Nationaltheater Mannheim

Bemerkenswert kraftvoll

Unaufhaltsam dem Tod entgegen: "Böse Geister" kennt keine Gnade.
Unaufhaltsam dem Tod entgegen: "Böse Geister" kennt keine Gnade. © Pierre Bourdis
Von Frieder Reininghaus · 31.05.2014
Die Koreanerin Yona Kim bearbeitete über 1000 Dostojewskj-Seiten zu einem Libretto von 20 Blatt. Herausgekommen ist eine Geschichte, die unaufhaltsam dem Tod entgegen trudelt, die in Mannheim sehr intensiv und facettenreich erzählt wird.
Adriana Hölszkys Oper "Böse Geister" bekundet, wie die Musik zu dem eine Woche zuvor uraufgeführten Düsseldorfer Tanzabend "Deep Field", wieder einmal bemerkenswerte Kraftentfaltung. Im einen wie im andern Fall machte es die Komponistin ihren Hörern vorsätzlich nicht leicht. Hölszkys Musik ist von jeher von schwerem Kaliber – bei allem Filigranen, das sie im Detail auch aufweisen kann.
Die Mannheimer Uraufführung basiert auf dem 1873 abgeschlossenen Roman "Dämonen" von Fjodor Dostojewskj. Yona Kim, die Frau des Mannheimer Operndirektors Klaus-Peter Kehr, bearbeitete die rund tausend Dostojewski-Seiten zu einem Libretto von zwanzig Blatt. Die in der Vorlage ausgebreiteten signifikanten Probleme der russischen Gesellschaft im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts schrumpften auf Spotlights.
Die aus Bukarest stammende, schon lange in Deutschland lebende Komponistin nutzte die "Kraftfelder" des Dostojewskj-Textes von 1872. Die einen knappen Meter hohen Partiturseiten der neuen Oper bringen eine Raum-Musik hervor, deren drei konstituierende Momente räumlich getrennt voneinander ablaufen und sich responsorisch verhalten: Die Choristen, ganz hinten oben in den letzten Reihen des ansteigenden Zuschauerraums in Stellung gegangen, bilden einen unvermittelten Kontrast zum übrigen theatralen Geschehen vor und hinter dem Orchestergraben.
Zwei ältere Chorwerke integriert
So entfaltet sich Raum-Theater auf drei Ebenen. Von hinten singt der von Tilman Michael mit hoher Präsenz ins Gesamtgeschehen eingebrachte Chor den TheatergeherInnen ins Genick: Da dräut sich Aggressives zusammen und erhebt sich kollektive Bedrohung. Die Stimmen wüten wie Erinnyen, skandieren markant und gelangen zu ausuferndem Rufen. Hölszky hat zwei ältere Chorwerke in die Partitur integriert: "Stawrogins Bätter" und "Der nächtliche Fluss" (dieser Hintergrund erklärt wohl die Partien des Auseinanderfließens der Chor-Lineatur). Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren: Die Stimmen des Chors – das sind die "bösen Geister".
Die mittlere Ebene des Raumtheaters gehört Stawgorin, der desillusioniert aus dem Ausland heimkehrte, wo er ein "ausschweifendes Leben" geführt haben soll, nachdem er in Petersburg "aus einer Laune" die geistes- und gehbehinderte Marja geheiratet hatte. Sie wird später, zusammen mit ihrem alkoholkranken Bruder, ermordet (Regisseur Joachim Schlömer lässt die Leichen mit Klebestreifen an eine Holzwand heften und so einen der Kollateralschäden des Bösen zur Schau stellen). Steven Scheschareg ist als Sohn aus reichem Haus eine starke Figur und Stimme. Mit der deklamiert er Tagebuch-Fragmente, ohne dass sich daraus eine narrative Linie ergäbe.
Von schlichter Narration weit entfernt
Jens Kilian hat zwei Holzhäuser auf die Bühne bauen lassen, die – sich drehend – bei wechselndem Licht immer wieder neue Einblicke in die guten Stuben zulassen. Ausgestattet sind sie mit Seidentapeten und feinem Nussbaummobiliar. Es ergeben sich Ausblicke auf das keineswegs harmonische Familienleben und es kommt ansatzweise eine Gesellschaftsfamilienanamnese zum Vorschein. Überwiegend wirken die Szenen surrealistisch.
Von schlichter Narration ist die Inszenierung des Choreographen Schlömer jedenfalls weit entfernt: Das Nonverbale, Atmosphärische und der Sound verweisen auf Unheil. Eben "das Böse", das auch im Namen der Nächstenliebe nicht aus der Welt weichen will.
Der Instrumentalpart (Leitung: Roland Kluttig) sieht wenig Beschäftigung der Streicher und Holzbläser vor, stützt sich vor allem auf das Schlagwerk: intensiv und facettenreich. Unaufhaltsam treidelt der Problemmusiktheaterabend der Entzweiung, dem Verderben und Tod zu. Dafür findet Adriana Hölszky eine drastische neoexpressive Tonsprache. Und der Regisseur auch das eine oder andere poetische Bild.