Naiver Traum vom sicheren Netz

Von Marina Schweitzer · 02.11.2013
Angeblich hat die NSA 35 Staats-und Regierungschefs und die Netzgiganten Yahoo und Google angezapft. Marina Schweitzer wundert sich, dass sich die Politik Richtung USA so empört gibt. Wen diese Erkenntnisse jetzt noch überraschen, der wäre ziemlich naiv, kommentiert sie.
Überrascht über die schier grenzenlose Ausspähwut der NSA? Kann man das wirklich ernsthaft noch sein?

Erstaunt darüber, dass sich die Kanzlerin bei den mutmaßlichen Spähangriffen offenbar in guter Abhör-Gesellschaft mit mindestens insgesamt 35 Regierungschefs befand? Darüber, dass die NSA massenhaft Texte, Videos, Bilder bei Google und Yahoo abgezapft haben soll? Erstaunt bin ich als Unter-30-Jährige und sogenannte Digital-Native höchstens darüber, dass die Politik so etwas noch nicht einmal geahnt haben will!

Man muss doch nur eins und eins zusammenzählen, um festzustellen: Jetzt noch überrascht zu sein wäre ziemlich naiv.

Goldenes Zeitalter für Spione
Wer mit der Digitalisierung aufgewachsen ist, dem ist klar: Mit ihr ist das goldene Zeitalter für Spione angebrochen. Flächendeckendes Ausspionieren ist ein Leichtes, seit es digitale Kommunikation und soziale Medien gibt. Nach den jüngsten Enthüllungen war zu lesen: Das Vertrauen in Onlinedienste wie Google könnte gefährdet werden. Die Frage ist: Welches Vertrauen? Seit Jahren wissen wir, dass unsere Gewohnheiten längst auf den Datenbanken hauptsächlich amerikanischer Onlinefirmen gespeichert sind.

Klar, bei vielen Jüngeren herrscht diesbezüglich Gleichgültigkeit vor. Aber wir sind nicht alle jung und naiv: Ein Teil von uns denkt den Spion doch schon seit Jahren mit, nur eben bisher nicht in Form des Geheimdienstes. Wir haben unsere eigene Strategie entwickelt, weil wir eben durchaus unsere eigenen Daten schützen möchten. Viele Digital Natives differenzieren sehr genau. Über das amerikanische SMS-System WhatsApp schicken wir nur Banales. Wo wir genau wohnen, muss Facebook nicht wissen. Bankdaten? Maximal über das Mailsystem, dem wir trauen. Wir agieren gezwungenermaßen mit Schere im Kopf. Nicht erst seit dem NSA-Skandal haben viele von uns ihre Laptopkamera überklebt. Damit können wir uns hoffentlich vor den Datensaugern schützen, vor der Macht der Geheimdienste wohl eher selten.

Sicherheit vor Freiheit
Unsere Überraschung hält sich auch deshalb in Grenzen, weil das Sicherheitsdenken der Amerikaner seit dem 11. September 2001 vieles dominiert: "Better safe than sorry": Das amerikanische Sprichwort über Sicherheit legt ihre Mentalität offen: Seit den Terrorangriffen auf das eigene Land kann man damit in den USA immer punkten. Auch weil die Sicherheit oft vor der Freiheit steht.

Wer die IT-Infrastruktur und die Paranoia der USA zusammendenkt, bei dem sollten doch alle Glocken läuten: Wer die Möglichkeiten hat, sein riesiges Sicherheitsbedürfnis zu stillen, der tut es auch dann, wenn es nicht legal ist. Spionage hat es schon immer gegeben, legal war sie nie. Als Ausgespähte können wir Edward Snowden für seine mutigen Enthüllungen nur dankbar sein. Viele Jüngere sehen ihn als mutigen Helden, nicht als Verräter. Immerhin wird jetzt klar, wie 'sehr' die Freunde aus Amerika uns und unserer Regierung trauen.

Frau Merkel hat Recht, wenn sie sagt: Freunde ausspionieren geht gar nicht. Unter Freunden ist es eine Frage der Moral, ob man alles, was technisch möglich ist, auch ausschöpft. Über diese mangelnde Moral der Amerikaner muss man sich empören. Aber ihre Paranoia scheint die Moral auszustechen.

Regeln gegen die Willkür der Geheimdienste
Natürlich ist es wichtig, spätestens jetzt, nach dem Aufschrei um das Kanzlerinnenhandy, klare Regeln für die Kontrolle der Geheimdienste und den Datenschutz aufzustellen – nicht zuletzt, um einen willkürlichen Zugriff der Geheimdienste auf Internetdienste, wie Yahoo und Google zu verhindern. Das wäre zumindest auf der politischen Ebene ein Druckmittel. Aber solche Regeln reichen nicht. Man kann sie mit Regierungen vereinbaren. Das heißt aber noch nicht, dass sich die professionellen Späher daran auch halten. Wenn die Instrumente es erlauben, wird auch immer wieder spioniert.

Dieses Schlupfloch stopfen könnte eine modernere, sicherere Dateninfrastruktur in Europa. Denn die Wege führen immer noch oft über die USA und dort herrscht eindeutig nicht unser Verständnis von Datenschutz. Deshalb brauchen wir Innovationen aus Europa, die unserem Verständnis von Datensicherheit gerecht werden. Wir müssen uns selbst rüsten gegen Angriffe von außen. Das heißt: Auch die Politik muss sich dafür einsetzen.

Das goldene Zeitalter für Spione erlaubt Vertrauen nicht, auch nicht unter Freunden. Wir Digital Natives werden den etwas naiven Traum von einem sicheren Netz nicht aufgeben. Das kann die NSA jetzt ruhig hören.
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