Nasarbajew für immer?
Am 3. April wählen die Kasachen ihren Präsidenten. Der amtierende Staatschef ist ohne ernsthafte Konkurrenz, denn Nursultan Nasarbajew regiert seit zwei Jahrzehnten mit harter Hand. Er hat die Opposition systematisch unterdrückt und geschwächt.
Frühmorgens um sechs in Schachtinsk, einer Bergarbeiterstadt inmitten der platten, noch immer von Schnee bedeckten Steppe im Landesinnern von Kasachstan. Die Hauptstadt Astana liegt 250 Kilometer entfernt, im Norden. Die Fußwege sind vereist, ein kalter Wind bläst durch die spärlich beleuchtete Hauptstraße. An einer Bushaltestelle stehen müde ein paar Männer und Frauen mit dicken Jacken und Wollmützen, rauchen und unterhalten sich leise.
Die Stadt mit den 35.000 Einwohnern, von denen fast jeder vierte in der Kohle arbeitet, ist durch die vier Schichten in den Gruben getaktet. Dies ist die Frühschicht, das weiß jeder in der Stadt. Sie warten auf den Bus, der sie zum Tentekskaja-Schacht bringen soll, einem von acht Kohleschächten, die es hier gibt.
Im Bus ist es eng, nicht alle finden einen Sitzplatz, in den dicken Jacken wird es schnell heiß. In der letzten Reihe spielen ein paar Männer Karten. Für die Kumpel ist es ein eintöniger Tag wie jeder andere. Hoffentlich passiert heute nichts, denken sie. Die Angst vor dem Schacht verscheuchen sie mit groben Witzen.
Die Region um Schachtinsk ist der "Ruhrpott von Kasachstan" – eines der rohstoffreichsten Gebiete des Landes. Um die riesigen Kohle-, Eisenerz- und Kupfer-Gruben sind schon vor Jahrzehnten mehrere Industriezentren gewachsen. Neben den Erdöl- und Erdgasfeldern 1.500 Kilometer weiter westlich, am Kaspischen Meer, sind es diese Rohstoffreserven hier im Zentrum Kasachstans, die dem Land einen so raschen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion beschert haben. Aber dieser Aufschwung bedeutete nicht automatisch mehr Sicherheit und Rechtsschutz für die Arbeiter, die in den Minen oft genug ihr Leben riskierten und riskieren. So wie Sergej Moskaljuk, der noch vor zwei Jahren mit den Männern im Bus zur Tentekskaja-Schacht fuhr.
Anstatt Kohle zu brechen, sitzt der 28-Jährige heute zu Hause in Schachan, einem Vorort von Schachtinsk. Er kümmert sich um die beiden Töchter, neun und fünf Jahre alt. Gemeinsam mit Tanja, der älteren, macht er Hausaufgaben. Wie er findet, sollte das eigentlich seine Frau tun, doch die geht an seiner Stelle arbeiten – denn Sergej ist seit zwei Jahren arbeitsunfähig. Auf dem Sofa in der kleinen Dreizimmer-Wohnung erinnert sich der kräftige junge Mann mit dem runden Gesicht an den Tag, der sein Leben auf den Kopf stellte:
"Am 28. Juni 2009 gab es bei uns im Schacht eine Gas-Explosion. Ein Kollege und ich haben das Bewusstsein verloren. Ich bin als erster wieder aufgewacht, hab den andern geschnappt und wir sind raus aus dem Schacht. Drei Leute aus meiner Schicht sind damals ums Leben gekommen, sie waren in einem anderen Stollen."
Sergej Moskaljuk hat das erlebt, wovor sich alle Kumpels in den Kohlegruben von Schachtinsk fürchten – eine Methangas-Explosion unter Tage. Fast jedes Jahr kommen in Kasachstan bei solchen Unfällen in den unterirdischen Stollen Dutzende Bergarbeiter ums Leben. Die Kohleschächte von Schachtinsk sind berüchtigt: Die Technik ist veraltet, Arbeitsschutz gibt es nur auf dem Papier, durch Sparmaßnahmen arbeitet ein Kumpel heute soviel wie früher zwei oder drei. Dies sind die gefährlichsten Arbeitsplätze in ganz Kasachstan. Betrieben werden die Kohle-Gruben vom indischen Konzern Arcelor Mittal, einem der größten Stahlproduzenten weltweit. Er besitzt in Kasachstan mehrere Stahlwerke und füttert mit der Kohle aus Schachtinsk seine Hochöfen.
Kurz nach der Unabhängigkeit Kasachstans im Jahr 1991 hatte Arcelor Mittal die Eisenerz- und Kohlegruben von Schachtinsk aufgekauft. Seitdem wurden mehrere Millionen Euro investiert. Für das rohstoffreiche Kasachstan ist das Unternehmen einer der wichtigsten ausländischen Investoren überhaupt. Doch was für Sergej Moskaljuk eigentlich ein Segen sein könnte, ist in Wirklichkeit der Fluch der Bergleute. Denn seinen Profit mache das Unternehmen mit dem stillschweigenden Einverständnis der kasachischen Regierung auf Kosten der Kohle-Kumpel, kritisiert Natalja Tomilowa, Gewerkschaftsvertreterin und die gute Seele der Kumpel von Schachtinsk:
"Das Hauptproblem der Kumpels ist die Sicherheit. Wenn man auf höchster Ebene mit Arcelor Mittal redet, dann zeigt sich, nach außen präsentieren sie sich ganz anders als innerhalb des Unternehmens. In der Öffentlichkeit sprechen sie von den Millionen-Investitionen für den Arbeitsschutz und wie wichtig die Sicherheit ist, tatsächlich aber ist die Technik unter Tage mehr als 20 Jahre alt."
Die mollige Mittfünfzigerin ist immer geschminkt und geht auch bei eisglatten Straßen auf eleganten Hackenschuhen. Nachdem sie selbst Mann und Schwiegersohn bei Explosionen im Schacht verloren hatte, gründete sie die "Schachtjorskaja Semja", die "Bergarbeiter-Familie", eine alternative Gewerkschaft, die sich für die Rechte der Arbeiter in den Kohlegruben einsetzt. Sie hat ein ganzes Regal voller Ordner mit den Namen derer, die sie juristisch vertritt. Für manche von ihnen, wie für Sergej Moskaljuk, kämpft sie schon seit Jahren. Das Unternehmen wollte Sergejs Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen, denn er war bei der Explosion alleine aus dem Schacht geflohen, hatte nicht auf das Rettungsteam gewartet – was er laut seinem Arbeitgeber hätte tun sollen. Zwar bekommt Sergej Krankengeld, rund 400 Euro pro Monat, doch um eine Entschädigung kämpft er bis heute. Dass die ihm zusteht, hat Natalja Tomilowa herausgefunden. Er hat durch die Explosion in der Mine eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Die Folgen: Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Fieber und Kopfschmerzen. Sergej Moskaljuk wird nie wieder im Schacht arbeiten können.
Natalja Tomilowa: "Seine Gesundheit verschlechtert sich laufend, er ist Invalide. Wir haben für ihn einen Schadenersatz erkämpft, zwei Millionen Tenge, 15.000 Dollar soll er bekommen. Aber Arcelor Mittal ist in Berufung gegangen, denn sie halten das für zuviel. Bei uns in Kasachstan zahlt man für den Abschuss eines Tieres von der Roten Liste eine höhere Strafe als für einen Menschen, der durch seine Arbeit zum Invaliden wurde."
Natalja Tomilowa versteht sich nicht nur als Rechtsbeistand für die Kohle-Kumpel. Sie will bei ihren Schützlingen auch ein politisches Bewusstsein schaffen, will, dass sie selbst die Initiative ergreifen und ihre Rechte einfordern, auch mit politischen Mitteln. Einen Streik beispielsweise würde sie nie initiieren, sagt sie, dass sollten die Kumpel schön selber tun. Doch dass es dahin noch ein weiter Weg ist, wird ihr klar, wenn sie mit "ihren Jungs" über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen diskutiert:
"Je näher die Wahlen rücken, desto mehr denke ich darüber nach, was ich mache. Im Prinzip ist Nursultan Nasarbajew nicht schlecht, nur dass sie das Rentenalter erhöhen wollen, ist Mist, ansonsten bin ich mit der Politik eigentlich zufrieden." – "Nasarbajew ist kein schlechter Kerl, er hat viel für das Land getan, oder etwa nicht?!"
Natalja Tomilowa: "Sehen Sie, die Politik in diesem Land sorgt seit 20 Jahren dafür, dass die Leute nicht begreifen, wie ihre persönliche Situation mit der Politik zusammenhängt. Sie denken, Nasarbajew weiß nur nicht, was hier in Schachtinsk falsch läuft. Sie verstehen nicht, dass die Politik der Machthaber genau darauf aufbaut, dass wir uns täuschen lassen. Die Preise sind zu hoch, wir leben schlecht – aber wir haben einen tollen Präsidenten!"
Im Gegensatz zu seinen zentralasiatischen Nachbarn gilt Kasachstan längst nicht mehr als Entwicklungsland. Mit seinen Wachstumsraten rangierte es in den letzten Jahren immer auf den vorderen Plätzen innerhalb der GUS-Staaten. Der wirtschaftliche Erfolg Kasachstans gilt vor allem als Verdienst des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Er sorgte schon in den 90er-Jahren für straffe Reformen und lockte internationale Investoren ins Land. Politisch jedoch fährt Nasarbajew eine weniger liberale Linie. Korruption, Vetternwirtschaft, eingeschränkte Meinungsfreiheit und ermordete Oppositionelle prägen seine Regierungszeit. Mehrfach ließ Nasarbajew die Verfassung ändern, um Präsident zu bleiben. Seit 20 Jahren ist der 70-Jährige mittlerweile im Amt. Und wenn es nach ihm geht, soll sich das auch so bald nicht ändern. Auf einem Parteitag der Regierungspartei Nur Otan im Februar dieses Jahres kündigte Nasarbajew an, erneut als Präsident zu kandidieren:
"Ich habe es immer gesagt und wiederhole noch einmal – wenn es das Volk möchte, dann werde ich seinen Wunsch erfüllen und für unser Land arbeiten, soweit es meine Kraft erlaubt. Deshalb bin ich bereit, bei den kommenden Wahlen für das Amt des Präsidenten zu kandieren."
Kurz vor dem Parteitag hatte Nasarbajew überraschend Neuwahlen im April angekündigt, obwohl ganz regulär im Dezember 2012 Präsidentschaftswahlen angestanden hätten. Doch warum die vorzeitigen Wahlen? Und warum so überstürzt? Das hat die kasachische Regierung nie begründet. Regimekritiker sind sich einig, dass Nasarbajews Wiederwahl im nächsten Jahr längst nicht so sicher wäre wie jetzt in diesem Moment. Denn die Unzufriedenheit und damit auch die Protestbereitschaft in Kasachstan wächst. Obwohl offiziell die Arbeitslosigkeit sinkt und die Löhne steigen, haben viele Normal- und Geringverdiener das Gefühl, ihre Situation verschlechtere sich. Bei nur 400 Euro liegt der Durchschnittslohn in Kasachstan. Und allein in den ersten Monaten dieses Jahres sind Wohnnebenkosten und Preise für Lebensmittel um bis zu 20 Prozent gestiegen, das Land kämpft mit einer Inflation von sieben Prozent.
In Schachan, dem Vorort der Bergarbeiter-Stadt Schachtinsk und der Heimat des heute invaliden Kumpels Sergej Moskaljuk, wird deutlich, dass es doch nicht überall so rasant aufwärts geht, wie es die kasachische Regierung immer wieder verspricht. Im Gegenteil: Schachan ist eine sterbende Stadt. Vor 20 Jahren lebten hier 30.000 Menschen, heute sind es noch 8.000. Und Walentina Machotina von der hiesigen Regionalgruppe der Oppositionspartei Alga! wird wütend angesichts der verfallenden Plattenbauten, zwischen denen sie sich mit ein paar Parteimitgliedern getroffen hat:
""Das war mal eine normale Stadt, und fast alle Leute haben in den Schächten gearbeitet, aber die wurden geschlossen. Diese fünfstöckigen Häuser hier wurden durch Fernwärme geheizt und es gab Gasanschluss. Aber dann wurde das einfach abgeschaltet, und die Leute mussten sich selbst Öfen in die Wohnungen bauen und heizen jetzt mit Kohle."
Machotinas Partei Alga! existiert offiziell gar nicht, obwohl sie in ganz Kasachstan rund 60.000 Mitglieder hat. Seit mehreren Jahren schon wird die Partei von der Zentralen Wahlkomission nicht zugelassen, alle entsprechenden Anträge wurden ohne Begründung abgelehnt. Außer Alga! gibt es in Kasachstan zwei weitere Oppositionsparteien. Sie gehören zu den zwölf in Kasachstan offiziell registrierten und zugelassenen Parteien. Doch lediglich eine – die Präsidentenpartei Nur Otan – ist im Parlament vertreten. Dass Alga! nicht registriert ist, hält Machotina und ihre Parteigenossen nicht davon ab, an der Basis zu arbeiten. Sie wollen Politikbewusstsein schaffen und unterstützen deshalb landesweit Menschen dabei, ganz alltägliche Probleme selbst zu lösen. Denn oft seien die Leute der Willkür der Behörden ausgeliefert und meinten, sie könnten sowieso nichts ändern, so Machotina:
"Wir wollen natürlich, dass unsere Partei wahrgenommen wird, aber auch, dass die Leute die Gesetze des Landes verstehen lernen und sich nicht allein von korrupten Behörden erklären lassen müssen, was Recht und Ordnung ist."
Das fehlende politische Bewusstsein in der kasachischen Gesellschaft treibt auch Wladimir Kozlow um – rund 1.000 Kilometer südlich von Schachtinsk, in Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Der 50-Jährige ist Vorsitzender der Oppositionspartei Alga! und einer der wenigen landesweit bekannten Oppositionspolitiker in Kasachstan. Im vergangenen Jahr hatte er verkündet, als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen, allerdings erst im nächsten Jahr. Bis dahin wollte er, der Russe, noch Kasachisch lernen – ein Pflichtkriterium, um als Kandidat zugelassen zu werden. Weil die Zeit nun nicht reicht, tritt er bei diesen Wahlen nicht an. Dennoch ist er im jetzigen Wahlkampf ständig auf Achse.
An einem Sonntag im März haben Kozlow und seine Partei in Almaty eine Demonstration organisiert. Rund 500 Leute sind dem Aufruf gefolgt und zum Kino "Saryarka" in einem der Außenbezirke gekommen. Einige halten Spruchbänder empor, auf denen sie den Boykott der Wahlen fordern. Milizionäre mit Waffen im Anschlag beobachten das Treffen, mehrere Fernseh-Kameras, aber auch Beamte des Innenministeriums filmen das Geschehen. Wladimir Kozlow – auffällig mit seinem glatt rasierten Schädel und einer Lesebrille auf der Nasenspitze – steht inmitten einer Gruppe Aktivisten auf einer Bühne:
"Wir müssen Nein sagen zu Wahlen ohne eine wirkliche Wahl. Die vorzeitigen Wahlen sind ein politisches Manöver des Präsidenten Nasarbajew, das auf Stärkste die Verfassung und die Rechte der Kasachstaner verletzt. Das Manöver dient einzig dazu, seine begrenzte Macht zu sichern. Darin wird Nasarbajew unterstützt von seiner Umgebung, die aus korrupten Politikern besteht, die ein Interesse daran haben, dass die Bürger dieses Landes arm, ohne Stimme und passiv bleiben."
Der Beifall der Umstehenden ist verhalten, doch wer hierher gekommen ist, hat schon einen Schritt weiter getan als die große schweigende Mehrheit in Kasachstan. Als das Meeting nach anderthalb Stunden beendet ist, laufen die Teilnehmer ohne viel Aufsehen in kleinen Gruppen auseinander. Neben Nasarbajew treten bei diesen Präsidentschaftswahlen drei weitere Kandidaten an. Doch schon jetzt gilt als sicher, dass Nasarbajew gewinnen wird. Denn die Gegenkandidaten sind nichts als Marionetten. Von den Oppositionsparteien – registriert oder unregistriert – ist nicht ein Kandidat vertreten. Doch selbst wenn einer wie Kozlow angetreten wäre, ist für die Bevölkerung längst nicht mehr nachzuvollziehen, welches Programm und welche Ziele die jeweiligen Oppositionsparteien verfolgen. Vereinigungen, Neugründungen und Namenswechsel sind bei der politisch organisierten Opposition in Kasachstan an der Tagesordnung. Nicht zuletzt deshalb, weil das Regime jegliche Kontinuität untergräbt und die bekannten Repräsentanten mit Strafverfahren überzieht, des Landes verweist oder inhaftiert. Auch die wenigen regimekritischen Zeitungen in Kasachstan sind solchen Repressionen ausgesetzt.
Wladimir Kozlow: "Es herrscht eine Informations-Blockade seit Mitte der 90er-Jahre, damals wurden alle privaten Radio- und TV-Sender geschlossen. Die unbequeme Presse wird aus dem Weg geräumt. Die Leute kennen nur die Propaganda der Regierung."
Rund 3.000 offiziell registrierte Medien gibt es in Kasachstan. Lediglich fünf Zeitungen gelten als oppositionell. Ainur Kurmanow zum Beispiel hat selbst ein paar Jahre als Journalist gearbeitet. Doch jetzt engagiert sich der 35-jährige Historiker – einer der aktivsten Oppositionellen des Landes – bei mehreren NGOs und unterstützt die Gründung einer landesweiten unabhängigen Gewerkschaft in Kasachstan. Das Büro seiner Organisation "Talmas" liegt in Kirowka, einem Dorf am äußersten Rand von Almaty, das von der wachsenden 2-Millionen-Stadt eingemeindet wurde. Hier verfolgt Kurmanow an diesem Tag eine Demonstration in der kasachischen Hauptstadt Astana, im Internet gibt es bereits Videos.
Ainur Kurmanow: "Heute gab es eine Protestaktion Lasst dem Volk sein Zuhause. Das waren Leute, die Kredite mit Zinsen von bis zu 30 Prozent nicht mehr bezahlen können, so dass sie bald auf der Straße stehen. Sie wollten mit Nasarbajew persönlich sprechen, weil der Präsident ja verspricht, die sozialen Bedingungen hier zu verbessern."
Kurmanow, mittelgroß und gedrungen, mit schwarzen Haaren und einer Brille, läuft hektisch zwischen einem Computer mit grünstichigem Bildschirm und der Teeküche hin und her. Gleich drei Mobiltelefone hält er bereit, denn laufend bekommt er Anrufe oder SMS von Bekannten aus Astana. Rund 100 Demonstranten seien dort am Präsidentenpalast festgenommen und in Bussen weggeschafft worden, erfährt er per Telefon. Obwohl Ainur Angst um seine Freunde hat, sind die Proteste in Astana, an denen mehrere hundert Menschen aus allen Landesteilen teilgenommen haben, für ihn ein Erfolg:
"Es gibt eine große soziale Unzufriedenheit und gerade wirtschaftliche Probleme politisieren die Leute. Langsam erkennen sie, dass die Regierung zusammen mit den lokalen Machthabern keinerlei Interesse daran hat, das Lebensniveau zu verbessern. Das politische Bewusstsein zu unterdrücken, funktioniert jetzt nicht mehr, denn die Protestbereitschaft steigt landesweit. In den großen Städten noch mehr als auf den Dörfern."
An ein überraschendes Wahlergebnis am 3. April glaubt Kurmanow genauso wenig wie an eine große Protestwelle nach den Wahlen. Dennoch hofft er, dass es bald einen entscheidenden politischen Umschwung in Kasachstan geben könnte.
Die Stadt mit den 35.000 Einwohnern, von denen fast jeder vierte in der Kohle arbeitet, ist durch die vier Schichten in den Gruben getaktet. Dies ist die Frühschicht, das weiß jeder in der Stadt. Sie warten auf den Bus, der sie zum Tentekskaja-Schacht bringen soll, einem von acht Kohleschächten, die es hier gibt.
Im Bus ist es eng, nicht alle finden einen Sitzplatz, in den dicken Jacken wird es schnell heiß. In der letzten Reihe spielen ein paar Männer Karten. Für die Kumpel ist es ein eintöniger Tag wie jeder andere. Hoffentlich passiert heute nichts, denken sie. Die Angst vor dem Schacht verscheuchen sie mit groben Witzen.
Die Region um Schachtinsk ist der "Ruhrpott von Kasachstan" – eines der rohstoffreichsten Gebiete des Landes. Um die riesigen Kohle-, Eisenerz- und Kupfer-Gruben sind schon vor Jahrzehnten mehrere Industriezentren gewachsen. Neben den Erdöl- und Erdgasfeldern 1.500 Kilometer weiter westlich, am Kaspischen Meer, sind es diese Rohstoffreserven hier im Zentrum Kasachstans, die dem Land einen so raschen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion beschert haben. Aber dieser Aufschwung bedeutete nicht automatisch mehr Sicherheit und Rechtsschutz für die Arbeiter, die in den Minen oft genug ihr Leben riskierten und riskieren. So wie Sergej Moskaljuk, der noch vor zwei Jahren mit den Männern im Bus zur Tentekskaja-Schacht fuhr.
Anstatt Kohle zu brechen, sitzt der 28-Jährige heute zu Hause in Schachan, einem Vorort von Schachtinsk. Er kümmert sich um die beiden Töchter, neun und fünf Jahre alt. Gemeinsam mit Tanja, der älteren, macht er Hausaufgaben. Wie er findet, sollte das eigentlich seine Frau tun, doch die geht an seiner Stelle arbeiten – denn Sergej ist seit zwei Jahren arbeitsunfähig. Auf dem Sofa in der kleinen Dreizimmer-Wohnung erinnert sich der kräftige junge Mann mit dem runden Gesicht an den Tag, der sein Leben auf den Kopf stellte:
"Am 28. Juni 2009 gab es bei uns im Schacht eine Gas-Explosion. Ein Kollege und ich haben das Bewusstsein verloren. Ich bin als erster wieder aufgewacht, hab den andern geschnappt und wir sind raus aus dem Schacht. Drei Leute aus meiner Schicht sind damals ums Leben gekommen, sie waren in einem anderen Stollen."
Sergej Moskaljuk hat das erlebt, wovor sich alle Kumpels in den Kohlegruben von Schachtinsk fürchten – eine Methangas-Explosion unter Tage. Fast jedes Jahr kommen in Kasachstan bei solchen Unfällen in den unterirdischen Stollen Dutzende Bergarbeiter ums Leben. Die Kohleschächte von Schachtinsk sind berüchtigt: Die Technik ist veraltet, Arbeitsschutz gibt es nur auf dem Papier, durch Sparmaßnahmen arbeitet ein Kumpel heute soviel wie früher zwei oder drei. Dies sind die gefährlichsten Arbeitsplätze in ganz Kasachstan. Betrieben werden die Kohle-Gruben vom indischen Konzern Arcelor Mittal, einem der größten Stahlproduzenten weltweit. Er besitzt in Kasachstan mehrere Stahlwerke und füttert mit der Kohle aus Schachtinsk seine Hochöfen.
Kurz nach der Unabhängigkeit Kasachstans im Jahr 1991 hatte Arcelor Mittal die Eisenerz- und Kohlegruben von Schachtinsk aufgekauft. Seitdem wurden mehrere Millionen Euro investiert. Für das rohstoffreiche Kasachstan ist das Unternehmen einer der wichtigsten ausländischen Investoren überhaupt. Doch was für Sergej Moskaljuk eigentlich ein Segen sein könnte, ist in Wirklichkeit der Fluch der Bergleute. Denn seinen Profit mache das Unternehmen mit dem stillschweigenden Einverständnis der kasachischen Regierung auf Kosten der Kohle-Kumpel, kritisiert Natalja Tomilowa, Gewerkschaftsvertreterin und die gute Seele der Kumpel von Schachtinsk:
"Das Hauptproblem der Kumpels ist die Sicherheit. Wenn man auf höchster Ebene mit Arcelor Mittal redet, dann zeigt sich, nach außen präsentieren sie sich ganz anders als innerhalb des Unternehmens. In der Öffentlichkeit sprechen sie von den Millionen-Investitionen für den Arbeitsschutz und wie wichtig die Sicherheit ist, tatsächlich aber ist die Technik unter Tage mehr als 20 Jahre alt."
Die mollige Mittfünfzigerin ist immer geschminkt und geht auch bei eisglatten Straßen auf eleganten Hackenschuhen. Nachdem sie selbst Mann und Schwiegersohn bei Explosionen im Schacht verloren hatte, gründete sie die "Schachtjorskaja Semja", die "Bergarbeiter-Familie", eine alternative Gewerkschaft, die sich für die Rechte der Arbeiter in den Kohlegruben einsetzt. Sie hat ein ganzes Regal voller Ordner mit den Namen derer, die sie juristisch vertritt. Für manche von ihnen, wie für Sergej Moskaljuk, kämpft sie schon seit Jahren. Das Unternehmen wollte Sergejs Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen, denn er war bei der Explosion alleine aus dem Schacht geflohen, hatte nicht auf das Rettungsteam gewartet – was er laut seinem Arbeitgeber hätte tun sollen. Zwar bekommt Sergej Krankengeld, rund 400 Euro pro Monat, doch um eine Entschädigung kämpft er bis heute. Dass die ihm zusteht, hat Natalja Tomilowa herausgefunden. Er hat durch die Explosion in der Mine eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Die Folgen: Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Fieber und Kopfschmerzen. Sergej Moskaljuk wird nie wieder im Schacht arbeiten können.
Natalja Tomilowa: "Seine Gesundheit verschlechtert sich laufend, er ist Invalide. Wir haben für ihn einen Schadenersatz erkämpft, zwei Millionen Tenge, 15.000 Dollar soll er bekommen. Aber Arcelor Mittal ist in Berufung gegangen, denn sie halten das für zuviel. Bei uns in Kasachstan zahlt man für den Abschuss eines Tieres von der Roten Liste eine höhere Strafe als für einen Menschen, der durch seine Arbeit zum Invaliden wurde."
Natalja Tomilowa versteht sich nicht nur als Rechtsbeistand für die Kohle-Kumpel. Sie will bei ihren Schützlingen auch ein politisches Bewusstsein schaffen, will, dass sie selbst die Initiative ergreifen und ihre Rechte einfordern, auch mit politischen Mitteln. Einen Streik beispielsweise würde sie nie initiieren, sagt sie, dass sollten die Kumpel schön selber tun. Doch dass es dahin noch ein weiter Weg ist, wird ihr klar, wenn sie mit "ihren Jungs" über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen diskutiert:
"Je näher die Wahlen rücken, desto mehr denke ich darüber nach, was ich mache. Im Prinzip ist Nursultan Nasarbajew nicht schlecht, nur dass sie das Rentenalter erhöhen wollen, ist Mist, ansonsten bin ich mit der Politik eigentlich zufrieden." – "Nasarbajew ist kein schlechter Kerl, er hat viel für das Land getan, oder etwa nicht?!"
Natalja Tomilowa: "Sehen Sie, die Politik in diesem Land sorgt seit 20 Jahren dafür, dass die Leute nicht begreifen, wie ihre persönliche Situation mit der Politik zusammenhängt. Sie denken, Nasarbajew weiß nur nicht, was hier in Schachtinsk falsch läuft. Sie verstehen nicht, dass die Politik der Machthaber genau darauf aufbaut, dass wir uns täuschen lassen. Die Preise sind zu hoch, wir leben schlecht – aber wir haben einen tollen Präsidenten!"
Im Gegensatz zu seinen zentralasiatischen Nachbarn gilt Kasachstan längst nicht mehr als Entwicklungsland. Mit seinen Wachstumsraten rangierte es in den letzten Jahren immer auf den vorderen Plätzen innerhalb der GUS-Staaten. Der wirtschaftliche Erfolg Kasachstans gilt vor allem als Verdienst des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Er sorgte schon in den 90er-Jahren für straffe Reformen und lockte internationale Investoren ins Land. Politisch jedoch fährt Nasarbajew eine weniger liberale Linie. Korruption, Vetternwirtschaft, eingeschränkte Meinungsfreiheit und ermordete Oppositionelle prägen seine Regierungszeit. Mehrfach ließ Nasarbajew die Verfassung ändern, um Präsident zu bleiben. Seit 20 Jahren ist der 70-Jährige mittlerweile im Amt. Und wenn es nach ihm geht, soll sich das auch so bald nicht ändern. Auf einem Parteitag der Regierungspartei Nur Otan im Februar dieses Jahres kündigte Nasarbajew an, erneut als Präsident zu kandidieren:
"Ich habe es immer gesagt und wiederhole noch einmal – wenn es das Volk möchte, dann werde ich seinen Wunsch erfüllen und für unser Land arbeiten, soweit es meine Kraft erlaubt. Deshalb bin ich bereit, bei den kommenden Wahlen für das Amt des Präsidenten zu kandieren."
Kurz vor dem Parteitag hatte Nasarbajew überraschend Neuwahlen im April angekündigt, obwohl ganz regulär im Dezember 2012 Präsidentschaftswahlen angestanden hätten. Doch warum die vorzeitigen Wahlen? Und warum so überstürzt? Das hat die kasachische Regierung nie begründet. Regimekritiker sind sich einig, dass Nasarbajews Wiederwahl im nächsten Jahr längst nicht so sicher wäre wie jetzt in diesem Moment. Denn die Unzufriedenheit und damit auch die Protestbereitschaft in Kasachstan wächst. Obwohl offiziell die Arbeitslosigkeit sinkt und die Löhne steigen, haben viele Normal- und Geringverdiener das Gefühl, ihre Situation verschlechtere sich. Bei nur 400 Euro liegt der Durchschnittslohn in Kasachstan. Und allein in den ersten Monaten dieses Jahres sind Wohnnebenkosten und Preise für Lebensmittel um bis zu 20 Prozent gestiegen, das Land kämpft mit einer Inflation von sieben Prozent.
In Schachan, dem Vorort der Bergarbeiter-Stadt Schachtinsk und der Heimat des heute invaliden Kumpels Sergej Moskaljuk, wird deutlich, dass es doch nicht überall so rasant aufwärts geht, wie es die kasachische Regierung immer wieder verspricht. Im Gegenteil: Schachan ist eine sterbende Stadt. Vor 20 Jahren lebten hier 30.000 Menschen, heute sind es noch 8.000. Und Walentina Machotina von der hiesigen Regionalgruppe der Oppositionspartei Alga! wird wütend angesichts der verfallenden Plattenbauten, zwischen denen sie sich mit ein paar Parteimitgliedern getroffen hat:
""Das war mal eine normale Stadt, und fast alle Leute haben in den Schächten gearbeitet, aber die wurden geschlossen. Diese fünfstöckigen Häuser hier wurden durch Fernwärme geheizt und es gab Gasanschluss. Aber dann wurde das einfach abgeschaltet, und die Leute mussten sich selbst Öfen in die Wohnungen bauen und heizen jetzt mit Kohle."
Machotinas Partei Alga! existiert offiziell gar nicht, obwohl sie in ganz Kasachstan rund 60.000 Mitglieder hat. Seit mehreren Jahren schon wird die Partei von der Zentralen Wahlkomission nicht zugelassen, alle entsprechenden Anträge wurden ohne Begründung abgelehnt. Außer Alga! gibt es in Kasachstan zwei weitere Oppositionsparteien. Sie gehören zu den zwölf in Kasachstan offiziell registrierten und zugelassenen Parteien. Doch lediglich eine – die Präsidentenpartei Nur Otan – ist im Parlament vertreten. Dass Alga! nicht registriert ist, hält Machotina und ihre Parteigenossen nicht davon ab, an der Basis zu arbeiten. Sie wollen Politikbewusstsein schaffen und unterstützen deshalb landesweit Menschen dabei, ganz alltägliche Probleme selbst zu lösen. Denn oft seien die Leute der Willkür der Behörden ausgeliefert und meinten, sie könnten sowieso nichts ändern, so Machotina:
"Wir wollen natürlich, dass unsere Partei wahrgenommen wird, aber auch, dass die Leute die Gesetze des Landes verstehen lernen und sich nicht allein von korrupten Behörden erklären lassen müssen, was Recht und Ordnung ist."
Das fehlende politische Bewusstsein in der kasachischen Gesellschaft treibt auch Wladimir Kozlow um – rund 1.000 Kilometer südlich von Schachtinsk, in Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Der 50-Jährige ist Vorsitzender der Oppositionspartei Alga! und einer der wenigen landesweit bekannten Oppositionspolitiker in Kasachstan. Im vergangenen Jahr hatte er verkündet, als Präsidentschaftskandidat antreten zu wollen, allerdings erst im nächsten Jahr. Bis dahin wollte er, der Russe, noch Kasachisch lernen – ein Pflichtkriterium, um als Kandidat zugelassen zu werden. Weil die Zeit nun nicht reicht, tritt er bei diesen Wahlen nicht an. Dennoch ist er im jetzigen Wahlkampf ständig auf Achse.
An einem Sonntag im März haben Kozlow und seine Partei in Almaty eine Demonstration organisiert. Rund 500 Leute sind dem Aufruf gefolgt und zum Kino "Saryarka" in einem der Außenbezirke gekommen. Einige halten Spruchbänder empor, auf denen sie den Boykott der Wahlen fordern. Milizionäre mit Waffen im Anschlag beobachten das Treffen, mehrere Fernseh-Kameras, aber auch Beamte des Innenministeriums filmen das Geschehen. Wladimir Kozlow – auffällig mit seinem glatt rasierten Schädel und einer Lesebrille auf der Nasenspitze – steht inmitten einer Gruppe Aktivisten auf einer Bühne:
"Wir müssen Nein sagen zu Wahlen ohne eine wirkliche Wahl. Die vorzeitigen Wahlen sind ein politisches Manöver des Präsidenten Nasarbajew, das auf Stärkste die Verfassung und die Rechte der Kasachstaner verletzt. Das Manöver dient einzig dazu, seine begrenzte Macht zu sichern. Darin wird Nasarbajew unterstützt von seiner Umgebung, die aus korrupten Politikern besteht, die ein Interesse daran haben, dass die Bürger dieses Landes arm, ohne Stimme und passiv bleiben."
Der Beifall der Umstehenden ist verhalten, doch wer hierher gekommen ist, hat schon einen Schritt weiter getan als die große schweigende Mehrheit in Kasachstan. Als das Meeting nach anderthalb Stunden beendet ist, laufen die Teilnehmer ohne viel Aufsehen in kleinen Gruppen auseinander. Neben Nasarbajew treten bei diesen Präsidentschaftswahlen drei weitere Kandidaten an. Doch schon jetzt gilt als sicher, dass Nasarbajew gewinnen wird. Denn die Gegenkandidaten sind nichts als Marionetten. Von den Oppositionsparteien – registriert oder unregistriert – ist nicht ein Kandidat vertreten. Doch selbst wenn einer wie Kozlow angetreten wäre, ist für die Bevölkerung längst nicht mehr nachzuvollziehen, welches Programm und welche Ziele die jeweiligen Oppositionsparteien verfolgen. Vereinigungen, Neugründungen und Namenswechsel sind bei der politisch organisierten Opposition in Kasachstan an der Tagesordnung. Nicht zuletzt deshalb, weil das Regime jegliche Kontinuität untergräbt und die bekannten Repräsentanten mit Strafverfahren überzieht, des Landes verweist oder inhaftiert. Auch die wenigen regimekritischen Zeitungen in Kasachstan sind solchen Repressionen ausgesetzt.
Wladimir Kozlow: "Es herrscht eine Informations-Blockade seit Mitte der 90er-Jahre, damals wurden alle privaten Radio- und TV-Sender geschlossen. Die unbequeme Presse wird aus dem Weg geräumt. Die Leute kennen nur die Propaganda der Regierung."
Rund 3.000 offiziell registrierte Medien gibt es in Kasachstan. Lediglich fünf Zeitungen gelten als oppositionell. Ainur Kurmanow zum Beispiel hat selbst ein paar Jahre als Journalist gearbeitet. Doch jetzt engagiert sich der 35-jährige Historiker – einer der aktivsten Oppositionellen des Landes – bei mehreren NGOs und unterstützt die Gründung einer landesweiten unabhängigen Gewerkschaft in Kasachstan. Das Büro seiner Organisation "Talmas" liegt in Kirowka, einem Dorf am äußersten Rand von Almaty, das von der wachsenden 2-Millionen-Stadt eingemeindet wurde. Hier verfolgt Kurmanow an diesem Tag eine Demonstration in der kasachischen Hauptstadt Astana, im Internet gibt es bereits Videos.
Ainur Kurmanow: "Heute gab es eine Protestaktion Lasst dem Volk sein Zuhause. Das waren Leute, die Kredite mit Zinsen von bis zu 30 Prozent nicht mehr bezahlen können, so dass sie bald auf der Straße stehen. Sie wollten mit Nasarbajew persönlich sprechen, weil der Präsident ja verspricht, die sozialen Bedingungen hier zu verbessern."
Kurmanow, mittelgroß und gedrungen, mit schwarzen Haaren und einer Brille, läuft hektisch zwischen einem Computer mit grünstichigem Bildschirm und der Teeküche hin und her. Gleich drei Mobiltelefone hält er bereit, denn laufend bekommt er Anrufe oder SMS von Bekannten aus Astana. Rund 100 Demonstranten seien dort am Präsidentenpalast festgenommen und in Bussen weggeschafft worden, erfährt er per Telefon. Obwohl Ainur Angst um seine Freunde hat, sind die Proteste in Astana, an denen mehrere hundert Menschen aus allen Landesteilen teilgenommen haben, für ihn ein Erfolg:
"Es gibt eine große soziale Unzufriedenheit und gerade wirtschaftliche Probleme politisieren die Leute. Langsam erkennen sie, dass die Regierung zusammen mit den lokalen Machthabern keinerlei Interesse daran hat, das Lebensniveau zu verbessern. Das politische Bewusstsein zu unterdrücken, funktioniert jetzt nicht mehr, denn die Protestbereitschaft steigt landesweit. In den großen Städten noch mehr als auf den Dörfern."
An ein überraschendes Wahlergebnis am 3. April glaubt Kurmanow genauso wenig wie an eine große Protestwelle nach den Wahlen. Dennoch hofft er, dass es bald einen entscheidenden politischen Umschwung in Kasachstan geben könnte.