Nasreddin Hodscha hat "meistens so eine kleine Pointe"

Paul Maar im Gespräch mit Katrin Heise · 31.10.2012
Der Kinder- und Jugendbuchautor Paul Maar schätzt den "ganz speziellen Witz" von Nasreddin Hodscha aus der türkischen Volksliteratur. Seine Gedanken waren deshalb auch der Ausgangspunkt für "Das fliegende Kamel", wie der Sams-Erfinder erklärt.
Katrin Heise: Nasreddin Hodscha, vergleichbar vielleicht mit Till Eulenspiegel, nur noch ein bisschen älter, aber genau so schelmisch, genau so klug. Mal ist er Gelehrter, Prediger oder mal Kaufmann, mal spricht er auch Recht. Er schummelt, er erfindet Geschichten, er ist dreist und gewitzt. In der Türkei und weit darüber hinaus kennt ihn jedes Kind.

Wie schön und wichtig wäre es doch, wenn die deutschen Kinder und die deutschtürkischen Kinder oder die türkischdeutschen Kinder Nasreddin Hodscha auch lesen und hören könnten, in deutscher Sprache, aber auch in der Sprache vielleicht eben ihrer Großeltern, also Türkisch. Diese Gedanken waren der Ausgangspunkt für "Das fliegende Kamel" von dem Kinderbuchautor Paul Maar, der hat nämlich Nasreddin Hodscha und seine Geschichten auch in Berlin, Dortmund und Stuttgart angesiedelt, in dem Buch eben "Das fliegende Kamel".

Und jetzt hat sich Paul Maar den Wunsch erfüllt und "Das fliegende Kamel" als deutschtürkische CD mit Musik herausgebracht oder herausbringen lassen. Ich freue mich über Ihren Besuch, herzlich Willkommen erst mal, Paul Maar!

Paul Maar: Dankeschön!

Heise: Und Sie haben Verstärkung mitgebracht, nämlich den Musiker Murat Coskun und den Musiker Ibrahim Sarialtin. Sie sind Percussionisten und Saz-Spieler. Auf der CD leihen Sie auch dem Nasreddin Hodscha beziehungsweise den türkischen Textstellen Ihre Stimme. Herzlich Willkommen, die Herren!

Herr Maar, nicht nur als Vater des "Sams", Sie haben, glaube ich, eine ziemliche Vorliebe für Schelme, das kann ich mir vorstellen. Aber was schätzen Sie besonders an diesem Nasreddin Hodscha? Das ist ja dann schon noch mal eine bestimmte (…).

Maar: Ja, ich schätze besonders seinen ganz speziellen Witz, der mich, als ich zum ersten Mal die Nasreddin-Hodscha-Geschichten in der Türkei erzählt bekam, sogar ein bisschen an unseren Karl Valentin erinnert fühlte. Er hat meistens so eine kleine Pointe, und er denkt so quer, und mit so einer manchmal absurden Logik und doch wieder nachvollziehbar, dass immer ein Witz entsteht. Und das hat mich sehr gereizt.

Heise: Ist das eigentlich ein Witz, der sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen wirkt? Denn ich habe das Gefühl, also Kinder lachen wahrscheinlich über die albernen Stellen und Erwachsene über die Hintergedanken.

Maar: So ist es, genau so haben wir das auch bei unseren Vorstellungen mitgekriegt. Die Kinder haben an anderen Stellen gelacht als die Erwachsenen.

Heise: Dass das hier – also hier in Deutschland – nicht nur die Kinder mit türkischen Eltern oder Großeltern interessieren könnte, sondern auch die deutschen Kinder, da haben Sie sicherlich Recht, als Sie diesen Gedanken entwickelt haben. Aber Sie wollten eben, dass Nasreddin Hodscha auch für die Kinder verständlich spricht, also in einem modernen deutsch, in einem modernen türkisch, und dass er zu ihnen in ihre Welt kommt, also in die Jetztzeit, quasi nach Dortmund, nach Stuttgart, nach Berlin. Aber wie geht das?

Maar: Wenn man einmal – ich habe ja auch die alten Geschichten zum Teil in meiner Sprache nacherzählt ...

Heise: Aus dem 14., 15. Jahrhundert?

Maar: Ja, und natürlich nicht das altertümliche türkisch verwendet beziehungsweise wörtlich übersetzt, sondern das so erzählt, dass jedes deutsche Kind das nachempfinden und verstehen kann. Und wenn man dann den Nasreddin Hodscha gewissermaßen drauf hat und seine Denke, seine Denkweise kapiert hat, dann fällt es einem gar nicht schwer, sich vorzustellen, dass er jetzt also mit dem Handy telefoniert oder ein Auto hat oder in der Badewanne liegt oder telefoniert eben.

Heise: Können Sie spontan zusammen eine Anekdote erzählen? Denn Sie sind ja alle zusammen auf der CD, die wir auch vorstellen, die Stimmen.

Maar: Also eine Geschichte geht ungefähr so: Zwei Streithähne kommen zu Nasreddin Hodscha und sagen, wir haben einen Streit, bitte entscheide du, wer von uns recht hat. Dann erzählt der eine seinen Fall, und dann sagt Nasreddin Hodscha:

Murat Coskun: Ja, du hast recht!

Maar: Dann erzählt aber der andere seinen Fall, und Nasreddin hört sich das auch aufmerksam an und sagt zu ihm:

Coskun: Du hast recht!

Maar: Und dann sagt seine Frau: Entschuldige, lieber Mann, wie kann denn der eine recht haben, und der andere auch? Dann sagt Nasreddin Hodscha:

Coskun: Ja, du hast recht!

Heise: Ich glaube, damit haben wir ganz gut umrissen, wie Nasreddin Hodscha und seine Geschichten, wie das so tickt. Paul Maar zu Gast im "Radiofeuilleton" zusammen mit Murat Coskun und Ibrahim Sarialtin. Sie stellen uns Nasreddin Hodscha vor - und speziell eine jetzt rausgekommene CD. Auf dieser CD ist nämlich auch die türkische Sprache, eben gelesen von den Herren Sarialtin und Coskun - und auch Musik noch dazugekommen. Sie, Herr Coskun, und Sie, Herr Sarialtin, haben zusammen mit den Musikern von Capella Antiqua Bambergensis die Musik gemacht. Was war denn da wichtig? Ich meine, es handelt sich immerhin ja um Mittelaltermusik eigentlich.

Coskun: Ja, also mit der Capella Antiqua arbeite ich vielleicht seit zwei, drei Jahren, also immer wieder punktuell für Projekte wurde ich eingeladen, und das hat sehr gut funktioniert, weil ich eben auch in der alten Musik tätig bin seit Jahren. Gerade in der alten Musik sind die Berührungspunkte mit der orientalischen Musik, also wenn man sie jetzt etwas breiter fasst, sehr stark.

Und ich finde die Idee sehr, sehr gut gelungen. Ich dachte am Anfang auch, na ja, irgendwie - ist eine gute Idee, mit alter Musik zu verbinden, aber ich hatte das am Anfang, natürlich den Nasreddin Hodscha sehr stark auf eine türkische Figur. Und nach und nach habe ich dann reflektiert natürlich, dass es ja keine reine türkische Figur ist. Ich finde gerade diese Nasreddin-Hodscha-Figur korrespondiert sehr gut mit der alten Musik.

Heise: Das heißt, Herr Sarialtin, ist da quasi internationale Musik entstanden? Kann man das so sagen?

Sarialtin: Also man kann das ruhig sagen, das Interkultur mehr rausgekommen ist, ich war auch verblüfft, wie diese Musik überhaupt geklungen hat, wie wir auch in Freiburg die Veranstaltung gehabt haben. Ich war selber noch mal fasziniert, wie wir auch als - ich als Hobbymusiker jetzt auch, einfach auch das gepasst hat, alles rundum mit Paul Maar, mit Murat Coskun, mit der Kapelle. Es hat einfach so ein schönes Gefühl gegeben, also man hat gesehen, man hat gehört, man hat gefühlt, es war einfach alles so wunderbar, und das hat man auch gespürt dann.

Heise: Ich glaube, das können wir jetzt ganz gut den Hörern auch vermitteln, Sie spielen uns ein kleines Stück vor, was hier auch auf der CD zu hören ist.

Musikeinspielung

Herr Sarialtin, Sie haben erzählt, dass Sie eben in Freiburg, das erste Mal war das, glaube ich, dieses Projekt auf die Bühne gebracht haben, dann ging es eben auf türkisch, auf deutsch und musikalisch zu. Wer sitzt denn - das ist ja dann schon häufiger wieder vorgekommen - wer sitzt denn da eigentlich im Publikum? Jung, Alt, Türkisch, Deutsch, wer ist im Publikum?

Sarialtin: Alles, alles. Es sitzen sowohl Junge als auch Alte, da sitzen - in Freiburg etwa -, sagen wir, zwei Drittel deutsche Zuhörer, aber auch ein Drittel türkische, auch einige iranische, persischsprachige, denn in Freiburg hatten wir drei Gastmusiker, die aus dem Iran kommen, also eine Musikerin, die dort allerdings gar nicht auftreten darf, und ein (…)-Trommler und ein Flötist, und das war wirklich großartig, wie die Musik zusammengepasst hat, weil es einfach so einen großen Kulturkreis gibt – ich nenne ihn mal einen vorderasiatischen Kulturkreis –, wo sich die persische Musik nahtlos einfügt in die türkische Musik.

Und zum Teil hat ja auch ein Musiker, der der Capella Antiqua nahe steht, der Simon Martin, hat ja drei Stücke komponiert, neu, aber mit Halbtönen also ganz im Sinne der türkischen Musik. Nur im modernen Teil, wenn also Nasreddin heute lebt, dann soll die Musik auch ein bisschen moderner klingen. Und das hat sie auch getan.

Heise: Als besonderer Beitrag zum interkulturellen Dialog ist "Das fliegende Kamel" jetzt vom Auswärtigen Amt gerade in die Ernst-Reuter-Initiative aufgenommen worden, Ernst Reuter ist ja vor den Nazis in die Türkei geflohen. Herr Coskun, bei mehr als drei Millionen Kindern, die in irgendeiner Weise deutschtürkische Wurzeln haben, hat es mich sehr erstaunt zu lesen, dass es nicht sehr viele solche zweisprachigen - also explizit übergreifenden - Kulturprojekte gibt.

Coskun: Also ich kenne keine ...

Sarialtin: Außer unsere!

Coskun: Ich habe mit meiner Frau auch natürlich - wir haben uns entschieden damals, die Kinder auf jeden Fall zweisprachig zu erziehen, sie ist Deutsche. Pflicht ist natürlich, ein deutschtürkisches Buch irgendwie zu finden für Kinder. Und wir haben viel gesucht ... es gibt – ich möchte jetzt keine Buchtitel nennen und Werbung machen –, aber es gibt natürlich schon einige, die einfach übersetzt werden, oder wo man sagt, das waren mal deutsche Kinderbücher, und dann macht man einfach eine Übersetzung. Ich meine, das sind schöne Projekte, aber ich hatte nicht das Gefühl, das sind inhaltlich auch solche Projekte, wo ich sage, okay, ich gebe meinen Kindern von der türkischen Kultur was mit, sondern das waren einfach Themen, die, sage ich mal, sich im deutschen Kulturkreis - also ich möchte das ja nicht jetzt Deutsch und Türkisch trennen, nur einfach ...

Heise: Nein, Sie möchten gerade das Übergreifende ... das hat Ihnen gefehlt?

Coskun: Das Übergreifende, richtig, und das hat mir gefehlt, und so ein Thema natürlich hat mich fasziniert, weil ich genau das dann auch gesucht hatte, auch sprachlich. Es ist sehr pragmatisch, hier an die Gesellschaft oder an die Bedürfnisse der Kinder oder der Eltern angepasst. Und ich finde, das ist ein tolles Projekt für die Eltern, weil die sich freuen werden, und für die Kinder, und auch für die Mitschüler, weil die Kinder natürlich plötzlich von Nasreddin Hodscha erzählen können.

Mein Sohn zum Beispiel spielt diese CD den eigenen Schulfreunden vor auf Deutsch und Türkisch. Die lachen sich tot über das Türkische, mein Sohn übersetzt ihnen dann - also da entsteht eine irrsinnige Kommunikation, die ich vorher nicht kannte so.

Heise: Und dass es Ihnen Spaß gemacht hat, das merkt man selbst in einem Studio noch an. Wie viel schöner ist es wahrscheinlich auf der Bühne, oder dann eben auf der CD. Paul Maar, Murat Coskun und Ibrahim Sarialtin. Vielen Dank für Ihren Besuch hier im Studio!

Maar: Wir bedanken uns auch!

Coskun: Dankeschön!

Heise: Das Hörbuch "Das fliegende Kamel" kommt jetzt Anfang November heraus. In einem ganz besonders ausführlichen Booklet kann man sich übrigens auf Deutsch und auf Türkisch natürlich ausführlich informieren.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Schriftsteller Paul Maar und die Musiker Ibrahim Sarialtin und Murat Coşkun im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Der Schriftsteller Paul Maar und die Musiker Ibrahim Sarialtin und Murat Coskun im Studio von Deutschlandradio Kultur.© Deutschlandradio - Bettina Straub