Naiv und poetisch

Von Volkhard App · 28.01.2011
Installationen sind das Markenzeichen des Kubaners Felix Gonzalez-Torres: Mit ihrer entwaffnenden Leichtigkeit sprechen sie ganz besonders junge Besucher an, die Kinder. Im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main ist eine Werkschau des 1996 verstorbenen Künstlers eröffnet worden.
Da sind sie wieder: die Berge aus bunt eingewickelten Bonbons, die der Besucher in die Tasche stecken darf. Und auch von den gestapelten unterschiedlichen Künstler-Plakaten darf er ein Exemplar mit nach Hause nehmen. Bestände, die vom Museum wieder aufgefüllt werden, so wie es Gonzalez-Torres in seinen Konzepten vorgeschrieben hat.

Ebenso wenig fehlen in Frankfurt die einfachen Lichterketten mit den hell leuchtenden Glühbirnen - auf dem Boden liegen sie oder überspannen den Raum wie Girlanden. Solche Installationen sind längst zu Markenzeichen des Künstlers geworden, aber sie haben mit ihrer peripheren Leichtigkeit immer noch eine entwaffnende Wirkung - sie überwältigen den Besucher nicht, nehmen direkten Kontakt zu ihm auf, wollen angetastet und verändert werden. Mario Kramer, Sammlungsleiter des Museums:

"Für mich als Mitkurator dieser Ausstellung war es bei der Wiederbegegnung überraschend, dass die Vergänglichkeit dieses Werkes so intensiv mit unserer eigenen Vergänglichkeit zu tun hat. Es ist nicht nur die Vergänglichkeit dieses Bonbonhaufens oder dieses Papierstapels - wo jeder eingeladen ist, vielleicht ein Poster mitzunehmen -, sondern das Werk wird verschwinden, der Künstler ist bereits gestorben, aber auch ich werde verschwinden. Dieses Memento mori ist etwas sehr Berührendes. Und das geht nicht von vielen Kunstwerken aus. Dass sein Werk dies immer noch schafft, hat eine ganz große Kraft."

Liebesgeschichten erzählt Gonzalez-Torres mit alltäglichen Utensilien, die paarweise auftreten. So beginnt die Schau bereits an der Museumsgarderobe, wo zwei gleiche Uhren hängen, die einander berühren. Irgendwann werden die angezeigten Zeiten voneinander abweichen. Auch zwei nebeneinander hängende Spiegel fallen auf und zwei Ringe an der Wand.

Den tragischen Ausgang all der Liebeshoffnungen verkörpert ein Bonbonstapel: Er weist das Idealgewicht des Künstlers und seines langjährigen Partners auf, der vor ihm an den Folgen von Aids gestorben war. Eine Installation als Erinnerung, Gedenken in Gestalt von Bonbons, eine Art Porträt ohne Bildnis.

Spätestens hier - und an manch anderen Stellen - ist allerdings die Frage erlaubt, ob die Poesie des Künstlers nicht auch viel Schlichtheit, ja Naivität in sich trägt und die Grenze zum Kitsch berührt. Direktorin Susanne Gaensheimer:

"Ich finde, die Frage ist wichtig und auch interessant, denn natürlich ist ein wesentliches Merkmal dieser Werke, dass Torres mit den einfachen Dingen unseres Alltags arbeitet. Er macht die Kunst auf der ersten Wahrnehmungsebene zugänglich für jeden. Kinder zum Beispiel können sehr viel anfangen mit den Werken von Gonzalez-Torres. Aber hinter der Verwendung einfachster Alltagsgegenstände steckt ein hoch intellektuelles künstlerisches Konzept. Er bezieht sich da bewusst auf Duchamp, auf das Readymade, und Sie können durchdeklinieren, was noch für Bezüge und bewusst eingesetzte Strategien eine Rolle spielen, um zu bewirken, was dann bei Ihnen als Betrachter passiert."

Derart dicht und weit gespannt ist diese Ausstellung, dass sie auch mit weniger bekannten, frühen Arbeiten aufwarten kann - allerlei Objekten und Collagen zum Thema Masse/Individuum. Bald fand Gonzalez-Torres seinen Weg, das Wichtige entstand innerhalb eines Jahrzehnts.

Auf seine Wahlheimat, die USA, ließ er sich mit viel Engagement ein. So spielt das Papier der gehäuften Bonbons farblich immer mal auf die "Stars and Stripes” an. Mit dem heroischen Roosevelt-Denkmal setzte er sich kritisch auseinander und hielt auf einem Plakat Fotos der Menschen fest, die in einer einzigen Woche in den USA durch Schusswaffen getötet wurden. Ein politischer Künstler.

Mario Kramer: "Auf jeden Fall. Ein gesellschaftspolitisch denkender und vor allem auch handelnder Künstler. Er ist eng verbunden mit Künstlerfreunden, die auf die Straße gehen zu dieser Zeit, um zu demonstrieren. Er tut das auch. Es ist interessant, dass seine Werke konzeptuell entstanden sind und nicht in abgeschlossenen Künstlerateliers. Es war ein ganz in der Öffentlichkeit lebender Mensch."

Susanne Gaensheimer: "Sein politisches Engagement kommt wirklich aus einer eigenen politischen Erfahrung - als lateinamerikanischer Einwanderer, als Homosexueller und an Aids Erkrankter. Er hat diese ganzen Probleme und Diskriminierungen am eigenen Leib und bei seinen Freunden sehr nahe miterlebt."

Zum politischen Teil seines Werks gehören auch verschiedene Fotos, die er künstlerisch in Gestalt von Puzzles verfremdet hat: Klaus Barbie als freundlich-biederer Familienvater, und Kurt Waldheim, der vom Papst die Hostie empfängt.

So wird in Frankfurt das Bild dieses Künstlers präzisiert, auch wenn die Bonbons und Glühbirnen ein optisches Übergewicht behalten. Dabei werden seine Installationen immer wieder biografisch erklärt - die dunkelroten Perlenvorhänge zum Beispiel als Reflex auf das Blut und die schwere Krankheit gedeutet.

Susanne Gaensheimer: "Es ist von ihm genauso gedacht. Wenn Sie so interpretieren, liegen Sie genau richtig. Das ist seine Absicht."

Im Laufe der nächsten Wochen wird sich diese Ausstellung noch einmal verändern. Der Künstler Tino Sehgal soll neue Akzente setzen, wird hier und da umräumen, und für Wandel ist auch auf den weiteren Stationen gesorgt. Das passt zum fragilen Charakter dieser Werke.

Auch Außenräume werden in Frankfurt mit Installationen bespielt. Einprägsam ist das Plakat, dem man überall begegnet: Zeigt es doch eine ausgestreckte Hand - das Publikum sollte diese Einladung annehmen.

Service:
"Felix Gonzalez-Torres - Specific Objects without Specific Form” ist bis zum 25.4.2011 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main zu sehen.