Najem Wali: "Bagdad - Erinnerungen an eine Weltstadt"

Zwischen Nostalgie und Utopie

aufgenommen am 17.02.2009.
Die Stadt Bagdad durch eine Lupe auf einem Atlas hervorgehoben © picture alliance / dpa / Lars Halbauer
Von Ingo Arend · 21.08.2015
Der deutsch-irakische Schrifsteller Najem Wali schreibt in "Bagdad - Erinnerungen an eine Weltstadt" über sein Aufwachsen in der Hauptstadt Iraks - bis zur Flucht nach Deutschland 1980. Und er erinnert an die vergessene Moderne des Landes, das heute mit Fanatismus und Zerstörung assoziiert wird.
Rauchwolken schießen in den Himmel. Flammen lodern in der Innenstadt. Schwer zu sagen, welches Ereignis schrecklicher war. Das Bombardement Bagdads durch die von den USA geführte "Koalition der Willigen" im März 2003. Oder die Eroberung Bagdads durch die Mongolen im Jahre 1253.
Immerhin ließ George W. Bush keine Pyramide aus Totenschädeln errichten wie die Mongolen unter König Hülägü, nachdem sie die von Kalif al-Mansur 762 als Hauptstadt des Abbasiden-Reiches gegründete Rundstadt dem Erdboden gleichgemacht hatten.
Der schiefe Vergleich zeigt: Bagdad mag, das bedeuten seine beiden Silben, ein "Gottes-Geschenk" sein. Es ist aber auch das Synonym für eine zivilisatorische Katastrophengeschichte. Wer von der Stadt spricht, spricht über etwas, das es nicht mehr gibt. Kein Wunder, dass Najem Wali sein Leben der "Erfindung Bagdads" gewidmet hat.
Widerstand gegen eine diktatorische Macht
"Bagdad", das zehnte Buch des 1956 in Basra geborenen Autors, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt, ist kein klassischer Reiseführer, keine Kulturgeschichte oder Reisereportage. Seine "Eroberung" der Stadt beginnt bei ihrer "imaginären Landkarte", die er sich als Junge anhand der Ansichtskarten ausmalt, die sein Taxi fahrender Vater aus der Hauptstadt an die Familie in das 400 Kilometer entfernte Amāraschickte. Und sie endet, als der junge Schriftsteller 1980, am Vorabend des irakisch-iranischen Krieges, aus Bagdad nach Westdeutschland flieht.
Die Lesenden folgen Wali zu prägenden Orten seiner Jugend: dem "Fliegerplatz" auf dem der junge Rekrut jeden Morgen frühstückt, dem Schriftstellercafé "Das Parlament", dem geheimen Liebesnest des Studenten der deutschen Literatur und seiner Freundin auf dem englischen Friedhof bis zu der Asbak-Moschee, hinter deren Mauern ihn Saddam Husseins Geheimpolizei folterte. So werden sie Zeugen, wie ein literaturvernarrter Eigenbrötler zum liberalen Intellektuellen reift, der in der Kunst wie in der Politik "spezielle Wege" entdeckt, um gegen eine "diktatorische Macht Widerstand zu leisten".
Die Schallplatten- und Buchläden des Bagdads der 60er-Jahre
"Bagdad" ist das lesenswerte Beispiel einer subjektiven Geographie, die gelegentlich ins Lexikalische ausfranst. Und es ist die nostalgiegesättigte Arbeit am Trauma aller Exilanten: Die Stadt verlassen zu müssen, die sie nie verlassen wollten. Doch wenn der Autor sein Buch mit "Erinnerungen an eine Weltstadt" untertitelt, will er auch an die vergessene Moderne eines Landes erinnern, das heute mit Gewalt, Fanatismus und Zerstörung assoziiert wird.
Für Wali beginnt sie mit dem Bau des "Hauses der Weisheit" durch Kalif al-Mansur. Dort übersetzen islamische Wissenschaftler die griechische Philosophie der Antike neu. Sie führt über die Schallplatten- und Buchläden des Bagdads der 60er-Jahre bis zur lost generation der irakischen Literatur der 70er-Jahre.
Bagdad wieder zu einer Hauptstadt der Wissenschaften und der Poesie zu machen, mutet heute utopisch an. Doch wer schon als Kind eine "Fantasiestadt" erfindet, dem könnte womöglich auch das gelingen.

Najem Wali: Bagdad - Erinnerungen an eine Weltstadt
Übersetzer: Hartmut Fähndrich
Hanser Verlag, München 2015
352 Seiten, 25,90 Euro

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