Naumann: Natürlich versuchen Politiker, Einfluss auf Berichterstattung zu nehmen
Selbstverständlich könne sich ein Bundespräsident Schwächen erlauben, aber er dürfe nicht auf Mailboxen Schimpfkanonaden loslassen, sagt Michael Naumann, Chefredakteur von „Cicero“. Er rät Wulff, zunächst die Kredit-Affäre aufzuklären.
Susanne Führer: Christian Wulff gilt als Bundespräsident auf Abruf, kaum einer übernimmt noch seine Verteidigung, und es wird ja sogar schon spekuliert, wer ihm wohl nachfolgen werde. Wulff selbst, berichtet das ARD-Fernsehen, allerdings hat nicht vor zurückzutreten. Aber seine Anrufe beim Chefredakteur der „Bild“ und beim Vorstandsvorsitzenden von Springer, mit denen er ja verhindern wollte, das über seinen Hauskredit berichtet wird, diese Anrufe haben seinem Ansehen offenbar schwerer geschadet als die Unklarheiten rund um den Kredit selbst. Zu Recht?
Darüber will ich mit Michael Naumann sprechen, Chefredakteur des Magazins „Cicero“. Zuvor war er bei der „Zeit“, er war Verleger und bekanntlich auch selbst Politiker. Guten Morgen, Herr Naumann!
Michael Naumann: Guten Morgen, Frau Führer!
Führer: Ein Politiker ruft bei einer Zeitung an, um eine bestimmte Veröffentlichung zu verhindern. Ist das ein seltener, ein ganz ungeheuerlicher Vorgang in Deutschland?
Naumann: Also ob er ungeheuerlich ist, das mag derjenige, der da bedrängt wird, selbst entscheiden, aber dass es selten ist, davon kann man ausgehen, vor allem aber gibt es wahrscheinlich keinen einzigen Fall in der wirklich langen Geschichte inzwischen der deutschen Bundespräsidenten, wo ein Bundespräsident mal angerufen hat, um eine Privatgeschichte zu verhindern. Theodor Heuss dürfte da noch mit Füllfederhalter, vielleicht sogar noch mit Gänsekiel geschrieben haben, aber selbst das hat er nicht gemacht, soweit ich weiß.
Führer: Sie spielen jetzt auf die Geschichte in der „Welt am Sonntag“ an, die im vergangenen Sommer erschienen ist, die Privatgeschichte?
Naumann: Ja, ja, genau. Da hat er eben auch mit der Verlegerin oder der Mehrheitsaktionärin Friede Springer gesprochen. Das ist alles höchst ungewöhnlich und weist einfach nur darauf hin, dass er einmal einen ganz sehr intimen und freundlichsten Kontakt mit dem Springer-Verlag gehabt hat.
Führer: Aber das weist ja möglicherweise auch darauf hin, dass, wie Sie gerade gesagt haben, man bei Landespolitikern sich das vorstellt oder vielleicht auch entschuldigen würde, aber nicht beim Bundespräsidenten – für den gelten eigene Gesetze.
Naumann: Ja. Und die kann nicht jeder Präsident, wie er will, neu definieren. Das Dumme ist, dass mit dieser Definition eben Herr Köhler angefangen hat, indem er ganz einfach die Sachen hinschmiss und ging, ohne jemals zu erklären. Da begann eigentlich das ganze Malheur.
Führer: Aber welche eigenen Gesetze gelten für den Bundespräsidenten? Der hat also bitte schön über den Dingen zu schweben, sich keine menschlichen Schwächen zu erlauben?
Naumann: Nein, selbstverständlich kann er sich menschliche Schwächen erlauben und selbstverständlich muss er ertragen, dass auch darüber berichtet wird, aber was er nicht machen darf, ist – schon allein pressetechnisch – auf E-Mail-Boxen Schimpfkanonaden loszuwerden und zu drohen. Das ist alles – man muss es leider, leider sagen – provinziell. So nett ich übrigens den Präsidenten persönlich finde – ich hab ihn dreimal erlebt bei Reden, und die waren sehr schön, er hat einen besseren Redeschreiber als Herr Köhler –, aber diese andere Seite war mir neu und ist doch sehr fatal.
Führer: Aber noch mal zu dem Punkt zurück, Herr Naumann, dass solche Anrufe tatsächlich so ungewöhnlich sind. Sind die Kontakte zwischen Politikern und Journalisten also immer vollkommen ehrenwert und professionell?
Naumann: Über die Ehre lässt sich streiten, die Ehre ist das Allerheiligste auf beiden Seiten, sowohl bei den Journalisten wie bei den Politikern. Also Tatsache ist selbstverständlich, dass Politiker versuchen, Einfluss zu nehmen auf Berichterstattung. Normalerweise, je höher sie aufsteigen, tun sie das nicht persönlich, sondern durch ihre Pressesprecher oder Mitarbeiter. Das wäre auch hier eigentlich das Richtige gewesen, das hat er nicht gemacht. Ganz einfach, weil er wohl glaubte, dass er einen sehr persönlichen Kontakt zur Chefredaktion der „Bild“-Zeitung hat, und den hatte er ja auch. Das heißt, dieser plötzliche – wie Stefan Aust, Ex-„Spiegel“-Chefredakteur, sagt – Liebesentzug muss ihn wohl sehr getroffen haben.
Nein, es ist ganz normal, dass Politiker mit Chefredakteuren sprechen, aber nicht um Artikel zu verhindern, sondern um sie möglichst zu schönen respektive Eindrücke in Gesprächen, die dann in Telefonaten oder persönlichen Begegnungen entstehen, zu korrigieren, wenn sie glauben, diese Eindrücke müssten korrigiert werden. Das gehört mit zu dem politischen Mediengeschäft und ist völlig legitim.
Führer: Oder auch eine Geschichte überhaupt erst zu lancieren.
Naumann: Ja, das ist sowieso die Regel, zumindest bei einigen Politikern, zumal im süddeutschen Raum, war das das früher gang und gäbe. Auch diese sogenannten Homestories, die ein Elend sind: der Politiker auf dem Sofa vor dem Hirschbild oder gar neben dem Rehlein am Wolfgangsee, siehe Helmut Kohl, das ist ...
Führer: Oder mit dem Rasensprenger auf dem Rasen vor dem Haus.
Naumann: Ja, ja, all diese Dinge, das ist meines Erachtens völlig überflüssig und soll gewissermaßen Politikern eine menschliche Gestalt geben, als ob sie die nicht hätten.
Führer: Aber das ist legitim, nur verhindern ist nicht legitim?
Naumann: Natürlich ist es legitim, denn sie sind ja eingeladen. Ich meine, man macht dabei auch gravierende Fehler, denken Sie an Rudolf Scharping, der sich im Swimmingpool abbilden lässt, als verliebter Gockel muss man fast sagen, während die Soldaten in Bosnien im Krieg sind. Das war so ein totaler Fehlgriff, der ihn in letzter Instanz auch seine Aufgabe im Kabinett Schröder gekostet hat.
Nur, noch einmal: Es ist höchst ungewöhnlich und ich habe davon noch nie gehört, dass ein Politiker versucht, einen Artikel, von dem er weiß, mit Drohung, dass er kommt, ganz einfach, weil ihm Fragen gestellt worden sind – es ging um den Hauskauf in Niedersachsen –, dass er dann droht, richtig droht: Ist Krieg und das Tuch ist zerschnitten oder das Band ist zerschnitten und Ähnliches. Man würde gerne den genauen wörtlichen Inhalt dieses Telefonats hören, wird sicherlich auch noch kommen irgendwann.
Aber Tatsache ist ganz einfach: Das ist neu! Ob damit nun wirklich die viel beschworene Würde des Amtes beschädigt worden ist, wage ich zu bezweifeln, es geht in Wirklichkeit immer noch um die ursprüngliche Angelegenheit, nämlich die Frage: Ist das Ministergesetz von Niedersachsen seinerzeit in Form einer sogenannten Vorteilsannahme beschädigt worden durch den Bundespräsidenten, den damaligen Ministerpräsidenten Wulff oder nicht? Darum geht es in erster und in letzter Instanz.
Führer: Michael Naumann, der Chefredakteur des „Cicero“, im Deutschlandradio Kultur. Herr Naumann, Sie sagen, darum geht es in erster Linie, aber Sie haben jetzt gerade auch gesagt, in Zusammenhang mit diesem Anruf bei Kai Diekmann, Sie waren doch erschreckt, also wie provinziell Wulff sich da verhält, und es wird ja überhaupt allenthalben jetzt geklagt, wie wenig Format Wulff zeige, was ich auch ein bisschen scheinheilig finde, denn man wusste doch nun vorher, da kommt ein mittelalter Mann aus einer mittelgroßen Stadt mit einem mittelaufregenden Lebenslauf in das Amt des Bundespräsidenten, und offensichtlich scheinen alle zu erwarten, dadurch allein wird einer plötzlich zu einem großartigen Weisen, über allen Dingen stehenden König. Das ist doch ein bisschen infantil auch.
Naumann: Ich glaube nicht, dass diese Erwartung ursprünglich an die Wahl von Herrn Wulff durch die Bundesversammlung gehängt worden war, sondern die Tatsache ist, die Mehrheit der Bevölkerung – das weiß man auch aus Umfragen seinerzeit – wollte Herrn Gauck. Der ist es nun nicht geworden, weil Frau Merkel das nicht wollte, ganz einfach. Frau Merkel wollte ursprünglich Herrn Köhler, nun wollte sie ursprünglich Herrn Wulff – also wenn wir hier schon nach Schuldigen suchen, die einen doch ansonsten doch wohl integren Mann in eine Aufgabe geschoben hat, die er offenkundig nicht in der Form bewältigt, wie man sich das vorstellt, dann ist das die Bundeskanzlerin.
Und die zentralen Fragen betreffen dann doch schon ihre Personalpolitik, das heißt ihre Fähigkeit, sich aus dem ja nun nicht gerade so kargen Reservoir von fähigen Politikern einen auszusuchen, der dieses Amt doch zufriedenstellend ausübt. Ich kann mir schon vorstellen, ich war seinerzeit sehr dafür, dass Wolfgang Schäuble diesen ...
Führer: Herr Naumann, bevor wir jetzt andere Kandidaten in den Ring werfen, noch mal zurück zu dem Punkt dieser offenkundig ja vorhandenen Sehnsucht, es möge wenigstens da einen oder eine, im Allgemeinen ja doch einen geben, der da so über diesem ganzen Geplänkel steht und der immer schöne, kluge, weise Reden hält – folgenlos zwar, aber dem man dann trotzdem uneingeschränkt vertrauen kann. Ist das nicht einer erwachsenen Demokratie vielleicht etwas unwürdig?
Naumann: Nein. Also erstens, die Sehnsucht nach einem weisen, alten Mann, die ist gewissermaßen genetisch in allen Gesellschaften vorhanden, seitdem es Gesellschaften gibt. Man sucht immer, wohin Sie gucken – ob das ein ganz archaischer Stamm im Urwald vom Amazonas ist oder eine uralte Demokratie wie die Vereinigten Staaten, immerhin die erste –, man sucht immer gewissermaßen nach einem symbolischen Mittelpunkt. Ob das ein Bauwerk ist oder in Demokratien eben eine Person, das ist gewissermaßen Teil von gesellschaftlicher Ordnung. Die wirkliche Frage ist: Wie hoch dürfen diese Ansprüche sein in einer säkularisierten Gesellschaft?
Das Einzige, was einem Präsidenten ja dann übrig bleibt, wenn dieser Anspruch ernst genommen wird, auch von ihm selbst, sind, diesen Ansprüchen entsprechende Reden zu halten respektive Vorbild zu sein. Das ist, gemessen an diesen Ansprüchen, die, wie ich sagte, uralt sind – denken Sie an die katholische Kirche –, ist fast niemals zu schaffen. Und wenn wir uns umdrehen und schauen, wie war das denn in der Vergangenheit mit deutschen Präsidenten, na ja, die beiden, die einem sofort einfallen, oder drei – das waren Heuss, Heinemann und Weizsäcker –, das sind großartige Ausnahmen in einer doch fünf, fast sechs Jahrzehnte dauernden Geschichte einer Republik. Man darf das nicht erwarten, dass gewissermaßen jedes Mal eine Art Beckenbauer der Politik auftritt.
Führer: Hm! Aber die Ansprüche halten Sie einfach für sozusagen genetisch, gottgegeben, die sind nicht zu hoch, die kann man nicht ändern?
Naumann: Das Wort genetisch ist seit Sarrazin verboten, nein, die sind ganz einfach in jeder Gesellschaft da. Jede Gesellschaft möchte einen symbolischen Mittelpunkt haben, darum haben wir ja auch einen Präsidenten. Das ist ein Teil unserer Verfassung, es ist keine Schande. Dass diese Ansprüche manchmal ein bisschen übertrieben sind, respektive dann aber auch im Gegenteil auf etwas bedauerliche Weise, nicht zufriedenstellende Weise erfüllt werden wie jetzt, gehört mit zum Schicksal jeder Gesellschaft, auch zur Demokratie, ist nicht so tragisch. Nur dieses hohe Wort der Würde des Amtes, die möchte ich mal genau definiert bekommen. Was ist denn die Würde? Hat die was zu tun mit dem Wohnsitz, Schloss Bellevue, oder entspricht dieser Begriff möglicherweise einem Missverständnis?
Führer: Na ja, umgekehrt proportional zur Macht, die das Amt hat. Zum Schluss, Herr Naumann, kurz: Sollte er zurücktreten, der Wulff?
Naumann: Wissen Sie, ich finde, er soll erst einmal – ich versuche nicht, dieser Frage auszuweichen, sondern ich versuche sie journalistisch korrekt zu beantworten, so gut es geht –, erst einmal soll diese gesamte Affäre rings um diesen Kredit aufgeklärt werden. Sollte sich dann herausstellen, dass hier nichts Unrechtmäßiges geschehen ist – woran ich, muss ich leider sagen, etwas zweifle –, dann ist die Sache mit einem offenen Wort von ihm zu erledigen.
Sollte sich aber herausstellen, dass hier in der Tat eine Art Vorteilsannahme stattgefunden hat, dann bin ich der Meinung, muss er selber sich fragen, ob er dieses Amt auch zu seiner eigenen seelischen Gesundheit weiter ausüben möchte. Denn eines dürfen wir nicht vergessen, und ein bisschen Mitleid ist hier schon geboten: Er ist auch ein Mensch und hat plötzlich die halbe Öffentlichkeit, wenn nicht sogar die ganze gegen sich und inzwischen auch einen nicht unbeträchtlichen Teil der deutschen Wähler. Das ist nicht leicht auszuhalten, und im Übrigen trifft das auch auf seine Frau zu.
Führer: Michael Naumann, Chefredakteur des „Cicero“, danke fürs Gespräch, Herr Naumann!
Naumann: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Darüber will ich mit Michael Naumann sprechen, Chefredakteur des Magazins „Cicero“. Zuvor war er bei der „Zeit“, er war Verleger und bekanntlich auch selbst Politiker. Guten Morgen, Herr Naumann!
Michael Naumann: Guten Morgen, Frau Führer!
Führer: Ein Politiker ruft bei einer Zeitung an, um eine bestimmte Veröffentlichung zu verhindern. Ist das ein seltener, ein ganz ungeheuerlicher Vorgang in Deutschland?
Naumann: Also ob er ungeheuerlich ist, das mag derjenige, der da bedrängt wird, selbst entscheiden, aber dass es selten ist, davon kann man ausgehen, vor allem aber gibt es wahrscheinlich keinen einzigen Fall in der wirklich langen Geschichte inzwischen der deutschen Bundespräsidenten, wo ein Bundespräsident mal angerufen hat, um eine Privatgeschichte zu verhindern. Theodor Heuss dürfte da noch mit Füllfederhalter, vielleicht sogar noch mit Gänsekiel geschrieben haben, aber selbst das hat er nicht gemacht, soweit ich weiß.
Führer: Sie spielen jetzt auf die Geschichte in der „Welt am Sonntag“ an, die im vergangenen Sommer erschienen ist, die Privatgeschichte?
Naumann: Ja, ja, genau. Da hat er eben auch mit der Verlegerin oder der Mehrheitsaktionärin Friede Springer gesprochen. Das ist alles höchst ungewöhnlich und weist einfach nur darauf hin, dass er einmal einen ganz sehr intimen und freundlichsten Kontakt mit dem Springer-Verlag gehabt hat.
Führer: Aber das weist ja möglicherweise auch darauf hin, dass, wie Sie gerade gesagt haben, man bei Landespolitikern sich das vorstellt oder vielleicht auch entschuldigen würde, aber nicht beim Bundespräsidenten – für den gelten eigene Gesetze.
Naumann: Ja. Und die kann nicht jeder Präsident, wie er will, neu definieren. Das Dumme ist, dass mit dieser Definition eben Herr Köhler angefangen hat, indem er ganz einfach die Sachen hinschmiss und ging, ohne jemals zu erklären. Da begann eigentlich das ganze Malheur.
Führer: Aber welche eigenen Gesetze gelten für den Bundespräsidenten? Der hat also bitte schön über den Dingen zu schweben, sich keine menschlichen Schwächen zu erlauben?
Naumann: Nein, selbstverständlich kann er sich menschliche Schwächen erlauben und selbstverständlich muss er ertragen, dass auch darüber berichtet wird, aber was er nicht machen darf, ist – schon allein pressetechnisch – auf E-Mail-Boxen Schimpfkanonaden loszuwerden und zu drohen. Das ist alles – man muss es leider, leider sagen – provinziell. So nett ich übrigens den Präsidenten persönlich finde – ich hab ihn dreimal erlebt bei Reden, und die waren sehr schön, er hat einen besseren Redeschreiber als Herr Köhler –, aber diese andere Seite war mir neu und ist doch sehr fatal.
Führer: Aber noch mal zu dem Punkt zurück, Herr Naumann, dass solche Anrufe tatsächlich so ungewöhnlich sind. Sind die Kontakte zwischen Politikern und Journalisten also immer vollkommen ehrenwert und professionell?
Naumann: Über die Ehre lässt sich streiten, die Ehre ist das Allerheiligste auf beiden Seiten, sowohl bei den Journalisten wie bei den Politikern. Also Tatsache ist selbstverständlich, dass Politiker versuchen, Einfluss zu nehmen auf Berichterstattung. Normalerweise, je höher sie aufsteigen, tun sie das nicht persönlich, sondern durch ihre Pressesprecher oder Mitarbeiter. Das wäre auch hier eigentlich das Richtige gewesen, das hat er nicht gemacht. Ganz einfach, weil er wohl glaubte, dass er einen sehr persönlichen Kontakt zur Chefredaktion der „Bild“-Zeitung hat, und den hatte er ja auch. Das heißt, dieser plötzliche – wie Stefan Aust, Ex-„Spiegel“-Chefredakteur, sagt – Liebesentzug muss ihn wohl sehr getroffen haben.
Nein, es ist ganz normal, dass Politiker mit Chefredakteuren sprechen, aber nicht um Artikel zu verhindern, sondern um sie möglichst zu schönen respektive Eindrücke in Gesprächen, die dann in Telefonaten oder persönlichen Begegnungen entstehen, zu korrigieren, wenn sie glauben, diese Eindrücke müssten korrigiert werden. Das gehört mit zu dem politischen Mediengeschäft und ist völlig legitim.
Führer: Oder auch eine Geschichte überhaupt erst zu lancieren.
Naumann: Ja, das ist sowieso die Regel, zumindest bei einigen Politikern, zumal im süddeutschen Raum, war das das früher gang und gäbe. Auch diese sogenannten Homestories, die ein Elend sind: der Politiker auf dem Sofa vor dem Hirschbild oder gar neben dem Rehlein am Wolfgangsee, siehe Helmut Kohl, das ist ...
Führer: Oder mit dem Rasensprenger auf dem Rasen vor dem Haus.
Naumann: Ja, ja, all diese Dinge, das ist meines Erachtens völlig überflüssig und soll gewissermaßen Politikern eine menschliche Gestalt geben, als ob sie die nicht hätten.
Führer: Aber das ist legitim, nur verhindern ist nicht legitim?
Naumann: Natürlich ist es legitim, denn sie sind ja eingeladen. Ich meine, man macht dabei auch gravierende Fehler, denken Sie an Rudolf Scharping, der sich im Swimmingpool abbilden lässt, als verliebter Gockel muss man fast sagen, während die Soldaten in Bosnien im Krieg sind. Das war so ein totaler Fehlgriff, der ihn in letzter Instanz auch seine Aufgabe im Kabinett Schröder gekostet hat.
Nur, noch einmal: Es ist höchst ungewöhnlich und ich habe davon noch nie gehört, dass ein Politiker versucht, einen Artikel, von dem er weiß, mit Drohung, dass er kommt, ganz einfach, weil ihm Fragen gestellt worden sind – es ging um den Hauskauf in Niedersachsen –, dass er dann droht, richtig droht: Ist Krieg und das Tuch ist zerschnitten oder das Band ist zerschnitten und Ähnliches. Man würde gerne den genauen wörtlichen Inhalt dieses Telefonats hören, wird sicherlich auch noch kommen irgendwann.
Aber Tatsache ist ganz einfach: Das ist neu! Ob damit nun wirklich die viel beschworene Würde des Amtes beschädigt worden ist, wage ich zu bezweifeln, es geht in Wirklichkeit immer noch um die ursprüngliche Angelegenheit, nämlich die Frage: Ist das Ministergesetz von Niedersachsen seinerzeit in Form einer sogenannten Vorteilsannahme beschädigt worden durch den Bundespräsidenten, den damaligen Ministerpräsidenten Wulff oder nicht? Darum geht es in erster und in letzter Instanz.
Führer: Michael Naumann, der Chefredakteur des „Cicero“, im Deutschlandradio Kultur. Herr Naumann, Sie sagen, darum geht es in erster Linie, aber Sie haben jetzt gerade auch gesagt, in Zusammenhang mit diesem Anruf bei Kai Diekmann, Sie waren doch erschreckt, also wie provinziell Wulff sich da verhält, und es wird ja überhaupt allenthalben jetzt geklagt, wie wenig Format Wulff zeige, was ich auch ein bisschen scheinheilig finde, denn man wusste doch nun vorher, da kommt ein mittelalter Mann aus einer mittelgroßen Stadt mit einem mittelaufregenden Lebenslauf in das Amt des Bundespräsidenten, und offensichtlich scheinen alle zu erwarten, dadurch allein wird einer plötzlich zu einem großartigen Weisen, über allen Dingen stehenden König. Das ist doch ein bisschen infantil auch.
Naumann: Ich glaube nicht, dass diese Erwartung ursprünglich an die Wahl von Herrn Wulff durch die Bundesversammlung gehängt worden war, sondern die Tatsache ist, die Mehrheit der Bevölkerung – das weiß man auch aus Umfragen seinerzeit – wollte Herrn Gauck. Der ist es nun nicht geworden, weil Frau Merkel das nicht wollte, ganz einfach. Frau Merkel wollte ursprünglich Herrn Köhler, nun wollte sie ursprünglich Herrn Wulff – also wenn wir hier schon nach Schuldigen suchen, die einen doch ansonsten doch wohl integren Mann in eine Aufgabe geschoben hat, die er offenkundig nicht in der Form bewältigt, wie man sich das vorstellt, dann ist das die Bundeskanzlerin.
Und die zentralen Fragen betreffen dann doch schon ihre Personalpolitik, das heißt ihre Fähigkeit, sich aus dem ja nun nicht gerade so kargen Reservoir von fähigen Politikern einen auszusuchen, der dieses Amt doch zufriedenstellend ausübt. Ich kann mir schon vorstellen, ich war seinerzeit sehr dafür, dass Wolfgang Schäuble diesen ...
Führer: Herr Naumann, bevor wir jetzt andere Kandidaten in den Ring werfen, noch mal zurück zu dem Punkt dieser offenkundig ja vorhandenen Sehnsucht, es möge wenigstens da einen oder eine, im Allgemeinen ja doch einen geben, der da so über diesem ganzen Geplänkel steht und der immer schöne, kluge, weise Reden hält – folgenlos zwar, aber dem man dann trotzdem uneingeschränkt vertrauen kann. Ist das nicht einer erwachsenen Demokratie vielleicht etwas unwürdig?
Naumann: Nein. Also erstens, die Sehnsucht nach einem weisen, alten Mann, die ist gewissermaßen genetisch in allen Gesellschaften vorhanden, seitdem es Gesellschaften gibt. Man sucht immer, wohin Sie gucken – ob das ein ganz archaischer Stamm im Urwald vom Amazonas ist oder eine uralte Demokratie wie die Vereinigten Staaten, immerhin die erste –, man sucht immer gewissermaßen nach einem symbolischen Mittelpunkt. Ob das ein Bauwerk ist oder in Demokratien eben eine Person, das ist gewissermaßen Teil von gesellschaftlicher Ordnung. Die wirkliche Frage ist: Wie hoch dürfen diese Ansprüche sein in einer säkularisierten Gesellschaft?
Das Einzige, was einem Präsidenten ja dann übrig bleibt, wenn dieser Anspruch ernst genommen wird, auch von ihm selbst, sind, diesen Ansprüchen entsprechende Reden zu halten respektive Vorbild zu sein. Das ist, gemessen an diesen Ansprüchen, die, wie ich sagte, uralt sind – denken Sie an die katholische Kirche –, ist fast niemals zu schaffen. Und wenn wir uns umdrehen und schauen, wie war das denn in der Vergangenheit mit deutschen Präsidenten, na ja, die beiden, die einem sofort einfallen, oder drei – das waren Heuss, Heinemann und Weizsäcker –, das sind großartige Ausnahmen in einer doch fünf, fast sechs Jahrzehnte dauernden Geschichte einer Republik. Man darf das nicht erwarten, dass gewissermaßen jedes Mal eine Art Beckenbauer der Politik auftritt.
Führer: Hm! Aber die Ansprüche halten Sie einfach für sozusagen genetisch, gottgegeben, die sind nicht zu hoch, die kann man nicht ändern?
Naumann: Das Wort genetisch ist seit Sarrazin verboten, nein, die sind ganz einfach in jeder Gesellschaft da. Jede Gesellschaft möchte einen symbolischen Mittelpunkt haben, darum haben wir ja auch einen Präsidenten. Das ist ein Teil unserer Verfassung, es ist keine Schande. Dass diese Ansprüche manchmal ein bisschen übertrieben sind, respektive dann aber auch im Gegenteil auf etwas bedauerliche Weise, nicht zufriedenstellende Weise erfüllt werden wie jetzt, gehört mit zum Schicksal jeder Gesellschaft, auch zur Demokratie, ist nicht so tragisch. Nur dieses hohe Wort der Würde des Amtes, die möchte ich mal genau definiert bekommen. Was ist denn die Würde? Hat die was zu tun mit dem Wohnsitz, Schloss Bellevue, oder entspricht dieser Begriff möglicherweise einem Missverständnis?
Führer: Na ja, umgekehrt proportional zur Macht, die das Amt hat. Zum Schluss, Herr Naumann, kurz: Sollte er zurücktreten, der Wulff?
Naumann: Wissen Sie, ich finde, er soll erst einmal – ich versuche nicht, dieser Frage auszuweichen, sondern ich versuche sie journalistisch korrekt zu beantworten, so gut es geht –, erst einmal soll diese gesamte Affäre rings um diesen Kredit aufgeklärt werden. Sollte sich dann herausstellen, dass hier nichts Unrechtmäßiges geschehen ist – woran ich, muss ich leider sagen, etwas zweifle –, dann ist die Sache mit einem offenen Wort von ihm zu erledigen.
Sollte sich aber herausstellen, dass hier in der Tat eine Art Vorteilsannahme stattgefunden hat, dann bin ich der Meinung, muss er selber sich fragen, ob er dieses Amt auch zu seiner eigenen seelischen Gesundheit weiter ausüben möchte. Denn eines dürfen wir nicht vergessen, und ein bisschen Mitleid ist hier schon geboten: Er ist auch ein Mensch und hat plötzlich die halbe Öffentlichkeit, wenn nicht sogar die ganze gegen sich und inzwischen auch einen nicht unbeträchtlichen Teil der deutschen Wähler. Das ist nicht leicht auszuhalten, und im Übrigen trifft das auch auf seine Frau zu.
Führer: Michael Naumann, Chefredakteur des „Cicero“, danke fürs Gespräch, Herr Naumann!
Naumann: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.