Nationalgalerie-Direktor: Miteinander der Museen stärken

Udo Kittelmann im Gespräch mit Katrin Heise |
Ein zeitgenössisches Museum habe die Aufgabe, sich zeitnah in gesellschaftliche Debatten einzumischen und Diskussionen anzuregen, sagt Udo Kittelmann, der neue Direktor der Nationalgalerie Berlin, anlässlich der Präsentation der Sammlungsbestände im Hamburger Bahnhof in neuer Ordnung.
Katrin Heise: Herr Kittelmann, ich grüße Sie recht herzlich!

Udo Kittelmann: Ich grüße Sie!

Heise: "Die Kunst ist super", das ist das Motto, ein sehr begeistertes Motto, ein begeisterndes Motto. Warum muss man den Menschen, vielleicht sogar speziell den Berlinern, das mal wieder deutlich machen, wie toll die Kunst ist?

Kittelmann: Ich hoffe, das fällt zumindestens auf, dass es nicht heißt, Kunst ist super. Nicht jede Kunst ist per se super, aber ich bin schon der Meinung, dass die Kunst, die wir jetzt aktuell versammeln, nun mal tatsächlich das Attribut super zu Recht tragen wird.

Heise: Das heißt, Sie waren begeistert, als Sie durch Ihre Sammlung gegangen sind, durch die diversen, die Sie zu verwalten, zu bestellen haben?

Kittelmann: Sehr begeistert. Es gibt tatsächlich, glaube ich, nur ganz wenige Orte, die solche Sammlungen beheimatet wie die Nationalgalerie, und in diesem speziellen Fall tatsächlich der Hamburger Bahnhof, gerade auch, weil ich immer noch den Blick auch etwas von außen auf Berlin habe, und das hat mich dann schon überrascht. Also es gab ja immer auch die Klagen, die man so hörte: Hat Berlin eigentlich genügend Werke von Weltrang, besonders in der Zeit nach 1960? Es hat tatsächlich so viele Werke von internationaler Bedeutung.

Heise: Sie waren aber zusätzlich sogar noch im Museum für Naturkunde, Sie waren auch in der Gipsformerei der Staatlichen Museen, Sie haben Gipsbüsten zum Beispiel von der Nofretete mitgebracht, Sie haben Totenmasken, Sie haben Modelle von Insekten in die Ausstellung integriert. Die Nofretete steht zum Beispiel jetzt gegenüber einem Marilyn-Bild von Andy Warhol. Was sollen diese Gegenüberstellungen?

Kittelmann: Immer wenn man zwei Dinge zusammenführt, verändert sich der Blick von dem einen auf das andere. Und in dem Moment, wo wir hingegangen sind und haben die Gipsbildnisse, zum Beispiel die erwähnte Nofretete, nicht das Original wohlgemerkt, sondern tatsächlich den neusten Digitalscan, also ein Schönheitssymbol dieser Zeit, gegenübergestellt eben dann doch einem aktuelleren Schönheitsbildnis, eben der Marilyn Monroe, dann wird ja etwas deutlich: dass jede Zeit genau so etwas bereits hatte. Das vollzieht sich sicherlich durch alle Räumlichkeiten, ein großes dialogisches Prinzip. Sie werden immer wieder auf visuelle Attraktionen stoßen, die sich vorher schon mal in einem anderen Bild, in einer anderen Skulptur gezeigt haben. Und die Insektenmodelle von Alfred Keller, das gehört sicherlich zu einer meiner Lieblingspräsentationen, das muss ich schon sagen, weil ich schon glaube, dass gerade die Nationalgalerie, dass ihr eine größere Rolle zukommen sollte in dieser vermittelnden Geste, auch gegenüber anderen Museen dieser Stadt, also nicht das Abgrenzen, sondern das Miteinander.

Heise: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wünscht sich, wünschte sich auch gerade, als Sie anfingen oder als Sie berufen wurden 2007, dass die vielen Museen Berlins eigentlich sich präsentieren wie ein Universalmuseum – das Wort habe ich irgendwo mal gehört. Diese universale Sicht, das denken Sie auch, dass das der richtige Weg ist?

Kittelmann: Was wir hier vorfinden können in Berlin, und das sicherlich weltweit einmalig, ist ein solcher Reichtum in den Sammlungen. Und ich glaube, dass wir noch viel mehr Möglichkeiten haben, auf das Eigene zu schauen und das zu präsentieren. Und für mich ist tatsächlich das, was Alfred Keller geschaffen hat, Kunst, es hat solch einen großen künstlerischen Wert.

Heise: Sie stehen so als Person, von dem, was Sie gemacht haben bisher, vor allem für die zeitgenössische Kunst, für moderne Kunst. Was sagen Ihnen eigentlich die Gemälde in der Alten Nationalgalerie, die ja auch zu Ihren Sammlungen gehören?

Kittelmann: Einer meiner Lieblingsorte. Es ist ja nun so: Wenn einer sich vor allen Dingen für zeitgenössische Kunst interessiert, kann er diesen Weg – oder wie in meinem Fall – ja nur über die ältere Kunst gefunden haben. Aber jede Zeit hat so fantastische Bilder hervorgebracht, Bildwerke hervorgebracht, und die sind mir natürlich auch im 19. Jahrhundert genauso lieb wie das zeitgenössische Kunst. Es begeistert mich zunehmend, auch diese Breite an Kunst durch die verschiedenen Epochen verantworten zu können. Und letztendlich das 19., 20. Jahrhundert – kunstgeschichtlich ist es auch nur ein Klacks.

Heise: Wenn man damit die Nofretete dagegenhält.

Kittelmann: Ganz genau.

Ein zeitgenössisches Museum habe die Aufgabe, sich zeitnah in gesellschaftliche Debatten einzumischen und Diskussionen anzuregen, sagt Udo Kittelmann, der neue Direktor der Nationalgalerie Berlin anlässlich der Präsentation der Sammlungsbestände im Hamburger Bahnhof.

Heise: Die Zeit der Nofretete.

Kittelmann: Ja, ja.

Heise: Anlässlich der heute beginnenden Ausstellung "Die Kunst ist super" im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin spreche ich mit dem Direktor der Nationalgalerie, mit Udo Kittelmann. Herr Kittelmann, es haben ja für diese Ausstellung jetzt auch Künstler was ganz Neues geschaffen, also Zeitgenossen, die extra für die Ausstellung gearbeitet haben. Ist das so ein erster Schritt für Sie auch aktuell, Kunstschaffende ins Museum zu ziehen, zu holen?

Kittelmann: Das gehört für mich unbedingt dazu, wenn man ein Museum für Gegenwartskunst ist. Ich glaube, es ist eine ganz wichtige Aufgabe, den Künstlern auch das Gefühl zu geben, sie sind hier willkommen. Ein Museum für Gegenwartskunst muss immer auch so etwas sein wie Heimat für Künstler. Und ich hielte es für fatal, wenn wir nicht Künstler einladen würden, auch vor Ort etwas zu schaffen.

Heise: Können Sie Beispiele nennen?

Kittelmann: Richard Artschwager, sicherlich einer der bedeutendsten amerikanischen Künstler der 60er-, 70er-Jahre, haben wir eingeladen, den Flur der sogenannten Rieckhallen auf 300 Meter mit einer Lampeninstallation zu bespielen. Es gibt diese Brücke, die von der historischen Eisenbahnhalle rüber in die Rieckhallen führt. Das war bisher so ein langweiliger Durchgang. Und jetzt ist der polnische Künstler Robert Kusmirowski hingegangen und hat daraus einen S-Bahn-Übergang geschaffen, der sich orientiert an Berlin Alexanderplatz.

Heise: Also man kann auf jeden Fall gespannt sein. Sie sagen das in einer Art und Weise, als ob das das normalste der Welt wäre, die zeitgenössischen, die jetzt schaffenden, die jetzt tätigen Künstler ins Museum zu holen, aber bisher gab’s ja immer den Vorwurf, dass die Gegenwartskünstler, so auch ja international renommierte Künstler wie zum Beispiel Olafur Eliasson oder Thomas Demand, dass die hier in Berlin zwar leben und arbeiten, ihre Ateliers haben, aber im Museum eigentlich nicht stattfinden. Wo suchen und wo finden Sie eigentlich die aktuellen Künstler, wie informieren Sie sich?

Kittelmann: Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass die besten Tippgeber immer die Künstler sind. Die Künstler sagen einem immer sehr früh auch, was interessante Künstler sind. Und dann muss man eben reagieren oder lässt es bleiben. In dem Fall haben wir eben dann reagiert. Und es gehört natürlich mit zu einer Aufgabe eines Museums, das sich durchaus auch als ein Ort versteht von großer Kreativität.

Heise: Was mich interessiert, ist, wie Sie einen Künstler eben erkennen, das ist ja oft Galeristenaufgabe. Kann das aber auch ein Museumsleiter, kann das jemand in Ihrer Position überhaupt noch leisten? Ziehen Sie durch Galerien oder machen Sie Atelierbesuche?

Kittelmann: Ja sicher gehe ich in Galerien und schaue mir Ausstellungen an, im Moment leider etwas weniger. Und natürlich geh ich auch in Studios von Künstlern. Durch den Besuch meines ersten Besuches im Museum für Naturkunde habe ich Alfred Keller entdeckt, das hat mir vorher keine Galerie gesagt oder auch kein Kollege gesagt: Schau dir das mal an.

Heise: Wo man dann gar nicht hinguckt.

Kittelmann: Ja, aber das ist oft das Spannendste.

Heise: Wann ist für Sie ein Künstler dann museumswürdig? Muss er erst ein paar Jahre sich bewährt haben, wenn Sie ihn im Studio entdeckt haben, dann warten Sie noch ein paar Jahre?

Kittelmann: Nein, nein, dann würde man ihn ja erst zeigen, wenn alle Welt ihn sozusagen schon entdeckt hat. Man muss den Mut auch haben zu eigenen Entscheidungen. Für mich zeichnet sich auch ein Museum dadurch aus, dass es den Mut hat zu eigenen Entscheidungen, durchaus sehr selbstbewusst auftritt und sagt: Das ist für uns ein interessanter Künstler und den stellen wir jetzt aus.

Heise: In Frankfurt haben Sie zum Beispiel als Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst so ne, ich weiß gar nicht, ob sie so hieß, aber eine eBay-Ausstellung gemacht, wo Sie also ersteigerte …

Kittelmann: So sagt heute der Volksmund, ja.

Heise: … ersteigerte Gegenstände, Kunstgegenstände ausgestellt haben und dann auch wieder versteigert haben.

Kittelmann: Ja.

Heise: Also Sie haben da auch so ne Zeitströmung dann sehr aktuell aufgegriffen. Fällt das alles in den Aufgabenbereich eines Kunstmuseums?

Kittelmann: Ja unbedingt. Ich glaube schon, dass ein zeitgenössisches Museum durchaus die Aufgabe hat, sich in Debatten unserer Gesellschaft unserer Zeit auch zeitnah einzumischen und auch die Debatten und Diskussionen anzuregen.

Heise: Haben Sie eigentlich für diese ganzen Experimente tatsächlich auch Platz? Bisher hieß es in Berlin immer – Beispiel Hamburger Bahnhof hier –, dass gar kein Spielraum für neue spannende Ausstellungen da sei, weil die Sammlungen Marx, Marzona und Flick eigentlich die Räume besetzt hätten.

Kittelmann: Was heißt besetzt haben? Ich glaube, dass wir jetzt auch wunderbar vorführen können, wie sich diese Sammlungen auch sinnvoll ergänzen. Dafür bedarf es natürlich auch einer ungeheuren Kenntnis der Sammlungen. Es überrascht gerade aktuell sehr viele Besucher schon in dem Moment, wo sie jetzt in die Kleihueshalle gehen, dass eben auch eine der besten und klügsten Arbeiten von Jeff Koons zu dieser Sammlung gehörten – die beiden Basketbälle in diesem Aquarium. Also wir sehen jetzt die ganze Fläche als das Museum für Gegenwart – Hamburger Bahnhof. Das klappt bisher vorzüglich, weil die Sammlungen so fantastisch sind, klar.

Heise: Die Kunsthalle, die Diskussion um die Kunsthalle, sie soll ja am Humboldthafen entstehen, eine Kunsthalle, also direkt quasi in Nachbarschaft hier zum Hamburger Bahnhof. Der regierende Bürgermeister Wowereit ist bereit, 30 Millionen Euro zu investieren. Braucht Berlin eine solche Kunsthalle eigentlich noch neben den ganzen Museen, die da sind, die es schon gibt?

Kittelmann: Ich möchte nicht der Diskussion vorweggreifen, die wir – ich glaube, der Termin ist der 24. September – hier am Hamburger Bahnhof zu diesem Thema führen werden. Grundsätzlich gilt: Jede kulturelle Initiative ist immer begrüßenswert. Darüber sollten sich alle im Klaren sein, dass das auch die Stärke von Berlin sein kann. Das ist die Stärke von Berlin – die vielfältigen kulturellen Institutionen, die es gibt, und wie man die auch stärken kann.

Heise: Das sagt und das wünscht sich Udo Kittelmann, der Direktor der Berliner Nationalgalerie. Herr Kittelmann, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!

Kittelmann: Gerne!