Nationalstolz der Engländer und Schotten

Vereint in inniger Feindschaft

08:54 Minuten
Ein Mann in einer Englandfahne gehüllt und ein Mann im Schottenrock schlagen sich freundschaftlich ab.
Beim Fußball, wie hier beim Spiel England gegen Schottland am 18. Juni in London, gibt es unter Fans durchaus noch Freundschaft unter Fans. © imago images / Parsons Media / Martyn Wheatley
Von Burkhard Birke · 23.06.2021
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Seit Jahrhunderten ist das Verhältnis zwischen England und Schottland mal mehr und mal weniger angespannt. Mit dem Brexit ist der Wunsch nach Unabhängigkeit für die Schotten allerdings in erreichbare Nähe gerückt. Was verbindet die Nationen also überhaupt noch?
Beim Fußball, wie beim Rugby, ist offensichtlich: Das Vereinigte Königreich besteht aus vier Nationen; na ja eigentlich aus dreieinhalb: England, Schottland und Wales. Nordirland ist ja eigentlich Teil der irischen Nation und nur der noch überwiegend protestantische Teil gehört zum Vereinigten Königreich. Und diese Nationen ziehen längst nicht an einem Strang – weder politisch noch kulturell. Ist Fußball dabei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln?
Der Fraktionschef der schottischen Nationalisten im Unterhaus, Ian Blackford, letzten Freitag mit Anspielung auf die Partie England – Schottland
"Er hoffe nicht, dass Schottland gegen seinen Willen aus der Europameisterschaft geworfen wird."
So wie Schottland beim Brexit aus der EU!?
Worum geht es aber im Grunde? Wie definiert sich die Nation Schottland beispielsweise? Etwa durch den von den Engländern in der Historie einmal verbotenen Kilt, den karierten Rock, den jeder gestandene schottische Mann zur Hochzeit oder auf dem Weg ins Stadion gerne trägt? Oder durch Whisky und Dudelsack? Machen die Highland Games das Wesen der schottischen Nation aus und ist das ein Grund für Unabhängigkeit?
"Wir Schotten hatten immer unsere eigene Identität. Wir haben Feuer im Bauch, wie ein altes Sprichwort sagt. Wir werden immer Schotten bleiben, sind aber auch Teil des Vereinigten Königreichs. Und ich denke, das sollte auch so bleiben!"

So freilich denken längst nicht alle Schotten. Im Gegenteil: Die nach Unabhängigkeit strebende linksnationalistische SNP, die schottische Nationalpartei, hat bei der letzten Wahl des Regionalparlamentes im Mai die absolute Mehrheit um gerade einmal eine Stimme verfehlt. Jetzt regiert die SNP mit den ebenfalls für Unabhängigkeit eintretenden Grünen. Die wiedergewählte First Minister Nicola Sturgeon:
"Es gibt ein klares Mandat für ein Unabhängigkeitsreferendum in dieser Legislaturperiode. Die Frage ist natürlich sehr emotionsbeladen. Wenn wir uns aber auf beiden Seiten dieser wichtigen nationalen Frage um Empathie und Verständnis bemühen und gelegentlich mehr Bereitschaft zum Zuhören als zum Reden zeigen und den demokratischen Willen respektieren, dann glaube ich, können und werden wir den richtigen Weg gemeinsam und zum richtigen Zeitpunkt finden."

Das Verbindende bei all dem Trennenden

In London hört man solche Töne gar nicht gerne: Dort regieren nun aber schon seit einer gefühlten Ewigkeit die Konservativen. Und in Schottland seit etlichen Legislaturperioden die linken Nationalisten. Die Schottische Nationalpartei will Einwanderung, die Engländer im Süden wollen sie begrenzen. Der schottische Nationalismus ist also kein exklusiver, der Fremde ausschließt. Die EU-Mitgliedschaft ist aber alles andere als ausgemacht. Der Historiker Robert Colls:
"Es wird für die Schotten viel schwieriger, die schottische Karte in Brüssel zu spielen als in London. Das ist so wie beim Fußball: Die Schotten spielen viel besser gegen England als gegen irgendeine andere Mannschaft."
Was sich bei der Europameisterschaft gezeigt hat. Bei aller Rivalität und allem Trennenden sollte das Gemeinsame zwischen England und Schottland nicht übersehen werden: Der Vereinigung 1707 ging mehr als 100 Jahre zuvor 1603 die Einheit der Monarchie voraus. Die Queen genießt auch bei den meisten Schotten hohes Ansehen. Das Pfund ist Zahlungsmittel und rein rechnerisch wird jeder Schotte mit 2000 Pfund pro Kopf und Jahr aus London subventioniert.
Auch drei Viertel des Handels wickeln die Schotten mit dem restlichen Vereinigten Königreich ab. Und trotzdem ist der Wunsch nach Unabhängigkeit, danach eine eigene Nation im eigenen Staat zu sein, gewachsen. Trotz relativer Unabhängigkeit in Bildungs- und Gesundheitsfragen, empfinden viele in Schottland die Politik aus London als Diktat. Ist sie aber auch das Resultat eines gewachsenen englischen Nationalismus?

Das Problem ungleicher Partner

Gemäß einer BBC Umfrage vor nicht allzu langer Zeit behaupteten 80 Prozent der Befragten in England eine starke Bindung an England zu haben.
Für den Historiker Robert Colls von der De Montford University in Leicester erklärt das aber nicht allein das Phänomen des Brexits.
"England ist eine so viel größere, wohlhabendere und mächtigere Nation im Vereinigten Königreich als die anderen, deshalb wurde englischer Nationalismus von der Politik immer als etwas Heikles betrachtet. Wenn man dem englischen Nationalismus freien Lauf lässt, dann ist das so als steige man mit einem viel mächtigeren Partner ins Bett. Wenn England aufstünde, dann könnte man herausfallen. Deshalb wurde der englische Nationalismus stets eng kontrolliert."
Außer beim Fussball: Da wehen die Sankt Georges Fahnen und brüllen die Fans wie die drei Löwen auf dem Trikot Gesänge in den Stadien. Aber beschränkt sich die Englishness auf den Fußball? Was heißt es, englisch zu sein?
Er spüre, dass er Engländer sei, wenn er im Ausland ist und keine gute Tasse Tee bekommt, sagt der You-Tuber Owan Jones. Das gehört zu den Klischees wie English Breakfast, die St. Georges Fahne und die stiff upper lip, die steife Oberlippe, die zu Zeiten des Empires zum Symbol für Kontrolle von Emotionen wurde. All das sind freilich eher Identitätsmerkmale einer Nation. Was jedoch charakterisiert englischen Nationalismus? Der Historiker Robert Colls:
"Da ist das Gefühl von Freiheit, was im weitesten Sinne bedeutet, dass wir uns selbst regieren. Der andere Aspekt von englischem Nationalismus ist das Gefühl von Heimat, deren Grenzen wir selbst kontrollieren. Neben der Freiheit und Heimat müssen alle Nationen sich selbst finden, mit ihrer Geschichte klarkommen. Wir sind unsere Geschichte!"

Der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit

Und dazu gehören die Monarchie, die Größe des Empire, die Siege im Krieg über Deutschland. Eine Geschichte, die Schotten und Engländer auch gemeinsam erlebt haben.
Sich selbst regieren und die eigenen Grenzen kontrollieren zu können, das ist nach dem Brexit prinzipiell möglich. Klar ist bei Engländern und Walisern der Wunsch nach stärkerer Selbstkontrolle und mehr Unabhängigkeit von Brüssel für das Brexitvotum ausschlaggebend. Die Schotten, wie die Nordiren, indes wollten in der EU bleiben. Gemeinsame Geschichte – unterschiedlicher Nationalismus?
"Der englische und der schottische Nationalismus zählen nicht zu den expansiven, den aggressiven Nationalismen, so wie man Nationalismus oft versteht. Man will keine neuen Gebiete erobern, sondern nur sein Selbstverständnis verteidigen. In diesem Sinne will der englische Nationalismus den Status quo ante", sagt Ton Colls.
Zurück zur splendid isolation und dem alten Empire, während sich die Schotten eine Zukunft in der EU sehr gut vorstellen könnten. Ein zweites Unabhängigkeitsreferendum wird wohl unvermeidbar. London rüstet sich insgeheim schon: Mit einem Trick hofft man das Vereinigte Königreich zu retten: Bei einem nächsten Unabhängigkeitsvotum sollen nicht nur die 5,5 Millionen Bewohner Schottlands, sondern auch die 850.000 in England und Wales lebenden Schotten mit abstimmen dürfen!
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