Naturvorstellung

Warum wir nicht von "Umwelt" sprechen sollten

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Ein Damhirsch-Weibchen frisst aus der Hand eines blonden Jungen.
Ein kleiner Junge füttert ein Damhirsch-Weibchen im Wildpark. © Imago / blickwinkel
Gedanken von Andreas Weber · 13.11.2019
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Umwelt – dieses Wort im Dauergebrauch – offenbare eine falsche Sicht auf die Welt, meint Philosoph Andreas Weber. Es trenne uns vom übrigen Leben: Wir fühlen uns als Bewohner der Biosphäre, nicht aber als ihr Bestandteil.
Ein Double Bind, erkannte der Philosoph Gregory Bateson in den 1960er-Jahren, ist eine kommunikative Falle. Double Bind heißt, etwas so auszudrücken, dass man zugleich das Gegenteil behauptet. Wer seinem Partner "Ich liebe dich" sagt, aber dabei kalte Augen behält, handelt zerstörerischer, als wenn er zugibt: "Ich liebe dich nicht." Für Bateson war der Double Bind das Grundmotiv schizophrenen Verhaltens.

Der Umweltbegriff entwertet das Schützenswerte

Wie wir heute über die Wirklichkeit sprechen, ist zutiefst von Double Binds geprägt. Wer sich um die Lage des Lebendigen auf dieser Erde Sorgen macht, aber erklärt, "Umwelt" schützen zu wollen, widerspricht sich selbst, ohne es zu erkennen. Denn der Begriff "Umwelt" teilt immer auf: Er macht das Leben der anderen zu einem blassen Hintergrund, zu einer bloßen Sache. Er entwertet das vorgeblich Schützenswerte.
Das Wort "Umwelt" ist als Lehnwort aus dem Dänischen in unsere Sprache eingewandert, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das dänische "Omverden" heißt Umgebung, genauer: "die Welt um uns herum". Das Wort trägt in sich selbst eine Zweiteilung der Wirklichkeit. Es schneidet ab. Das Wort "Umwelt" zu benutzen, wird somit selbst zur Ursache der Zerstörung, die es anprangert. Denn wenn wir unser Leben von dem der anderen Wesen trennen, geht es beiden, der Umwelt, aber auch uns, schlechter.

Bisheriges Denken trennt Mensch und Natur

Es ist bestürzend, dass dem ökologischen Handeln von Anfang an diese Selbstwidersprüchlichkeit eingebaut war. Aber es verwundert nicht. Die Vorstellung, dass die Welt eine Bühne aus Dingen ist, die nach den mechanischen Regeln der Physik und Chemie funktionieren, durchzieht unser abendländisches Weltbild. Wir fühlen uns als Bewohner der Biosphäre, aber nicht als ihr Bestandteil. Mensch und Umwelt – das ist eine ähnliche Gegenüberstellung wie Seele und Körper. Auch dieser Zwiespalt bestimmt nach wie vor unser Denken. Zugleich wissen wir: Seelische Verzweiflung hat immer körperliche Folgen, sie beeinträchtigt das Immunsystem und verkürzt das Leben.
Wer die sogenannte "Umwelt" als etwas Äußerliches schützt, läuft Gefahr, die Defekte einer Außenwelt reparieren zu wollen, ohne zur Kenntnis zur nehmen, dass diese Defekte Ausdruck unserer eigenen beschädigten Verbindung mit einer lebendigen Wirklichkeit sind. Ganz so, als würde ein Alkoholkranker einen Entzug machen, ohne die seelischen Gründe seiner Sucht zu ergründen und zu heilen.

Das Leben ist ein Ganzes: Ich bin, weil du bist

Die Zerstörung dessen, was wir Umwelt nennen, ist genau genommen Ausdruck einer seelischen Krise, ihr körperliches Symptom. Denn das Leben ist ein Ganzes. Wir aber behandeln es, als bestünde es aus getrennten Objekten. Wir trennen unser eigenes Fleisch ab – weil wir glauben, es sei ja bloß die Umwelt. Zugleich wundern wir uns, dass unsere Schmerzen in Form von Depressionen, Angstzuständen und Burn-Out zunehmen.
Die lebendige Wirklichkeit ist ebenso sehr in uns, wie sie um uns herum ist. Sogar das Klima sind wir letztlich selbst. Unsere Körper sind aus Kohlenstoff, den wir beim Atmen als CO2 wieder in den Himmel abgeben. Die Bäume bedienen sich daraus, um ihr Laub und ihre Stämme zu bilden. Statt von uns "hier" und von Umwelt, Natur oder Klima "da" zu sprechen, sollten wir besser sagen: Jeder Körper ist Gestalt gewordener Atem. Umgekehrt ist die Atmosphäre voller potenzieller Körper – deinem und meinem. Erst wenn wir uns das klar machen, handeln wir dem zentralen Prinzip der Ökologie gemäß. Es lautet nicht: "Organismen haben Umwelten." Sondern: "Ich bin, weil du bist."

Andreas Weber (*1967) ist Biologe, Philosoph und Schriftsteller. Seine mehr als ein Dutzend Bücher zur Frage, wie der Mensch seine Rolle als fruchtbarer Teil des Lebens wiederfinden kann, wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Weber unterrichtet an der Universität der Künste in Berlin. 2018 erschien sein Buch "Indigenialität" (Nicolai), 2019 wurde "Enlivenment. A Poetics for the Anthropocene" (MIT Press) veröffentlicht.

© Florian Büttner
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