Naumann: Amerikaner verachten George W. Bush

Michael Naumann im Gespräch mit Ulrike Timm |
Der "ZEIT"-Herausgeber Michael Naumann hat dem scheidenden US-Präsidenten George W. Bush ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Kein anderer Präsident in der Geschichte der USA sei mit so viel Verachtung verabschiedet worden, sagte Naumann. Allerdings hätten die US-Bürger eine Weile bis zu der Erkenntnis gebraucht, dass man einen "unfähigen Mann im Weißen Haus" habe.
Ulrike Timm: "Politik ist immer auch ein irrational, sonst wäre George Bush nicht acht Jahre im Weißen Haus gewesen." Der Satz stammt von keinem politischen Berater, sondern von einer Opernsängerin, von Jessye Norman. Die Schriftsteller Paul Auster, Siri Hustedt, Toni Morrison, die Regisseure Woody Allen und Oliver Stone, um nur einige wenige zu nennen, Amerikas Künstler und Intellektuelle schauen mit einer solchen Vorfreude und mit solchen Erwartungen auf Barack Obama, dass diesem eigentlich nur angst und bange werden kann. Und kaum je stand ein scheidender amerikanischer Präsident so allein wie George W. Bush. Über die Sicht von Künstlern und Intellektuellen in den USA nach acht Jahren Bush spreche ich mit Michael Naumann, dem Publizisten, "ZEIT"-Herausgeber und früheren Kulturstaatsminister, der viele von ihnen persönlich kennt. Schönen guten Tag!

Michael Naumann: Guten Tag!

Timm: Herr Naumann, gibt es eigentlich irgendjemanden, irgendeinen Künstler, der Bushs Abschied mit Wehmut begleitet?

Naumann: Ich hätte gesagt, Charlton Heston, uns allen bekannt aus "Ben Hur", aber der ist schon gestorben.

Timm: Also niemand da. Ich habe auch niemanden gefunden. Ganz frühe Kritiker Bushs sind zum Beispiel Michael Moore oder Art Spiegelman, der für seine Comicsatire über den Präsidenten in Amerika selbst aber lange keinen Verlag fand. Künstler und Intellektuelle haben heftig, aber auch erst verhältnismäßig spät gegen Bush Partei ergriffen. Woran liegt das?

Naumann: Also ich glaube ganz einfach, dass der Schock von "9/11", das heißt des Anschlags auf das World Trade Center in New York, alle Amerikaner traditionell erst einmal hinter dem Chef der Armee, das ist er nämlich auch noch, versammelt hat. Das heißt, es war buchstäblich nicht der Moment nach einem Jahr wirklich langweiliger Präsidentschaft von Bush – in der er vor allem die Reichen bedacht hat, aber das fiel nicht weiter auf –, dass dieser Anschlag nicht der Moment war, den zweifellos durch ein sehr dubioses Wahlergebnis an die Macht gekommenen Präsidenten zu kritisieren. Das dauerte ein Jahr, bis man merkte – vor allem nach Katrina, nach diesem Debakel, dass eine ganze Stadt versinkt und der amerikanische Präsident findet noch nicht einmal den Weg da runter –, dass man da gemerkt hat, dass man doch einen ziemlich unfähigen Mann im Weißen Haus hatte. Und dann begann dann doch ein Sturm der Entrüstung, der sich steigerte, speziell nach dem Irakkrieg. Und der wirkliche Wendepunkt war meines Erachtens, das waren die Fotos von Abu Ghraib. Das heißt, die Gefängnisfotos, die plötzlich zeigten, dass die amerikanische Armee oder wer auch immer, das heißt CIA oder andere Organisationen, folterten. Das passte nicht in das amerikanische Grundverständnis, nicht in die völkerrechtlichen Verpflichtungen und nicht in die Verfassung, buchstäblich nicht nach Amerika. Und da war es dann aus mit der Geduld der Liberalen. Ich weiß in der Geschichte niemanden, keinen einzigen amerikanischen Präsidenten seit Washington, der mit so viel Verachtung, muss man fast sagen, der Öffentlichkeit verabschiedet worden ist. Und das ist schon, der Moment ist gekommen, wo irgendjemand sich dann auch des Seelenlebens dieses Mannes erbarmen wird, da bin ich ganz sicher. Und am Ende gibt es dann irgendeine Romanze aus Texas, die uns daran erinnern wird, dass innerhalb dieses gescheiterten Politikers ja auch noch ein ganz normaler Mensch ist, der sicherlich auch leidet.

Timm: Was wird eigentlich jetzt mit den vielen neokonservativen Beratern, Think Tanks, die ja auch alle stehen für die Ära Bush und die in seinen ersten Präsidentschaftsjahren sehr den amerikanischen Mainstream bestimmt haben? Verschwinden die mit ihm oder ist Amerika in den Bush-Jahren tatsächlich auch mental ein Stück nach rechts gerückt, was im Moment ein bisschen überdeckt wird durch die Vorfreude auf Obama?

Naumann: Also nach rechts gerückt ist Amerika zweifellos. Was geschieht mit den unendlich vielen, man muss wirklich sagen Zehntausenden Lobbyisten, Wasserträgern der amerikanischen Wirtschaftsverbände und Industrien, die sich in konzentrischen Kreisen ringsum Washington buchstäblich physisch auch angesiedelt haben? Also ich war vor 20 Jahren in Washington, und wenn ich da heute hinkomme, sehe ich ganz einfach, dass in den Counties, das heißt in den Kreisen, den Landkreisen ringsum Washington, die inzwischen zu den reichsten Amerikas zählen, sich gewissermaßen, man darf es ruhig sagen, parasitäre Wohnungsbesitzer breitgemacht haben, die vom politischen Prozess als Lobbyisten gelebt haben unter Bush. Das wird sich ändern. Die Intellektuellen werden dahin zurückkehren, wo sie herkamen, in das American Enterprise Institute, in Think Tanks jeglicher Art, Heritage Foundation und ähnliche, und da werden sie über die Gründe ihrer politischen Niederlage nachdenken. Aber sie werden auch nicht aufgeben.

Timm: Das Ende einer Ära, Herr Naumann, ist noch lange nicht das Ende der Probleme, die diese Ära geschaffen hat. Jetzt noch mal bezogen auf Kunst und Kultur, heißt das zum Beispiel, die Finanzkrise erreicht jetzt die amerikanischen Museen. Lehmann Brothers war einer der größten Sponsoren überhaupt und ist pleite. Welche Nachwehen hat die Ära Bush, besonders für Kunst und Kultur?

Naumann: Ach wissen Sie, da müssen wir uns ja auch Sorgen um uns selber machen, denn auch in Deutschland sind, Gott sei Dank auch aufgrund neuer Stiftungsgesetze, doch eine Menge Privatpersonen in das Kulturleben finanziell unseres Landes involviert. In Amerika allerdings zu 50 Prozent der gesamten Finanzierung der Museen etc., mindestens 50 Prozent, eigentlich 100 Prozent, nur 50 Prozent sind steuerabschreibungspflichtig und -fähig und insofern zahlen auch 50 Prozent die Steuerzahler. Also 50 Prozent real sind finanziert von privaten Sponsoren, der Theater, der Museen, der Opern usw. usw. Die haben schwere Verluste hinnehmen müssen. Gerade die guten, die philanthropischen Organisationen, die Stiftungen, sind zum Teil von Mr. Madoff dem größten Gangster, darf man ruhig sagen, der Finanzgeschichte der Moderne hinters Licht geführt worden und haben alles verloren. Also 50 Milliarden Dollar aus Stiftungen sind verloren gegangen. Auch Spielberg hat unendlich viel, wahrscheinlich, glaube ich, zweistellige Millionenbeträge, in seiner Stiftung bei diesem Spekulanten gehabt, der sie alle belogen und betrogen hat. Und da ist nichts mehr. Das wird sich bemerkbar machen. Die Preise für Bilder werden sinken, das ist für Sammler wie Sie und mich und auch Ihre Zuhörer sicherlich eine gute Nachricht, für die Maler, die Spitzenmaler allerdings nicht.

Timm: Anfangs, Herr Naumann, hatte ich die Sängerin Jessye Norman zitiert, die meinte auch, in einer Opernbesetzung, in einer gedachten Opernbesetzung, müsste Obama künftig die Rolle des Wotan übernehmen, das schwere Wagner-Fach also. Passt das?

Naumann: Nein, das passt überhaupt nicht. Ich glaube, der Mann ist nicht für die Oper gebaut, ich hoffe, dass er auch nicht für eine Shakespeare-Tragödie gebaut ist, eine merkwürdige Vorstellung, dieser Wotan aus den Wagner-Opern ist er überhaupt nicht. Die Hoffnungen, die sich an ihn heften, gleichen eher den Hoffnungen, die an Siegfried geheftet worden sind. Aber auch das ist alles Unsinn. In anderen Worten: Solche Vergleiche hauen nicht hin. Ich glaube ganz einfach, er ist wahrscheinlich einer der intelligentesten gewählten amerikanischen Präsidenten überhaupt. Das ist auch der Grund, warum so viele Schriftsteller ihn gemocht und unterstützt haben. Nicht nur weil er schwarz war, sondern weil er auch eine wirklich absolut fabelhafte Autobiografie geschrieben ist, "Dreams from My Father", kann ich nur jedem empfehlen. Der Mann ist eben nicht nur hochintelligent, er ist nicht nur ein fabelhafter Redner, er hat das Herz auch ganz offenkundig am rechten Flick, sondern er ist auch ein ganz großartiger Schriftsteller. So etwas ist außerordentlich selten in der Politik, stellte sich bei Bismarck heraus, der ein fabelhaftes Deutsch schrieb. Aber diese Kombination, wie wir sie in Amerika jetzt erleben, ist höchst ungewöhnlich und auch einer der Gründe, warum ihn nicht nur die oft genug verfluchten liberalen Künstler von Hollywood, sondern auch fast alle Schriftsteller, die ich kenne, unterstützen, unterstützt haben und sehr viel auf ihn setzen. Ich habe manchmal das Gefühl, die Lorbeerkränze, die ihm jetzt schon als Vorschusslorbeeren vor die Füße gelegt werden, die werden irgendwann mal auch wie Blei an seinen Füßen hängen können. Denn wenn er das nicht schafft und seine Regierung das nicht schafft, was wir uns alle erhoffen, nämlich eine Wiederbelebung der amerikanischen Finanz- und Realwirtschaft, dann tut er mir leid. Dann können wir übrigens alle leid tun, denn dann sieht es in der Tat hoch problematisch, um nicht zu sagen finster aus.

Timm: Hoffen wir, dass ihm die Vorfreude und die Erwartungen nicht auf die Füße fallen. Michael Naumann über die Ära Bush und mit einem Ausblick auf die kommende Ära Obama in kultureller Hinsicht. Ich danke Ihnen sehr!

Naumann: Danke, Frau Timm!


Das Gespräch mit Michael Naumann können Sie bis zum 16. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio