Naturschutz

Auf dem Weg zum deutschen Urwald

Von Adama Ulrich, Tonia Koch und Katharina Mutz · 23.12.2013
Bis 2020 sollen fünf Prozent der deutschen Wälder nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden - und so quasi zu Urwäldern werden. Ein ehrgeiziges Ziel, das zum Beispiel im Saarland ganz anders angegangen wird als in Bayern.
2007 hat die Bundesregierung im Rahmen der sogenannten Biodiversitätsstrategie das Ziel formuliert, dass bis 2020 fünf Prozent der deutschen Wälder nicht mehr forstwirtschaftlich zu nutzen seien. Und damit quasi zu Urwäldern werden sollen. Ein ehrgeiziges Ziel, wenn man in Betracht zieht dass bis heute gerade mal 1,9 Prozent der Wälder natürlich wachsen. Deswegen beklagen sich die Naturschutzverbände auch schon, warnen dass so bestimmte Tierarten aussterben, wenn nicht mehr passiert. Die Forstwirtschaft auf der anderen Seite feiert gerade 300 Jahre Nachhaltigkeit und lobt sich dafür, dass Deutschland mit 31 Prozent Waldanteil zu den waldreichsten Ländern Europas gehört. Wie das zusammenpasst, hat Adama Ulrich recherchiert
Waldhistoriker Uwe Schmidt: "Wir haben in diesem Jahr ein Jubiläum zu feiern: Und zwar wurde 1713 das erste forstwissenschaftliche Buch veröffentlicht mit dem Namen Sylvicultura Oeconomica, also der ökonomische Waldbau. Da wird das Wort 'nachhaltend' erstmals beschrieben."
Es "wird derhalben die größte Kunst (...) und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse (...) nicht bleiben mag.“ (S. 105–106 in der „Sylvicultura Oeconomica“).
Diese Zeilen schrieb Hans Carl von Carlowitz, der aus einer Forstmeisterfamilie stammte, in seinem 432 Seiten umfassenden Buch über den ökonomischen Waldbau. Obwohl das Wort "nachhaltend" darin nur einmal vorkommt, gilt der Verfasser doch als Schöpfer des Begriffes "Nachhaltigkeit". Denn von Carlowitz formulierte hier nicht nur seine Gedanken über einen respektvollen und "pfleglichen" Umgang mit der Natur und ihren Rohstoffen, sondern er kritisierte zugleich den ungeheuren Raubbau, der bereits im 18. Jahrhundert in den Wäldern betrieben wurde. Der Waldhistoriker Uwe Schmidt dazu:
"Wir haben gerade im Zeitalter nach dem 30-jährigen Krieg ein Ausplündern der Wälder, einen hohen Druck auf die Wälder durch Bevölkerungswachstum und durch gestiegenen Lebensstandard."
Die "Verfichtung" wurde erst vor 30 Jahren gestoppt
Es ist die Zeit des Hochbarocks – und da herrschte an den Höfen vor allem eines: Verschwendung. Die langen Tafeln waren zum Bersten mit Speisen beladen und der Wein wurde am liebsten in großen kristallenen Glaskelchen gereicht.
"Da haben wir eine Zeit des Überflusses, da hat man den Wald übernutzt. Hauptsächlich zur Glasherstellung. Um ein Wasserglas herzustellen, brauchten sie drei Kubikmeter Holz beispielsweise."
Drei Kubikmeter Holz – das sind etwa zwei bis drei Buchen, die zur Herstellung eines einzigen Glases gefällt werden mussten. In den waldreichen Gegenden Deutschlands, in denen Glashütten und Eisenindustrie ihre Standorte hatten, gab es fast keine Wälder mehr. Mahnende Stimmen wurden lauter – so wie 1791 die von Georg Ludwig Hartig, dem Begründer der Forstwissenschaft.
"Unter allen Bemühungen des Forstwirts ist wohl keine wichtiger und verdienstlicher, als die Nachzucht des Holzes oder die Erziehung junger Wälder, weil dadurch die jährliche Holzabgabe wieder ersetzt und dem Wald eine ewige Dauer verschafft werden muss."
Der Nachhaltigkeitsgedanke hat zu Aufforstungen geführt, wobei hauptsächlich schnell wachsende Nadelbäume angepflanzt wurden. Die so genannte "Verfichtung" wurde erst vor etwa 30 Jahren gestoppt. Heute werden Nadelwälder wieder in Mischwälder transformiert. Trotzdem sind die beharrlichen Aufforstungsbemühungen bereits vor 140 Jahren zu einem deutschen Exportschlager geworden.<ins cite="mailto:Katja%20Bigalke" datetime="2013-12-10T12:05"> </ins>
"Beispielsweise die amerikanische Forstverwaltung hat auf der Weltausstellung in Wien 1873 das preußische Modell der Waldbewirtschaftung eingekauft. Das war also ein ökonomisch ausgerichtetes Nachhaltigkeitsmodell. Man hat sogar die amerikanischen Forstschulen mit deutschen Lehrern aufgebaut."
Doch erst 1993, in der Helsinki-Resolution, wurde die bis heute gültige Definition einer nachhaltigen Forstwirtschaft gegeben, die neben ökonomischen auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt. Nachhaltigkeit wird dort beschrieben als "die Behandlung und Nutzung von Wäldern auf eine Weise und in einem Ausmaß, das deren biologische Vielfalt, Produktivität, Verjüngungsfähigkeit, Vitalität sowie deren Fähigkeit, die relevanten ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Funktionen gegenwärtig und in der Zukunft auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu erfüllen gewährleistet, ohne anderen Ökosystemen Schaden zuzufügen." Obwohl in Deutschland immer mehr naturnahe Wälder entstehen und der Waldbestand, trotz intensiver Nutzung kontinuierlich wächst, zweifelt Uwe Schmidt daran, dass die deutsche Forstwirtschaft tatsächlich nachhaltig ist.
"Sie ist nachhaltig, weil wir nicht mehr einschlagen, als wir nutzen. Aber unser gesamter Verbrauch an Holz ist wesentlich höher. Das heißt, wir kaufen Holz aus Nachbarstaaten ein. Wenn die nicht nachhaltig wirtschaften, sind auch wir nicht nachhaltig, weil wir über unseren Bedarf leben und dieses Defizit aus Ländern beziehen, die nicht nachhaltig wirtschaften."
Politischer Konsens im Saarland
Das zum Thema nachhaltige Forstwirtschaft. Spricht man aber von mehr Biodiversität braucht es nicht nur mehr Wälder in Deutschland sondern eben auch mehr natürliche Wälder. Mecklenburg- Vorpommern und das Saarland sind zwei Bundesländer, die sich hier besonders engagieren. Letzteres hat der Naturschutzbund Deutschland (NABU) gerade für seinen vorbildlichen Umgang mit dem Wald ausgezeichnet. Tonia Koch war für uns in einer saarländischen Urwaldzelle unterwegs.
50 Meter misst die Buche, die ein Sturm vor Jahren entwurzelt hat. So wie sie gefallen ist, darf sie auch verrotten.
Helmut Harth: "Zunderschwamm, das staubt direkt, da sind abertausende Sporen, die jetzt gerade weggeflogen sind und wenn Sie mutig sind, dann können sie auch reingreifen, dann sehen Sie wie weit dieser Mulm und Hohlkörper ist."
Helmut Harth, Naturschutzreferent beim NABU-Saarland übt Nachsicht. Er weiß, dass es nicht jedermanns Sache ist, seine Hände in schwarz umrandete Astlöcher zu stecken.
"Es ist zwar Totholz wie der Fachmann sagt, aber es ist voller Leben. Es sind 1600 Pilzarten drin, da sind 6000 Tierarten drin, die allein von diesem Lebensraum alte Buche abhängig sind."
Lebewesen, die sich nur dann entwickeln können, wenn das reife Holz nicht geerntet wird, sondern wenn es seinen Lebenszyklus vor Ort beenden darf, wie das in den Urwaldzellen des saarländischen Staatsforstes der Fall ist. Insgesamt zehn Prozent der Waldfläche werden seit 40 Jahren im Saarland nicht mehr bewirtschaftet. Hier schweigen die Motorsägen. Alle zehn Jahre werde Inventur gemacht, um zu dokumentieren, wie sich der künstlich angelegte Wald wandelt, erläutert Landesforstdirektor Albert Letter:
"Deshalb hat jeder einzelne Baum eine Nummer. Da können wir feststellen, ob er dicker geworden ist, ob er höher geworden ist, ist er abgestorben, ist er umgefallen. Das ist für uns ganz spannend zu dokumentieren, wie eine solche Waldentwicklung abläuft."
Nummer 66 ist eine etwa 220 Jahre alte, 45 Meter hohe Eiche. Sie hat sich am Saarbrücker Heidhübel gegen eine Übermacht gleichaltriger und ebenso hoch aufragender Buchen behauptet. Dazwischen stehen, Schaft an Schaft junge Bäume, überwiegend Buchen und Eichen, Kirschen und Vogelbeeren. Dünne, hoch aufgeschossene Stämme, die auf ihre Chance warten. Denn sie werden sich erst entwickeln, wenn der dicke Nachbar fällt und sie genügend Licht bekommen. So sieht er aus, ein europäischer Urwald in dem die Buche wegen optimaler Entwicklungsmöglichkeiten die Waldgesellschaft dominiert.
Letter: "Unsere Buchenurwälder sind völlig unspektakulär. Beim Urwald denkt man immer an das, was man im Fernsehen so sieht, ein Regenwald, oben hängt der Gorilla und unten streift der Leopard, das gibt es bei uns nicht. Bei uns steckt das Leben in dem toten abgestorbenen, faulenden Holz und das sind kleine unscheinbare Lebewesen."
Dunkle Buchenwälder als Römer-Schreck
Optisch unterscheiden sich die saarländischen Urwaldzellen kaum von tatsächlichen Buchenurwäldern, die es in Europa nur noch in Rumänien und der Ukraine gibt. Aber hierzulande gäbe es eben längst nicht so viel Lebensvielfalt, sagt Letter.
"Würde man jetzt hingehen und wissenschaftlich untersuchen, wie sieht denn das Arteninventar aus von diesem Wald im Vergleich zu einem ukrainischen oder rumänischen Urwald, da würde man sagen: Oh, da fehlt ja viel, hier bei uns, weil diese ungebrochene Waldtradition, die im Urwald ja gegeben ist, die ist hier nicht gegeben."
Seit Jahrzehnten gibt es über die Parteigrenzen hinweg einen breiten politischen Konsens im Saarland, den Wald naturnah zu bewirtschaften und die international als Naturerbe anerkannten Buchenwälder aktiv zu schützen. Allerdings ist diese Waldstrategie, die vor ein paar Wochen vom NABU als vorbildlich ausgezeichnet worden ist, nicht zum Nulltarif zu haben.
"Wir haben das 2011 einmal ausgerechnet, es sind etwa 2,7 Millionen an Einnahmen, auf die wir verzichten."
Es verbiete sich jedoch, den Wert des Waldes allein an den Holzerlösen zu messen, wehrt sich NABU-Experte Helmut Harth:
"Sie müssen die anderen Ökosystemdienstleistungen mitrechnen. Was ein Wald bringt an Grundwasserspeicher, an Biodiversität, an Luftfilter, an CO2-Bindung. Wenn wir diese Faktoren alle hochrechnen, dann sind die 2,7 Millionen Holzerlös-Verlust ein Kinkerlitzchen."
36 Prozent der saarländischen Landesfläche bestehen aus Wald, drei Viertel davon sind Laubbäume. Mit 30 Prozent hat die Buche vor der Eiche die Nase vorn. Und so manchen habe sie schon das Fürchten gelehrt, schmunzelt der Landesforstdirektor:
Letter: "Das haben ja schon die Römer geschrieben, als sie zu uns kamen: die dunklen Wälder. Das waren keine Fichtenwälder, das waren Buchenwälder, dazwischen die Sümpfe, das hat denen schon ganz schön das Grausen beigebracht."
Bayern blockiert das Fünf-Prozent-Ziel
Dunkle deutsche Urwälder – das Saarland wird davon wohl bald einige haben. Bayern hingegen ist kein großer Anhänger der Biodiversitätsstrategie des Bundes. Das Bundesland wehrt sich dagegen fünf Prozent der forstwirtschaftlichen Flächen aus der Nutzung zu nehmen. Katharina Mutz wollte wissen, wieso und hat sich in München umgehört.
"Gehen wir mal vor zur nächsten Hiebsfläche."
Wilhelm Seerieder leitet den Forstbetrieb München, der den Staatswald in den Landkreisen München und Starnberg bewirtschaftet. Im Revier Maxhof läuft gerade eine Durchforstung: Seltene Baumarten oder Bäume, die später einmal Geld bringen können, werden als Zukunftsbäume gekennzeichnet. Bäume, die diese Zukunftsbäume im Wachstum behindern, werden gefällt. Darunter sind vor allem Fichten.
"Die Fichte ist ein sehr wertvolles Holz. Erzielt natürlich nicht diese Spitzenwerte wie meinetwegen eine Furniereiche, aber ist für die Bauindustrie eigentlich elementar."
Ein sogenannter Harvester packt die Bäume mit seinem Greifarm am Stamm, legt sie auf den Boden, säbelt die Äste ab und zersägt die Stämme in passgenaue Stücke. Innerhalb von zwei Minuten verwandelt sich so ein stattlicher Baum in Meterware. Der Großteil dieser Bäume geht an Großsägewerke oder die Papierindustrie. Andere wertvollere Hölzer verkauft der Forstbetrieb München auf sogenannten Holzauktionen.
"Wir liefern dort zwar kleine Mengen, aber sehr ausgesuchte Ware. Und da können wir mit einem Festmeter, wenn der Furnierqualität aufweist, 10.000 Euro verdienen."
Holz ist in Bayern ein Wirtschaftsfaktor. Im Sektor Holz, zu dem neben der Forstwirtschaft die Möbel-, Papier- und Druckindustrie zählen, arbeiten in Bayern rund 150.000 Menschen. 2011 erwirtschafteten sie einen Umsatz von 38 Milliarden Euro. Das Geschäft, erzählt Wilhelm Seerieder, läuft derzeit unter anderem wegen der guten Baukonjunktur besonders gut:
"Momentan ist der Holzmarkt für uns Förster ausgezeichnet. Die Nachfrage insbesondere nach Fichte ist sehr gut. Dieses Sortiment führt dazu, dass die Bayerischen Staatsforsten zur Zeit sehr gute Betriebsergebnisse haben."
Kritiker sagen, dass diese guten Betriebsergebnisse den Bayerischen Staatsforsten wichtiger sind als Naturnähe und Biodiversität. Vom Ziel, fünf Prozent der Waldfläche bis 2020 aus der Nutzung zu nehmen, ist Bayern jedenfalls weit entfernt: Gerade mal 1,2 Prozent der bayerischen Waldfläche werden laut Recherchen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nicht bewirtschaftet. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND:
"Wir haben in Bayern eine massive Blockade dieses Ziels, vor allem durch die bayerischen Staatsforsten, die natürlich gewinnorientiert sind und deshalb alles tun, damit nicht mehr Wälder aus der Nutzung genommen werden."
Denn seit der Forstreform von 2005 sind die Bayerischen Staatsforsten nicht mehr der Landesverwaltung unterstellt, sondern eine Anstalt öffentlichen Rechts. Ein Unternehmen, das Überschüsse erwirtschaften soll. Mit Erfolg: 70 Millionen Euro Gewinn machen die Staatsforsten pro Jahr. Indirekt, sagen Kritiker wie Hubert Weiger, profitiere so der Bayerische Finanzminister von der Blockade des fünf Prozent-Ziels. Georg Windisch, Ministerialdirigent am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wehrt sich gegen solche Vorwürfe:
"Wir legen sehr viel Wert auf eine hohe Biodiversitätsleistung des Waldes. Wir halten aber nichts davon, diese Biodiversität durch die Trennung von Waldflächen in nicht bewirtschaftete und bewirtschaftete Flächen zu erbringen. Und insofern fährt Bayern einen integrativen Ansatz, mit Schützen und Nutzen auf ganzer Fläche."
Lobbyarbeit der Waldbesitzer
Für Hubert Weiger vom BUND ist dieser eigene Ansatz Bayerns auch ein Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit, vor allem durch den bayerischen Waldbesitzerverband. Der trommelt gegen das Fünf-Prozent-Ziel und ist eng mit den Staatsforsten verbunden: Die Staatsforsten sind Mitglied im Waldbesitzerverband, der Waldbesitzerverband sitzt bei den Staatsforsten im Aufsichtsrat. Laut Weiger führt diese Verquickung dazu,
"dass private Waldbesitzervertreter den Freistaat Bayern in Form der Bayerischen Staatsforsten mitkontrollieren und entsprechend natürlich auch Ziele vorgeben über den Aufsichtsrat. Das ist absurd."
Die Nähe zwischen Waldbesitzerverband und Staatsforsten findet Carl von Butler, Geschäftsführer des Bayerischen Waldbesitzerverbands, nur logisch:
"Wir haben kein Problem, die Ziele der Biodiversitätsstrategie mit umzusetzen. Nur die Maßnahmen, die man ergreift, um dort hinzukommen, da hat sich Bayern für einen anderen Weg entschieden. Dafür sind wir sehr dankbar."
Von diesem anderen Weg sollte Bayern schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit abrücken, findet Hubert Weiger vom BUND:
"Der heutige Ministerpräsident hat als Landwirtschaftsminister dieses Ziel mit unterstützt, und er kann nicht als bayerischer Ministerpräsident etwas völlig anderes vertreten."
Kann er doch. Georg Windisch vom Bayerischen Forstministerium sagt jedenfalls, das Fünf-Prozent-Ziel entfalte keine unmittelbare Wirkung auf die Bundesländer. Bayern hat sich deshalb als einziges Bundesland sogar geweigert, Zahlen zu den forstwirtschaftlich nicht genutzten Flächen herauszugeben. Für Windisch ist dieses Verhalten nur konsequent:
"Wir halten das für ideologische Zahlen, die von Naturschutzseite eingebracht wurden. Wenn ich sage, es macht keinen Sinn, über solche Zahlen zu diskutieren, dann beteilige ich mich an dieser Diskussion auch nicht."
Auf Fortschritte beim Fünf-Prozent-Ziel kann man in Bayern wohl noch lange warten.
Orkan Wibke als "Bankrotterklärung" der Forstwirtschaft
Warum die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie in den Wäldern in Deutschland so schleppend voran kommt liegt aber nicht nur am Widerstand einzelner Bundesländer. Es liegt auch daran, dass der Waldanteil, der in staatlicher oder kommunaler Hand ist, nur gut die Hälfte aller Forste in Deutschland ausmacht. 46 Prozent der gesamten Waldfläche in Deutschland gehört Privatleuten. Und die müssen sich zwar wie alle anderen auch an das Bundeswaldgesetz von 1975 halten, das eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit einfordert. Die Biodiversitätsstrategie gilt hier aber nicht. Und so überwiegen oft noch die wirtschaftlichen Interessen. Es gibt aber auch Ausnahmen, hat Adama Ulrich festgestellt.
Franz Straubinger: "Also, ich möchte Ihnen einfach diese herrlichen Farben zeigen und das in einem langweiligen Kiefernwald."
Franz Straubinger fährt sichtbar stolz einen Waldweg entlang. Auf einer kleinen Anhöhe hält er an.
"Wir stehen jetzt hier auf einer Moränenkuppel, bestockt mit einer alten Kiefer, knapp 100 Jahre alt. In den Lichtschächten, wo die Sonne den Boden erreicht und die Humusschicht mineralisiert, verjüngt sich die Kiefer. In diesen Kiefern steht drin vereinzelt die Birke, die Eiche."
Wir befinden uns im Hatzfeldt-Wildenburgschen Revier in Massow, das Franz Straubinger verwaltet. 2001 hat Hermann Graf Hatzfeldt-Wildenburg die etwa 6500 Hektar Land zwischen dem Baruther Urstromtal und der Teupitzer Seenplatte in Brandenburg gekauft. Zusammen mit den 7600 Hektar, die er bereits in Rheinlandpfalz besitzt, gehört der Graf seit dem zu den größten Privatwaldbesitzern Deutschlands. In dieser Branche agiert die Familie schon seit Generationen.
Hatzfeldt: "Waldwirtschaft in den Grenzen, wie sie jetzt im Rheinland für unseren Besitz bestehen, haben wir schon vor 400, 500 Jahren betrieben."
Bevor Hatzfeldt 1969 die Wäldereien von seinem Vater übernahm, hat er in den USA Wirtschaftswissenschaften studiert und ist durch Asien und Afrika gereist. Mit Forstwirtschaft hatte er damals noch nichts am Hut.
"Vielleicht rückblickend war es ganz gut, dass ich so wenig Ahnung hatte, weil ich die Waldwirtschaft sozusagen von außen betrachtet habe. Ich war so der Idiot, der Fragen stellte, auf die niemand kam, die aber, wie sich hinterher herausstellte, die nützlichen Fragen waren."
Denn Hatzfeldt begann, sich mit Nachhaltigkeit zu befassen.
"Nur zu sagen, ich mache seit 500 Jahren Forstwirtschaft und will es auch noch weitere 500 Jahre machen, ist noch nicht sehr nachhaltig."
Der Orkan Wibke, der in der Nacht vom 28. Februar zum 1. März 1990 über Teile Deutschlands tobte und ganze Fichten- und Buchenwälder vernichtete, ließ Hatzfeld dann endgültig umdenken:
"Das war eigentlich die Bankrotterklärung der Art von Forstwirtschaft: Fichte Reinbestände, Kahlschlag und so, was wir bis dato gemacht hatten. Das war der Moment, wo ich umgedacht habe: So geht’s nicht weiter, jetzt müssen wir nachhaltig wirtschaften. Das war auch der Punkt, wo ich den Doktor Straubinger, der die Forste jetzt führt, engagiert habe und wir konsequent die Vorstellungen umsetzen."
Straubinger: "Wir gehen alle fünf Jahre in jeden Waldbestand, wir zeichnen dort aus. Wir haben ein sehr konsequentes Rückgassensystem. Es erfordert eine ganz konsequente Jagd, das heißt, dass die verbeißenden Schalenwildarten - Rotwild, Dammwild und Rehwild - absolut einreguliert werden. Wir ziehen die Pflanzen ohne Düngung und Pestizide an. Wir füttern die Eichelhäher. Der fliegende Forstmeister Eichelhäher bringt diese Samen raus."
Franz Straubinger streift weiter durch den Massower Forst in Brandenburg. Wie oft auf sandigen Böden, besteht er zu 95 Prozent aus Kiefern.
"Wir versuchen, diese Kiefern langfristig naturgemäß zu bewirtschaften, mit dem Ziel, gestufte, gemischte, interessante, sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich klimaplastische Wälder zu erzielen."
1998 wurde Graf Hatzfeldt als engagierter Umweltschützer von der Umweltstiftung WWF und dem Wirtschaftsmagazin "Capital" zum "Ökomanager des Jahres" gekürt. Die Gründe für sein beispielhaftes Engagement für eine nachhaltige Forstwirtschaft in seinen Wäldern sind nicht nur altruistisch, sondern auch ganz privater Natur. Hauptsache der Wald erholt sich.
"Wenn man mit Bäumen arbeitet, also für den Wald, mit dem Wald, vom Wald lebt, denkt man in ganz anderen Zeitabschnitten als das in städtischen, bürgerlichen Kreisen der Fall ist. Wenn wir investiert haben in Neuankäufe für Wald, dann denken wir nicht für die nächsten zehn Jahre, sondern wir wollen den Wald behalten, vererben und das sind dann schon Dimensionen, die zeitlich viele Dekaden voraus gehen."
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