemeinschaft haben wir keine Erfolgsgeschichten, mit denen wir Jungunternehmer locken könnten, Teil dieser Geschichte zu werden. Wir fangen bei null an. Erst einmal müssen wir das soziale Umfeld schaffen und Unternehmer hierher bringen. Wenn dann Erfolge zu sehen sind, können wir weitere davon überzeugen, ebenfalls Teil dieser Entwicklung zu werden."
Bei NazTech, einer anderen Initiative, lernen die arabischen Teilnehmer, wie sie sich und ihr Unternehmen präsentieren, und sie machen sich bei Investoren bekannt. Denn die meisten arabischen Softwareentwickler kennen sich zwar in Technik und Informatik bestens aus, wissen aber nicht, wie sie ein Unternehmen führen oder das nötige Startkapital beschaffen können.
So kommt auch der Softwareentwickler Jamil Mazzawi mit der technischen Arbeit in seinem Start-up gut zurecht. Schließlich hat er 20 Jahre in der Hightech-Industrie in Israel, den USA und Europa gearbeitet. Ohne Hilfe von außen hätte er dennoch Schwierigkeiten:
"Wahrscheinlich würde ich mich noch immer ausschließlich um den technischen Teil kümmern – an der Software arbeiten und dabei ganz vergessen, ein Geschäftsmodell und eine Präsentation für Investoren zu entwickeln. Jetzt, nachdem wir schon ein Jahr hier sind, haben wir beides. Jetzt können wir mit Investoren sprechen und sie mit unserer Arbeit beeindrucken."
Zwar ist Nazareth nach wie vor von Touristen, Kirchen und der Altstadt geprägt. Doch langsam verändert sich das Bild der 75.000-Einwohner-Stadt: Seit einem Jahr gibt es am Stadtrand ein Hightech-Zentrum, das der israelische Unternehmer Stef Wertheimer mit dem Ziel bauen ließ, Arbeitsplätze für die arabische Bevölkerung zu schaffen und ein friedliches Miteinander zu fördern. 30 Firmen sollen sich in kommenden Jahren dort niederlassen.
Weniger sichtbar, in den Restaurants der Stadt und in den Konferenzräumen der Hotels, finden mehr und mehr Veranstaltungen der jungen Hightech-Szene von Nazareth statt. Arabische Kreative tauschen sich am "Mobile Monday" aus. Beim "Start-up Weekend" oder bei "Hackathon" präsentieren Tüftler ihre Ideen.
Auch Investoren werden auf die Szene aufmerksam, erzählt Fadi Swidan:
"Führende Investmentfirmen und Geldgeber in Israel suchen nach Unternehmen wie unseren, weil sie wissen, dass sie damit die Brücke zwischen Israel und den Nachbarstaaten schlagen können. Denn in den arabischen Ländern steigt der Bedarf an Internetprodukten und Apps, die es bisher aber kaum auf Arabisch gibt. Die Investoren sehen ein großes Potenzial, den arabischen Markt zu erobern, indem sie gezielt in arabische Unternehmen in Israel investieren."
Im Industriegebiet, knapp drei Kilometer von der Altstadt entfernt, haben Handwerker, Automechaniker und kleine Baumärkte ihren Sitz. Auch die Organisation Tsofen hat sich hier angesiedelt. Sie unterstützt arabische Informatiker bei ihrer Job-Suche in der Hightech-Industrie. Denn viele der Hochschul-Absolventen haben zwar gute Abschlüsse, ihnen fehlt aber die Praxiserfahrung.
Tsofen sieht sich auch als Netzwerk für arabische Ingenieure, denen in der Regel die Verbindungen fehlen, um in der Hightech-Welt Fuß zu fassen, vor allem bei jüdischen Unternehmen. Denn "Friends bring friends" heißt dort das Motto, "Freunde bringen Freunde".
Vorurteile gegenüber arabischen Mitarbeitern abbauen
Die arabische Minderheit ist bislang nicht Teil dieses Spiels. Misstrauen auf beiden Seiten ist ein Grund dafür. Ein anderer, dass die meisten Israelis ihre Netzwerke in der Armee knüpfen, wo sie während des Wehrdienstes an und mit neusten Techniken und Geräten arbeiten. Deshalb galt die Befreiung der arabischen Bevölkerung von der Wehrpflicht lange Zeit auch als Nachteil für spätere Karrieren. Doch auch das ändert sich: Denn die Arbeit beim Militär hat immer weniger mit dem zu tun, was auf dem Markt gefragt ist und ist daher nicht immer von Vorteil, meint Guy Spigelman.
"Das Start-up-Ethos Israels und die Vorstellung, dass viele der Technologien in der Armee entwickelt wurden, gibt es. Aber wir wachsen über Technologien mit militärischem Hintergrund hinaus. Heute zählt vor allem der Anspruch der Nutzer – und der hat überhaupt nichts mit der Armee zu tun. Im Gegenteil: Ein militärischer Fokus kann dich daran hindern, zu verstehen, was der Verbraucher möchte. Und genau das ist derzeit auch der Schwachpunkt der israelischen Hightech-Szene."
Smadar Nehab weiß als jüdisch-israelische Hightech-Veteranin, dass es nicht reicht, die arabischen Absolventen für die Berufswelt zu coachen. Auch jüdische Unternehmer und ihre Mitarbeiter müssen Angst und die Vorurteile gegenüber arabischen Mitarbeitern verlieren und erst von den Standortvorteilen in arabischen Städten überzeugt werden.
"Wir arbeiten mit den Firmen zusammen, um ihnen die Möglichkeiten von Standorten in arabischen Städten zu zeigen. Außerdem arbeiten wir mit der Regierung zusammen. Sie muss sicherstellen, dass es genügend Anreize für die Firmen gibt, einen neuen Standort, zum Beispiel in Nazareth, zu eröffnen und mit einer Bevölkerungsgruppe zu arbeiten, die sie bisher nicht kannten. Viele Firmen sehen das durchaus als Risiko."
Smadar Nehab betont, dass arabische Computeringenieure keine Konkurrenz sind, sondern die israelische Hightech-Szene bereichern werden. Schließlich wächst die Hightech-Industrie stetig weiter und die israelische Wirtschaft braucht immer mehr Fachleute.
"Firmen schauen außerdem immer danach, breit aufgestellt zu bleiben – sowohl was die Standorte als auch was die Mitarbeiter angeht. So stellen sie sicher, dass sie in neuen Gegenden wachsen und neue Leute anstellen können. Nazareth und die Region Galiläa wird dahin gehend noch gar nicht ausreichend genutzt. Für internationale Firmen könnte die Gegend von Interesse sein. Auch einige Unternehmen mit Sitz in Tel Aviv oder Haifa schauen sich schon in Nazareth um."
Zu denen, die sich schon jetzt in Nazareth niedergelassen haben, gehört "Galil Software". Der jüdisch-israelische Hightech-Veteran Itsik Danziger hatte schon vor Jahren bemerkt, dass viele Araber zwar erfolgreich ihr Studium absolvieren, danach aber kaum Arbeit im Hightech-Bereich finden. Deshalb gründete er seine Firma in der größten arabischen Stadt Israels. Das Unternehmen übernimmt die Forschung und Entwicklung von Software für Unternehmen, die diesen Bereich outsourcen möchten. In kleinen Teams arbeiten dort über 150 Computeringenieure, 90 Prozent von ihnen sind Araber. Die Firma ist so erfolgreich, dass sie neue Büroräume braucht.
Einer ihrer Mitarbeiter ist Aiser Masar. Er hat in Deutschland studiert und sich dort nach einem Job umgesehen, bevor er wegen seiner Familie zurück nach Israel kam. Auch er hat zunächst das studiert, was viele arabische Eltern für das Richtige halten: Medizin.
"Ich habe im Gymnasium einen Leistungskurs in Informatik gemacht und ich war der Beste in meiner Schule. Aber als Araber ist es schwer, eine Stelle im Bereich Informatik zu finden. Mein Lehrer zum Beispiel hat Informatik studiert, aber keine Chance als Software-Entwickler. Deshalb sagten alle: Medizin ist besser. Du bist ein Palästinenser, vergiss Informatik. Studiere einfach Medizin oder irgendeinen anderen Studiengang – alles außer Informatik."
Sein Kollege Shadi Omari hat es inzwischen zum Projektleiter von Galil Software geschafft. Zuvor hatte er in einem Unternehmen in Tel Aviv gearbeitet. Seinen Job hat er dort bekommen, weil er – wie er sagt – stur war. Ein Jahr lang hat er Bewerbungen geschrieben und sich nicht von Absagen abschrecken lassen. Doch nicht alle haben so viel Ausdauer.
"Wir machen den Menschen Mut, denn nicht jeder ist so stur wie ich und versucht ein Jahr lang, einen Job in diesem Bereich zu bekommen."
Wenn Shadi in seinen Seminaren die Teilnehmer auf Bewerbungsgespräche vorbereitet, rät er ihnen, sich nicht einschüchtern zu lassen und nicht von vornherein zu glauben, dass sie keine Chance haben.
"Das erste, was ich jedem von ihnen sage, ist: Denke nicht schon vor dem Bewerbungsgespräch, dass sie dich nicht nehmen werden, weil du Araber bist. Denn als Manager suche ich ja nach Angestellten, die die Arbeit machen. Wenn ich dich nicht nehmen will, würde ich dich doch gar nicht erst einladen. Sie kommen von zu Hause und denken: Ich werde abgewiesen, weil ich Araber bin, ich werde abgewiesen, weil ich Araber bin. Ja, vielleicht gibt es solche Fälle. Aber viele Araber schaffen es direkt nach dem Studium in die Hightech-Industrie. Die Realität ist nicht rosig und auch nicht wunderbar. Aber sie verändert sich, wir stecken doch gerade mittendrin in einem Veränderungsprozess."
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