National Sorry Day

Gedenken an gekidnappte Kinder

Von Andi Stummer  · 26.05.2014
Das australische Sozialamt hat bis 1979 mehr als 100.000 Kinder mit Aborigine-Wurzeln ihren Eltern weggenommen. Am National Sorry Day am 26. Mai gedenkt das Land den Opfern des staatlichen Kidnapping. Doch die Ureinwohner befürchten eine neue "gestohlene Generation".
Alles, was Gary Maynard von seiner Familie geblieben ist, sind ein paar vergilb-te Schwarz-Weiß-Bilder in einem abgegriffenen Fotoalbum. Eine der Auf-nahmen zeigt einen sommersprossigen, irischen Walfänger und eine Ureinwoh-nerin – seine Eltern. Garry ist ein Mischling, halb Aborigine, halb Europäer. Geboren im Jahr 1952 auf Palm Island, wurde der Junge zum hilflosen Spielball der rassistischen Ureinwohner-Politik Australiens:
"Das Sozialamt hat mich ohne Vorwarnung im Oktober 1959 wegbringen lassen. Ein Beamter kam in meine Schule und nahm mich einfach mit. Ich lebte 21 Jahre lang bei einer weißen Familie. Sie hielten mich wie einen Sklaven. Und dafür bekamen sie auch noch Geld von der Regierung."
Gary war kein Einzelfall. Mehr als 100.000 Mischlingskinder wurden bis 1979 in entlegenen Aborigine-Gemeinden ihren Müttern weggenommen und zur Um-erziehung in Heime oder christliche Missionsstationen gebracht. Staatlich er-laubtes Kidnapping für das sich die australische Regierung bei den sogenannten "gestohlenen Generationen" erst im Jahr 2008 offiziell entschuldigte.
"As Prime-Minister of Australia, I am sorry for the pain, suffering and hurt of these stolen generations. We say sorry."
Die Rede des damaligen Premiers Kevin Rudd sollte beides sein: Ein Schluß-strich unter die Vergangenheit und der Beginn einer besseren Zukunft für Australiens 400.000 Ureinwohner. Millionen sollten die Lebensbedingungen der Aborigines verbessern.
"Warum werden noch immer Kinder verschleppt"?
Doch der Großteil lebt weiter im Elend, mit Alkoholmiß-brauch und häuslicher Gewalt. Die Sozialbehörden ordnen immer öfter an, dass Ureinwohnerkinder nicht bei ihren Eltern sondern in staatlicher Fürsorge aufwachsen. Aborigines aber warnen vor einer neuen "gestohlenen Generation".
Aunty Hazel ist 76, vierfache Großmutter und sie ist wütend. Ihre Enkel leben nicht mehr bei ihrer Familie, sondern in einem Heim. Sozialarbeiter haben die Kinder vor einem halben Jahr aus dem Haus ihrer Tochter im ländlichen Gunne-dah, nördlich von Sydney mitgenommen. Bei Nacht und Nebel und mit Polizeigewalt – weil die Kinder mißhandelt würden und unternährt wären.
Aunty Hazel: "Wir fordern, dass die Praktiken des Jugends- und Sozialamtes genau untersucht werden. Warum werden immer noch Kinder verschleppt, warum unternimmt niemand etwas dagegen ? Wir werden nicht einfach tatenlos zusehen wie uns unsere Babies weggenommen werden, unsere Kleinsten haben Rechte."
Beim Sozialamt gibt man keine Auskünfte über Einzelfälle, aber betont: Würden Kinder körperlich, seelisch oder sexuell mißbraucht, dann würde gehandelt – egal welche Hautfarbe die Opfer hätten. Aunty Hazel und andere Großmütter von Aborigine-Familien würden ihre Enkel gerne bei sich aufnehmen und groß-ziehen. Die Zahlen aber sprechen gegen sie.
Das dunkelste Kapitel in Australiens Vergangenheit
David Shoebridge: "Zwischen 1997 und 2012 hat sich in Australien die Zahl von Aborigine-Kindern, die ihren Familien weggenommen wurden, verfünffacht", beklagt der Grünen-Abgeordnete David Shoebridge. "Allein in New South Wales lebt mindestens eines von zehn Aborigine-Kindern in der Fürsorge des Staates. Das ist eine neue gestohlene Generation."
Jeder beschuldigt den anderen. Aborigines werfen dem Sozialamt ideologischen Rassismus vor, die Behörden machen die verheerenden Bedingungen in Abori-gine-Gemeinden verantwortlich. Trotz Hilfsprogrammen ist jeder zweite Urein-wohner ohne Job, hängt an der Flasche oder am Tropf der Wohlfahrt. Die Selbstmordrate ist sechsmal höher als bei Weißen, die Lebenserwartung 30 Jahre niedriger. Die gestohlenen Generationen war das wohl dunkelste Kapitel in Australiens Vergangenheit. Der nächste Abschnitt der Landesgeschichte aber muss von schwarzen und weißen Australiern gemeinsam geschrieben werden.
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