Nationalsozialismus

Dem Volk die Nerven erhalten

Plakat "Kraft durch Freude"
"Kraft durch Freude"-Plakat in der Ausstellung "Freizeit im Faschismus" des Dokumentationszentrums Prora auf Rügen © dpa / picture alliance / Stefan Sauer
Von Jochen Stöckmann |
Das Hakenkreuz inmitten eines Sonnenrades war Signet der Organisation "Kraft durch Freude", mit der die Nazis auch die Freizeit der Deutschen staatlicher Kontrolle unterwerfen wollten. Gegründet wurde "KdF" Ende 1933.
Joseph Goebbels (Originalton): "Es handelt sich darum, den Feiertag zu organisieren. Und zwar von der Erkenntnis ausgehend, dass ein Staat, der wirklich mit dem Volke identisch und verbunden ist, das Volk niemals sich allein überlassen soll."
Die Gründung einer Freizeitorganisation, der sich niemand mehr entziehen konnte, verkündete Joseph Goebbels, Hitlers Propagandaminister, am 27. November 1933. Der Deutschen Arbeitsfront, also der Nazi-Zwangsgewerkschaft unterstellt, wurde "Kraft durch Freude" mit der parteiamtlichen Abkürzung KdF zum Synonym für nationalsozialistischen Massentourismus. Unter der Parole "Der deutsche Arbeiter reist" hatten bis 1939 über zehn Millionen Menschen an längeren Urlaubsfahrten teilgenommen. Tatsächlich war nicht einmal jeder Fünfte ein Arbeiter. Aber was zählte, war der Propagandaeffekt. So erkannte der Historiker und Publizist Ernst Niekisch schon damals:
"Der Firlefanz, der Massentrubel, der Reisezauber, mit denen 'Kraft durch Freude' die Freizeit des Arbeiters ausfüllt, sollen ihn bestechen, 'Kraft durch Freude' ist sein Demokratieersatz. Weil man ihm zu ermäßigten Preisen erlaubt, seine Nase in alle Weltgegenden zu stecken, soll er sich als freier Mann fühlen; soll er den Kopf höher tragen und sich gleichberechtigt vorkommen."
Die lauthals proklamierte Volksgemeinschaft setzte sich nicht überall durch: Exklusive Hotels warben um ihr betuchtes Stammpublikum mit dem Hinweis "Hier verkehren keine KdF-Gruppen". Für die Massen wurde das Seebad Prora auf Rügen geplant, ein gigantischer Ferienkomplex für 20.000 Urlauber.
Wozu die nach dem Vorbild der faschistischen Dopolavoro Italiens aufgebaute Organisation tatsächlich gedacht war, das verriet Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, bei der Gründung der KdF:
(Originalton) "Über allem steht das Wort des Führers und damit auch seine Aufgabe, die er uns gab: Wie erhalten wir dem Volk die Nerven – in der Erkenntnis, dass man nur mit einem nervenstarken Volk Politik treiben kann."
Politik, wie Hitler sie betrieb, lief auf Krieg hinaus. Und deshalb bedeutete KdF nicht nur, wie der Historiker Ulrich Wehler analysiert:
"Gesinnungspolizei, Sozialamt, Gewerbeaufsichtsamt, Volkshochschule, Reiseveranstalter, Bauträger."
Kraft durch Freude, das war auch ein Übungsfeld für militärische Logistik.
Ernst Niekisch: "Die Eisenbahn verfrachtet Abertausende; so gewinnt sie für die Mobilmachung Erfahrungen, wie unübersehbare Massen in Tagen, ja in Stunden zu befördern sind. Die Seebäder und Landerholungsheime sind künftige Lazarette, die Seedampfer die kommenden Truppentransportschiffe."
Was Ernst Niekisch 1935 vorausgesehen hatte, wurde schnell Realität: Für Luftwaffensoldaten, die Guernica in Schutt und Asche gelegt hatten, organisierte man im Sommer 1939 bei Berlin das KdF-"Lustbiwak Condor". Aus Spanien zurückgekehrt war die "Legion Condor" mit dem "Kraft durch Freude"-Kreuzfahrtschiff "Wilhelm Gustloff", das dann als Lazarett- und Kasernenschiff diente, bevor es 1945 mit Tausenden von Flüchtlingen in der Ostsee unterging.
Militärisch genutzt wurde auch der sogenannte KdF-Wagen, Vorläufer des Volkswagens. Durch Ansparen von wöchentlich fünf Mark sollte sich jeder solch ein Auto leisten können. Als dann die ersten Modelle vom Band liefen, gingen sie sofort an die Wehrmacht – die Sparer hatten das Nachsehen. Ihnen dürfte besonders höhnisch in den Ohren geklungen haben, was eine Propagandabroschüre als Zweck der Freizeitorganisation anführte:
"'KdF' überholt gewissermaßen jede Arbeitskraft von Zeit zu Zeit, genauso wie man den Motor eines Kraftwagens nach einer gewissen gelaufenen Kilometerzahl überholen muss."
Auch die gebildeteren "Volksgenossen" sollten "Kraft durch Freude" schöpfen. Dafür sorgte unter anderen der Präsident der Goethe-Gesellschaft Julius Petersen. Der einflussreiche Literaturwissenschaftler hielt 1934 eine Festrede vor der Ortsgruppe Hannover der Goethe-Gesellschaft ‒ er schloss mit dem Satz:
"Heute erleben wir alle den Rütlischwur der Gemeinschaft und das 'Seid umschlungen Millionen' in der Gemeinschaft 'Kraft durch Freude'."
Mehr zum Thema