Nastasja Penzar: "Yona"

Die Geburt war nicht der Anfang

07:02 Minuten
Das Cover von Nastasja Penzar: "Yona", Roman, Matthes & Seitz
© Cover: Matthes & Seitz / Zeichnung: Deutschlandradio
Von Carsten Hueck · 17.03.2021
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Nach dem Tod des Vaters reist Yona von Deutschland nach Guatemala, um ihrer Herkunft auf die Spur zu kommen. Nastasja Penzar erzählt in "Yona" von der Verunsicherung und der Selbstermächtigung einer jungen Frau - ein Debütroman voll magischer Bilder.
Während im Alten Testament der Prophet Jona mit einem klaren Auftrag in die Stadt Ninive geschickt wird, macht sich Yona, die titelgebende, weibliche Hauptfigur in Nastasja Penzars Roman auf den Weg in ihre ferne Geburtsstadt, ohne recht zu wissen, was sie dort soll. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie als Kleinkind mit ihrem deutschstämmigen Vater von Guatemala nach Deutschland gezogen. Nun ist auch er gestorben, ohne ihr Genaues von damals erzählt zu haben. Eigene Erinnerungen an die Zeit in Mittelamerika hat sie keine mehr. Aber es gibt dort noch ein Haus, das dem Vater gehörte, und es gibt eine Tante.
Die Reise aus der deutschen Heimat führt in mehrfacher Hinsicht ins Unbekannte: in Verhältnisse, die geprägt sind von Armut und Korruption, Angst, Gewalt und Drogen. Aus der behüteten Existenz in Europa gerät Yona in ein Land berückend schöner, aber auch gefährlicher Natur.

Gierig und zerstörerisch

Der See, in dem sie badet, ist so verseucht, dass sie sofort erkrankt, der Vulkan, in dessen Nähe das Haus ihres Vaters steht, spuckt Gesteinsbrocken und Lava, in ihrem Schlafzimmer erschlägt sie morgens einen Skorpion. Überraschend wie diese nicht domestizierte Natur sind auch die Menschen. Schon auf dem Weg vom Flughafen zur Tante wird Yona im Bus ausgeraubt. Einmal angekommen, findet sie liebevolle Aufnahme, es gibt Menschen, die sich noch an sie als Kleinkind erinnern können und ihr mit einer selbstverständlichen Achtung begegnen. Schritt für Schritt versucht Yona, sich ihre Vergangenheit zu rekonstruieren und dem Geheimnis um das Haus und den Tod ihrer Mutter auf den Grund zu kommen.
Nastasja Penzar beschreibt in ihrem Debütroman, der mit dem verstörenden wie magischen Satz beginnt "Die Geburt ist nicht der Anfang", eine äußere und eine innere Reise. Vergangenheit und Gegenwart sind darin erzählerisch verschränkt. Szenen aus dem Zusammenleben mit dem Vater wechseln ab mit Yonas gegenwärtigen Wahrnehmungen und Schilderungen der Ereignisse, die vor ihrer Geburt liegen. Das hält den Text in Bewegung, verdichtet ihn, macht ihn abwechslungsreich und lädt einzelne Bilder magisch auf.
Immer wieder taucht das Bild des Wals auf, der einen verschluckt, oder durchgängig das Bild der Ameise, die zugleich beharrlich, gierig und zerstörerisch ist. Hier hängt alles mit allem zusammen, Gut und Böse lassen sich schwer voneinander getrennt halten, die Müllhalde liegt direkt unter dem Friedhof.

Zerfressen von Bandenkriegen

Seit dem Tod ihres Vaters verfolgt Yona ein Ton in ihrem Kopf, der in Stresssituationen so anschwillt, dass sie ihn nur unter Zuhilfenahme männlicher Körper zum Verstummen bringen kann. Fast traumwandlerisch, wie unter Schock, bewegt sich die Protagonistin so lange durch die ihr fremde Welt. Gato, Mitglied einer kriminellen Bande, wird ihr Lotse und Liebhaber - er führt sie durch Slums, in die doppelbödigen Paradiese des Aussteigertourismus, auf Trauerfeiern und Beerdigungen, in die Geschichte des Landes, das zerfressen ist von Bandenkriegen und Klassenkampf. Am Ende kommt es zur Explosion – und Yona erwacht.
"Yona" ist die Geschichte von Verunsicherung und Selbstermächtigung und von dem Zu-Sich-Kommen einer jungen Frau. Rhythmisch, sinnlich, getränkt von Schweiß, Blut, Lava und dem Fett, das vom Hühnerknochen tropft.

Nastasja Penzar: "Yona", Roman
Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2021
207 Seiten, 22 Euro

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