Naturmystik und Esoterik

Von Carsten Probst |
Naturmystik und esoterische Geisterbeschwörung stehen bei dieser 51. Biennale in Venedig hoch im Kurs. Außerdem hält eine neue Romantik Einzug. Vergleichsweise sympathisch wirkt da noch das silbern schimmernde "Wave-Ufo" der japanischen Künstlerin Mariko Mori, das aussieht wie ein Walfisch.
Die Gardini Publici am äußersten südlichen Rand Venedigs - wer derzeit hier mit dem Boot anlegt, stößt zuerst auf die hohe, weithin sichtbare elektronische Wassersäule, die der gebürtige Venezianer Fabrizio Plessi hier aufgerichtet hat. Dröhnend und rauschend, so laut wie ein echter Wasserfall, stürzt die buntpixelige Wasserkaskade unaufhörlich eine Reihe von Monitoren in die Tiefe hinab.

Plessis bunter Videowasserfall ist mehr als nur ein Hingucker für die diesjährige Biennale, er hat Symbolcharakter: als Anspielung auf das in der Kunst längst angebrochene elektronische Zeitalter. Vor allem aber steht Plessi für eine sehnsüchtig raunende Imitation der Natur, die derzeit offenbar salonfähig ist und die man seit den Zeiten der Naturalisten und Symbolisten so schwülstig nicht mehr gesehen hat. Naturmystik und esoterische Geisterbeschwörung stehen bei dieser Biennale hoch im Kurs, wovon man sich gleich bei einem Gang durch die Gardini überzeugen kann.
"Idiot Wind" nennt sich eine Installation der Künstlergruppe PROVMYZA im russischen Pavillon, bei der das Publikum durch einen langen dunklen Gang geschleust wird, in dem einem gleichsam die Engel der Geschichte entgegenzuorgeln scheinen, während man von allen Seiten auf dunkel glühenden Röhren mit warmem Wind angeblasen wird, der womöglich direkt vom Paradies her weht. Ein Schild am Eingang warnt aus gesundheitlichen Gründen davor, sich dem Windkanal länger als zwei Minuten direkt auszusetzen. Sergej Ajzenberg, einer der beteiligten Kuratoren, erläutert das Konzept:

" In diesem Projekt haben sie versucht, alles Sichtbare auszuschließen, es gibt nur diesen spezifischen Sound und den Wind und rundherum diese Dunkelheit. Dadurch sollen die Besucher dazu gebracht werden, ihre Umgebung wirklich im Inneren zu fühlen, sie über die Luft und über die Haut aufzunehmen und nicht, wie in der Kunst üblich, nur mit den Augen. Es ist auch eine spirituelle Erfahrung, denn Wind ist ja kein sichtbares Objekt. "

Der Titel der Installation "Idiot Wind" verweist auf die in der russischen Tradition geläufige Figur des "Narren Gottes", der göttliche Weisheit besitzt und von der Gesellschaft für verrückt gehalten wird: eine etwas gewagte Deutung der Rolle des zeitgenössischen Künstlers, die aber offenbar den Bedürfnissen der gegenwärtigen russischen Gesellschaft durchaus entspricht. Doch schon ein paar Meter weiter findet man im Pavillon der nordischen Länder unvermutet ein westliches Pendant, auch wenn es diskreter zugeht. Hier besinnt man sich anscheinend naturnah auf die große Leere:

" Das Konzept für den Nordischen Pavillon ist das Gebäude selbst. Nicht nur wegen seiner außerordentlichen Schönheit, sondern weil er ein Pavillon ist, wie man ihn heute versteht. Die Wände bestehen zur Hälfte aus Glas, und der Übergang in das Innere ist kaum mehr spürbar aufgrund der Bäume, die in seinem Inneren durch das Dach wachsen. Die natürliche Durchsichtigkeit zieht das Publikum an, bevor sie überhaupt das Gebäude betreten haben ... "

... heißt es in dem offiziellen Statement der Kuratorin Asa Nacking. Von Kunst muss sich der Besucher dieses Pavillons dabei nur noch am Rande belästigt fühlen. Lieber soll er durch die beschauliche Leere schlendern und sich am Vogelgezwitscher erfreuen, das durch kleine Lautsprecher an der Decke auf ihn hinabrieselt.

Doch vor allem am zweiten wichtigen Ausstellungsort der Biennale, dem alten Militärhafen des Arsenale, sieben Gehminuten entfernt von den Gardini, hat das Dunkle und Mystische Einzug gehalten. Rosa Martinez, die Kuratorin dieses Ausstellungsteiles, setzt hier eigentlich ganz auf politische und sozialkritische Kunst. Hier haben feministische Künstlerinnen ebenso ihren Auftritt wie kubanische Castro-Gegner oder Globalisierungskritiker aus aller Welt, doch zugleich halten damit auch einige Hohepriester der letzten Wahrheiten Einzug, die hundertprozentig ironiefreie Erholungszonen für die intellektuell überbeanspruchten Kunsttouristen eingerichtet haben.

Allen voran die Kolumbianerin María Teresia Hincapié de Zuluaga, die einen riesigen Saal mit vielen Kerzen wie eine Kathedrale schummrig beleuchtet und zu träumerischen Klängen aus der Stereoanlage auf einem Erdhaufen zwischen alten Kleidungsstücken einherschreitet und meditiert.

Die Zuschauer stehen etwas unschlüssig im großen Kreis umher, manche strecken sich auf dem Boden aus und scheinen eingeschlafen zu sein. Der Versuch, die Künstlerin nach einer ihrer Performances zu treffen und zum Sinn ihrer Arbeit zu befragen, schlägt fehl, da sie sich bei ihren Ruhepausen nicht stören lassen will. Aber sie hat einen Text hinterlassen, der ihr Anliegen beschreiben soll:

" Unendlich weit weg. Nichts sehen. Nichts berühren. Nichts brauchen. Ohne alles. Ohne Gedanken. Ohne Gott. Wir sind allein. Ohne Hilferuf. Es ist eine körperliche Notwendigkeit, zurückzukehren. Schweigen, um zurückzukehren zum Hören. Schweigen, um zurückzukehren zum Sehen. Schweigen, um zu verstehen. Um nicht verstrickt zu werden. Und so weiter … "

Hincapiés pathostriefende Performance-Installation erschüttert ein wenig das Vertrauen in die Auswahlkriterien der Kuratorin Rosa Martinez, die bei ihren Einladungen aus Zeitnot möglicherweise einige alte Freundschaften bedient hat. Vieles auf dieser Biennale wirkt improvisiert und ideenlos, ohne wirklichen Zusammenhang. Im Grunde gehört der gesamte hintere Teil des Arsenale den Geheimniskrämern und wichtigtuerischen Naturdeutern.

Der Kubaner Carlos Garaicoa lässt die Besucher durch einen dunklen, nur durch kleine, figürlich ausgeschnittene Ritzen erleuchteten Raum wandeln, dessen Licht- und Schattenreflexe sozusagen auf telepathischem Wege Traumgestalten erzeugen sollen. Der deutsche Konzeptkünstler Olaf Nicolai verzichtet gleich darauf, ein eigenes Werk beizusteuern, und fordert das Publikum stattdessen auf Schautafeln auf, am 13.August in den Nachthimmel zu schauen, wenn wie jedes Jahr die sogenannten Tränen des Laurentius zu sehen sind, ein wahrer Regen von Sternschnuppen, die der Chemnitzer kurzerhand zum Naturkunstwerk deklariert.

Vergleichsweise sympathisch zwischen soviel Belanglosigkeit wirkt da noch die ebenfalls großdimensionierte Raumskulptur der jungen Japanerin Mariko Mori, die schon in den ersten Tagen beträchtlichen Publikumszulauf erfuhr. Mori macht gar kein Hehl aus ihrer künstlerischen Harmoniesucht, aber ihr begehbares Objekt, das mit seiner silbrig schimmernden Außenhaut ein wenig wie ein Walfisch aus Kunststoff aussieht, holt das touristische Kunstpublikum zugleich mit grandioser Übertreibung bei seinem Verlangen nach Psycho-Kitsch und Wellness ab.

Mariko Mori: " Ich wollte etwas wie ein organisches Feld schaffen, etwas, das schon ein bisschen aussieht wie ein riesiger funkelnder Wassertropfen, aber vor allem sollte diese Form ein Gefühl von Harmonie und Frieden vermitteln. (...) Natürlich hat meine Arbeit auch mit den spirituellen Grundlagen meiner Heimat Japan zu tun. Aber dennoch hat sie für mich eher einen universellen Charakter, für mich ist es vor allem wichtig, Menschen miteinander zu verbinden ohne Grenzen. "

Moris begehbarer Brain-Wave-Generator sieht zwar zunächst ein wenig respekteinflößend aus, aber die Assistentinnen in ihren weißen Kitteln versichern den Kandidaten, die für das große geistige Vereinigungserlebnis ausgewählt werden, dass alles ganz harmlos ist und sie am Ende eine beglückende Erfahrung machen. Auf Stirnen und Körpern werden elektrische Rezeptoren mit Saugnäpfen geklebt, dann öffnet sich von Geisterhand die Tür zum Innenleben des weisen Wals, einer Kuppel, in die man sich entspannt hineinlegt. Mori beschreibt, was dann geschieht:

" In den ersten drei Minuten sieht man Bilder, die der Computer von den Bewegungen unseres Verstandes generiert, von den Gehirnströmen. Angenehme Gefühle erzeugen zum Beispiel rötliche Farbtöne, schlechte Gefühlswellen erzeugen eher blaue Töne. Das heißt: Zunächst erscheinen die Besucher noch als Individuen, alles erscheint auch als individuelle Wahrnehmung von Natur, des Menschseins, des Geistigen, alles was zum individuellen Leben gehört. Aber in meiner Arbeit geht es darum, eine Art Verbindung herzustellen zwischen den Individuen, so dass nach diesen ersten drei Minuten die computergenerierten Bilder sich zu einer Bilderwelt verbinden, so dass wir alle eins werden und zugleich sind wir Teil des Ganzen. "

Etwa drei Minuten dauert dieses Vergnügen. Und am Ende wird kein Besucher dieser Biennale mehr sagen können, er habe hier nicht neue Einblicke über das Wesen der Gegenwartskunst erhalten.

Service:

Die 51. Biennale findet in Venedig vom 12. Juni bis 6. November 2005 statt.

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51. Biennale in Venedig


51. Biennale in Venedig