Nahostkonflikt

Gaza und kein Ende

Ein zerstörtes Haus in Gaza Stadt nach einem israelischen Luftangriff am 4. August 2014.
Ein zerstörtes Haus in Gaza Stadt nach einem israelischen Luftangriff am 4. August 2014. © picture alliance / dpa / Foto: Mohammed Saber
Von Hans Christoph Buch · 05.08.2014
Auch ein Recht auf Sicherheit rechtfertige nicht den Tod von Kindern und ein Massaker an Zivilisten. Der Schriftsteller Hans-Christoph Buch lotet im "Politischen Feuilleton" den schmalen Grat zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus aus.
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Antisemitismus. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass man allseits versichert, Kritik an Israels Militärschlag gegen zivile Ziele in Gaza sei erlaubt. Doch gleichzeitig wird fast jeder, der diese Kritik zu artikulieren versucht, als Antisemit an den Pranger gestellt.
Deswegen hüllen sich viele aus Angst, etwas Falsches zu sagen, in Schweigen. Dies ist das Gegenteil einer rückhaltlos offenen, tabulosen Diskussion, die Israel, die Bundesrepublik und der Rest der Welt brauchen, um die Wurzeln des Antisemitismus bloß zu legen und diesen wirksam zu bekämpfen.
Schulen und Hospitäler werden als Waffenlager missbraucht
Dass Deutschland nach dem Menschheitsverbrechen des Judenmords hier besonders in der Pflicht steht, muss nicht eigens betont werden, so wenig wie die Tatsache, dass die Hamas Schulen und Hospitäler als Waffenlager missbraucht, um Raketen auf Israel abzufeuern, dessen staatliche Existenz die Islamisten bis heute nicht anerkennen - so wie Netanjahu seinerseits unter dem Druck der Ultranationalisten steht. Doch all das zusammen rechtfertigt nicht das Vorgehen der israelischen Armee.
Es genügt, die Fotos der jüdischen Religionsschüler zu betrachten, deren Entführung und Ermordung den jüngsten Waffengang auslöste, und dazu das Bild des 16-jährigen Palästinensers, der von Extremisten verschleppt und lebendig verbrannt wurde, um zu begreifen, wie viel die vier Jugendlichen trotz des tödlichen Hasses miteinander verband.
In diesem Sinn ist zu fragen, wo die Trennlinie verläuft zwischen antisemitischen Vorurteilen und berechtigter Kritik an der Militäroffensive in Gaza? Darauf gibt es keine einfache Antwort, aber die pauschale Diffamierung der Fragesteller ist genauso falsch wie die Gleichsetzung zweier Übel nach dem Motto: Les extrêmes se touchent.
Militäreinsatz wird Hamas eher stärken
Dass Israels Regierung das Recht und die Pflicht hat, die Bevölkerung zu schützen, und dass der Raketenbeschuss aus Gaza nicht durch Nichtstun oder Aussitzen gestoppt werden kann, leuchtet unmittelbar ein. Schon jetzt aber ist klar, dass der massive Militäreinsatz die Hamas eher stärkt als schwächt und eine Tsunami-Welle zum Äußersten entschlossener Selbstmordattentäter in Gang setzen könnte, statt, wie erhofft, das Ende der Hamas einzuläuten.
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, und schon Clausewitz wusste, dass am Ende alles anders kommt als gedacht und der Krieg aus der Nähe anders aussieht als aus der Entfernung. So besehen lässt sich das folgende Gedicht von Goethe mit verblüffender Folgerichtigkeit auf den Nahen Osten übertragen – bis hin zur demografischen Entwicklung, die nicht Israel, sondern dessen Feinden in die Hände spielt:
"Den Frieden kann das Wollen nicht bereiten: / Wer alles will, will sich vor allen mächtig; / Indem er siegt, lehrt er die andern streiten, / Bedenkend macht er seinen Feind bedächtig. / So wachsen Kraft und List nach allen Seiten, / Der Weltkreis ruht von Ungeheuern trächtig, / Und der Geburten zahlenlose Plage / Droht jeden Tag als mit dem jüngsten Tage."
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten".
Der Schriftsteller Hans Christoph Buch
Hans Christoph Buch© picture alliance / ZB / Marc Tirl
Ende der 60er Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander.
Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"‚ "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".
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