Nahles (SPD): Kein Signal an die Linken

Gesprächspartner: Christoph Gering und Ulrich Ziegler |
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Andrea Nahles, sieht auch im Falle einer Kandidatur von Gesine Schwan für das Amt des Bundespräsidenten keine Annäherung zwischen SPD und Linken. Sollte die mögliche Kandidatin der SPD mit den Stimmen der Linkspartei gewählt werden, hätte dies "keine Signalwirkung" für die Bundestagswahl 2009, sagte Nahles.
Deutschlandradio Kultur: Frau Nahles, reden wir heute schon mit der heimlichen Vorsitzenden der SPD?

Andrea Nahles: Das klingt ja fast wie ein Lob, aber in Wahrheit ist es doch der Versuch, mir mangelnde Loyalität gegenüber meinem Parteivorsitzenden zu unterstellen, nämlich Kurt Beck. Das lasse ich mir ungern andichten, im Gegenteil. Ich stehe voll hinter ihm. Wir sind freundschaftlich verbunden. Der braucht keinen heimlichen Parteivorsitzenden, er hat aber drei starke stellvertretende Parteivorsitzende.

Deutschlandradio Kultur: Aber man hat schon ein bisschen das Gefühl, dass Sie an manchen Punkten treiben. Vor drei Wochen hat Kurt Beck noch gesagt, wir unterstützen die Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten. Dann kamen Sie und haben eine eigene Kandidatin, nämlich Gesine Schwan ins Spiel gebracht.

Andrea Nahles: Kurt Beck hatte überhaupt keine Äußerung getätigt, ob die SPD Köhler unterstützt oder nicht, er hat lediglich gesagt, wir warten ab, bis er sich erklärt, ob er kandidiert oder nicht. Das war die Vereinbarung. Daran hat er sich gehalten. Es gab keine Vorfestlegung. Ich habe meine Meinung geäußert. Ich denke, insoweit ist niemand getrieben worden, sondern wir haben uns beratschlagt und wir haben jetzt entschieden, dass wir am Montag im Parteivorstand uns eine Kandidaturunterstützung überlegen.

Deutschlandradio Kultur: Aber rausgekommen ist dabei der Eindruck, die Stellvertreterin bringt ein Thema nach vorne und der Parteivorsitzende läuft hinterher.

Andrea Nahles: Ich kann nur sagen, dass das eine gemeinsame Position ist und ein stückweit denke ich, dass es in der SPD, auch in der Breite, Sympathie dafür gibt, auch eine Frau mal aufs Schild zu heben.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem hat man im Moment das Gefühl, die Sozialdemokraten arbeiten auf zwei Ebenen. Sie sind für und gegen. Teile sind für Köhler und andere sind dagegen. Teile sind für Steuererleichterungen, andere sagen, nein, das machen wir nicht. Diätenerhöhungen, ja, wir wollen das haben. Dann ziehen sie es wieder zurück. Die Orientierung der SPD, ist die überhaupt noch erkennbar?

Andrea Nahles: Zunächst mal kann ich nur sagen, dass wir die Entscheidung über die Kandidatur des Bundespräsidenten am Montag treffen und dann gemeinsam das auch durchziehen werden und werben werden. Egal, wie die Entscheidung ausfällt, es wird eine einvernehmliche sein.

Zum Zweiten muss ich allerdings zugeben, hat es bei der Diätenentscheidung tatsächlich ein Einlenken gegeben und ich finde das auch richtig. Es hat keinen Zweck, sich da völlig taub zu stellen. Insoweit trage ich das auch mit. Generell ist die Orientierung die, dass wir für Aufstiegsmöglichkeiten der Menschen in Deutschland kämpfen, für mehr soziale Gerechtigkeit und natürlich - und da stärke ich auch dem Finanzminister den Rücken - verantwortliche Haushaltspolitik machen. Ich glaube, unsere Positionierung ist da klar. Ich habe eher den Eindruck, dass sich die CDU mit dieser Frage noch nicht im Konsens mit der CSU, ihrer Schwesterpartei, befindet. Insoweit erkenne ich da die Probleme eher auf der anderen Seite.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns mal kurz auf die strategische Frage der Bundespräsidentenauswahl und Wahl zurückkommen. Ulla Schmidt hat gesagt: Warum müssen eigentlich bei der SPD Frauen immer dann kandidieren, wenn es aussichtslos ist? Ist Gesine Schwan denn mehr als eine Zählkandidatin, mehr als ein Symbol?

Andrea Nahles: Wenn sie denn am Montag nominiert würde, und ich hoffe, Sie haben den Konjunktiv hier sehr deutlich gehört, weil ich das nicht vorwegnehmen kann und will, dann ist sie mehr als eine Zählkandidatin. Ganz eindeutig ist sie erst mal eine sehr, sehr gute Kandidatin und zweitens ist auch die Situation dergestalt, dass in Bayern die Mehrheiten schwinden. Wir haben in der Landtagswahl ein sehr großes Potenzial, dass sich dann auch in der Bundesversammlung die Mehrheitsverhältnisse zugunsten einer alternativen Kandidatur von Horst Köhler verändern können.

Deutschlandradio Kultur: Aber nur, wenn Sie die Linken dazu bekommen.

Andrea Nahles: Die haben beim letzten Mal auch schon Gesine Schwan mitgewählt. Dort wurde das dann auch gar nicht groß skandalisiert, sondern Bundesversammlungen sind nicht in dem Sinne klassisch eng, was die Fraktionierung angeht, das war traditionell auch immer schon so, wie das bei Bundestagsentscheidungen notwendig und richtig ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber eine Symbolkraft hat es doch dennoch. Ein halbes Jahr vor der bevorstehenden Bundestagswahl wollen Sie eine Bundespräsidentin mit den Stimmen von wem auch immer hinbekommen.

Andrea Nahles: Ja, genau, mit den Stimmen von wem auch immer. Beim letzten Mal hat Gesine Schwan bereits 12 Unterstützerstimmen, was sehr viel war, aus dem bürgerlichen Bereich, also von der CDU und der FDP bekommen. Wir rechnen einfach damit, dass sie als Person auch in konservativen und liberalen Kreisen punkten kann. Das hat sie bereits bewiesen. Ich sehe darin keine Signalwirkung. Die Linkspartei hat sich aus meiner Sicht auch hier nichts zu erwarten, was Bundestagsmehrheiten angeht. Aber wir werben von allen Parteien um Zustimmung für eine mögliche Kandidatur, falls es soweit kommen sollte.

Deutschlandradio Kultur: Reden wir mal über einen anderen Punkt, an dem die SPD, sagen wir mal, kein wirklich gutes Bild abgegeben hat, den Besuch des Dalai Lama. Die Partei, die seit 145 Jahren für Menschenrechte eintritt, hat einen Vorsitzenden, der sich offenkundig schwer getan hat damit, dass die Bundesentwicklungshilfeministerin das geistliche Oberhaupt der Tibeter trifft. Wie ist das denn zu erklären?

Andrea Nahles: Erst mal setzen wir uns nicht nur in den letzten 145 Jahren, sondern auch hoffentlich in den nächsten 145 Jahren glaubwürdig dafür ein. Da müssen wir uns übrigens auch von anderen Parteien überhaupt nichts vorhalten lassen. Da bitte ich doch wirklich mal zu gucken, was die Union hier für eine Politik immer auch vertreten hat. Das ist ja schon ein bisschen verzerrt worden in der öffentlichen Darstellung.

Ansonsten, muss ich ganz ehrlich sagen, hat niemand was gegen den Dalai Lama. Das ist eine hochrespektable Person. Es war allerdings vereinbart, auch mit der Bundeskanzlerin, dass sich kein Regierungsmitglied treffen soll. Und es war auch kein Ärger von Kurt Beck darüber, dass sie das gemacht hat. Allerdings kann ich verstehen, dass er sich darüber geärgert hat, dass sie es nicht für nötig befunden hatte, irgendjemanden in der SPD darüber zu informieren. Da kommen auch schon mal Emotionen zum Ausdruck. Das kann ich auch nur teilen. Aber aus meiner Sicht jedenfalls war es richtig, konsistent sich zusammenzutun und da eine gemeinsame Linie zu vertreten. Und wenn dann einer davon abweicht, mag der persönlich dann Pluspunkte in der Öffentlichkeit bekommen. Ich finde es aber, ehrlich gesagt, nicht in Ordnung, wenn man sich selbst dann aus meiner Sicht nicht solidarisch gegenüber der Gesamtlinie verhält.

Deutschlandradio Kultur: Das zeigt doch aber schon, dass Sie Koordinationsprobleme innerhalb der Partei haben. Jemand wie Jürgen Rüttgers oder Roland Koch kann selbstverständlich den Dalai Lama empfangen - alle finden es in Ordnung. Kommt die Entwicklungshilfeministerin und will den Dalai Lama empfangen, gibt es Ärger und der Parteivorsitzende spricht sogar von "so einem Scheiß".

Andrea Nahles: Ich kommentiere diesen Satz jetzt nicht, weil er den privat gesagt hat. Ich bin auch nicht gewillt, dass Politiker sich nur noch in "pc-Vokabeln" äußern und am Ende kein Mensch mehr versteht, was sie eigentlich meinen.

Zum Zweiten will ich Ihnen mal sehr deutlich sagen: Sie reden hier die ganze Zeit so, als ob das Chaos in der SPD ausbricht. Ich weise das zurück. Schönes Beispiel: Rüttgers. Da geht's wirklich auch um große Fragen der Innenpolitik. Der ballert da mal Vorschläge raus, die sind mit niemandem abgesprochen, was Mindestrente angeht. Dann findet die Union bis heute keine richtige Position dazu. Ich habe schon den Eindruck, dass es momentan auch richtig sportlich ist, die SPD uncool zu finden. Ich kann nur sagen, dass es für uns auch nicht einfach ist, momentan etwas richtig zu machen, weil alle nur darauf fixiert zu sein scheinen, uns nachzuweisen, dass es bei uns Probleme gibt. Ich sehe da aber auch - Entschuldigung - Splitter und Balken, Sie kennen das Beispiel aus der Bibel. Ich denke, wir müssen auch - wir können auch nicht anders - an so einer Stelle auch versuchen, da souverän zu bleiben.

Deutschlandradio Kultur: Apropos Souveränität, auch Souveränität für die Zukunft: Nächste Woche ist der Zukunftskonvent Ihrer Partei in Nürnberg. Wir wissen nicht so hundertprozentig, wo die Partei eigentlich hin will. Wissen Sie es denn?
Andrea Nahles: Na klar, wir wollen eine sozialdemokratische Politik machen. Und zwar nehmen wir mal das Beispiel, was wir in der nächsten Woche - hoffe ich - in den Deutschen Bundestag mit einbringen, nämlich einen Rechtsanspruch auf einen Hauptschulabschluss. Das ist für mich so ein Beispiel dafür, dass wir eine Politik der zweiten und dritten Chance machen, dass Bildungspolitik auch für gering Qualifizierte für uns im Mittelpunkt steht, dass wir Leuten einfach aufhelfen wollen, dass sie in einer Welt, die sich wandelt, wo Bildung und Weiterbildung immer zentraler werden, auch die entsprechenden Voraussetzungen dafür kriegen. Also, die SPD als Partei von zweiter Chance und Aufstiegsmöglichkeiten, und die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit. Ich bin Sozialpolitikerin. Das wären so zwei zentrale Botschaften und die werde ich auch zusammen mit Olaf Scholz zum Beispiel als Hauptpart auf dem Zukunftskongress der SPD vertreten.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein Rechtsanspruch auf einen Schulabschluss, das klingt so ein bisschen, nicht mehr "Bildung für alle", sondern "Abschlüsse für alle und Bildung für keinen".

Andrea Nahles: Das ist jetzt wirklich eine komplette Verdrehung. 80.000 Schulabbrecher, das heißt, Leute, die noch nicht mal einen Schulabschluss haben, pro Jahr, wenn wir es nicht schaffen, das zu reduzieren. Das ist eine Schulaufgabe, auch in der Länderverantwortung mit, aber wir stellen fest, das klappt nicht. Wir beobachten seit Jahren, dass die Zahl nicht sinkt. Da muss man in der Schulpolitik anfangen, früher als heute. Da sind auch die Länder, das muss man sagen, aufgewacht, wenn auch etwas spät. Aber wir haben auch eine Verantwortung auf der Bundesebene, wenn es denn eben nicht klappt, noch eine zweite Chance zu geben, eine dritte. Für mich geht's um diese Dynamik, die es in den letzten Jahren offenbar nicht mehr gegeben hat. Wir hatten nicht die Durchlässigkeit in unserem Arbeitsleben, aber auch im Bildungssystem, die wir brauchen, um erfolgreich auch in Zukunft ausreichend Fachkräfte in der deutschen Wirtschaft auch anbieten zu können.

Deutschlandradio Kultur: Dann können wir vielleicht eine Menge dann in drei, vier Jahren von Hamburg lernen? Dor versucht Schwarz-Grün genau diese Durchlässigkeit hinzukriegen, aber da müssen wir wohl abwarten.

Das andere Thema, das Sie genannt haben, ist soziale Gerechtigkeit - die SPD, die Partei der kleinen Leute. Jetzt ist in dieser Woche der Armutsbericht vorgestellt worden. Die Schere klafft auseinander zwischen arm und reich und man fragt sich: Hat das möglicherweise auch eine sozialdemokratische Handschrift? Immerhin: Seit zehn Jahren gibt es entweder einen Vize oder einen Kanzler, der die Geschicke der Republik leitet und der Sozialdemokrat ist oder war.

Andrea Nahles: Ich glaube aber, dass die entscheidende Frage für Armut und Reichtum ist, dass Arbeit wieder besser bezahlt wird. Das bezieht sich insbesondere im Niedriglohnbereich auf die Einführung von Mindestlöhnen, aber auch bei den normalen Tarifrunden.

Deutschlandradio Kultur: Aber, Frau Nahles, den Niedriglohnsektor in dieser Breite, wie es ihn heute gibt, den hat ja quasi erst die SPD mit Hartz IV erfunden.

Andrea Nahles: Das ist ja wohl der größte Blödsinn, den ich seit langem gehört habe. Also, ich bin da wirklich ein bisschen irritiert, wie plötzlich Hartz IV seit Jahren zur Generalerklärungsklausel für Strukturwandel, für Aufbau von neuen Dienstleistungssegmenten und anderes erklärt wird. Das ist doch Unsinn. Da geht es doch um einen Strukturwandel, den wir haben: mehr Flexibilität, mehr Wettbewerbsdruck. Und wofür wir sorgen müssen, und da ist Hartz IV ein Baustein, vielleicht nicht der ausreichende Baustein, da gebe ich Ihnen ja Recht, aber wofür wir sorgen müssen, ist doch nicht nur, dass Flexibilität da ist, sondern auch Sicherheit für die Leute, die diesen neuen Anforderungen in der Arbeitswelt gerecht werden müssen.

Deutschlandradio Kultur: Also, wir leben mit dem Niedriglohnsektor auch in nächster Zukunft oder müssen wir das tun, was Andrea Ypsilanti, Ihre Parteifreundin, sagt? Sie beklagt, dass dieser Niedriglohnsektor einfach zu weit ausgebaut worden wäre.

Andrea Nahles: Ja, wenn man dann aber bitte präzise diskutiert. Ich wäre zum Beispiel dafür, dass wir bei der Leiharbeit wirklich den Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" durchsetzen. Das haben wir zwar ursprünglich auch angedacht, wir haben aber festgestellt, dass es durch Ausnahmen Hintertürchen gibt und dass das einfach nicht in der Realität angekommen ist. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in dem Bereich, wo man wirklich den Angriff auf gute Facharbeiterlöhne hat, darum geht es nämlich bei der Leiharbeit, ein stückweit einen Riegel vorzuschieben.

Ich persönlich könnte mir auch vorstellen, dass wir noch mal überlegen müssen, ob wir nicht doch gewisse qualitative Kriterien auch an Arbeit in der Vergabe zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit neu einführen müssten.

Deutschlandradio Kultur: Ist das ein Weg zu sozialer Gerechtigkeit? Das Feld der sozialen Gerechtigkeit entwinden Ihnen ja auch manche schon bei der politischen Konkurrenz der CDU, zum Beispiel Jürgen Rüttgers, der Sie ja in Fragen der sozialen Gerechtigkeit bisweilen locker links überholt.

Andrea Nahles: Ja, der Jürgen Rüttgers ist ein Cleverle, ist aber nicht aus Baden-Württemberg. Der versucht halt immer links zu blinken und dann rechts abzubiegen. Das macht er nämlich sehr gerne. Wenn es um Mindestlöhne geht, ist er dagegen. Wenn es darum geht, die Kindergärten ordentlich zu schröpfen, hohe Kindergartenbeiträge einzuführen, dann ist er an erster Front. Also, wenn man sich seine Politik in NRW anguckt, dann stelle ich immer mehr fest: Das ist ein großer Blender, was das Soziale angeht. Insoweit beeindruckt mich das nicht.

Deutschlandradio Kultur: Na, na, nachgehakt! Arbeitslosengeld-I-Verlängerung.

Andrea Nahles: War ich immer schon dafür.

Deutschlandradio Kultur: Ja, aber es ist Rüttgers.

Andrea Nahles: Nö, das ist Andrea Nahles schon im Jahre 2003.

Deutschlandradio Kultur: Aber Rüttgers hat es aufs Parkett gebracht.

Andrea Nahles: Aber wissen Sie, der Punkt mit dem Arbeitslosengeld I ist einer, der zu den wenigen wirklich echten Schwierigkeiten von Anfang an bei der ganzen Agenda 2010 gehört hat. Ich bin nun wirklich jemand, der hier sitzt, der nie was anderes erzählt hat. Deswegen war ich auch froh, dass wir das gemeinsam korrigieren konnten.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie waren die treibende Kraft, nicht beispielsweise die Linke.

Andrea Nahles: Ich habe nicht gesagt, dass ich die treibende Kraft bin.

Deutschlandradio Kultur: Nein, nicht Sie, sondern Ihre Partei.

Andrea Nahles: Ich glaube, dass meine Partei an dieser Frage unter dem Vorsitzenden Kurt Beck von Anfang an einen anderen Akzent gesetzt hat.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Parteivorsitzende Kurt Beck hat vor dem Beschluss zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I nicht mal ein Jahr vorher gesagt, das war alles richtig, wie wir es gemacht haben mit der Agenda 2010, so kann es auch bleiben. Der Eindruck ist ja entstanden, der besteht immer noch, dass die SPD sich von den Linken treiben lassen muss. Lafontaine sagt: "Wir regieren aus der Opposition heraus".

Andrea Nahles: Der will auch in der Opposition bleiben, wenn man ihm genau zuhört. Was er macht, ist halt Protest, Protest. Meiner Meinung nach ist Oskar Lafontaine ein Scheinriese. Die haben kein Programm. Die trauen sich für 2009 noch nicht mal eins zu machen. Für mich sind die definitiv auch nicht regierungsfähig.

Deutschlandradio Kultur: Dann kommen wir noch mal zurück auf den Zukunftskonvent, weil das ja mittelfristig die Perspektive für die SPD sein muss. Es gibt manche Problempunkte, die schnell in Angriff genommen werden müssen: Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Kindergeld. Gibt es konkrete Vorstellungen, die wir nach diesem Zukunftskonvent von Seiten der SPD erfahren werden, dass Sie sagen würden, da ist dringend Handlungsbedarf, meinetwegen auch Pendlerpauschale, weil die Benzinpreise so in die Höhe schießen, dass sich Leute mit niedrigem Einkommen keine 70 km Anfahrtsstrecke mehr leisten können?

Andrea Nahles: Dieser Kongress wird auf jeden Fall auch in der Lage sein, die Eckpunkte und Orientierungspunkte zum Thema Steuern und Sozialabgaben in Deutschland noch mal zu konkretisieren. Wir wollen auf jeden Fall unsere Grundlogik fortsetzen, nämlich dass wir mehr Steueranteile zur Finanzierung unseres Sozialstaates heranziehen und dadurch in der Lage sind, die Sozialabgaben zu reduzieren. Das bedeutet konkret, dass wir über Steuern insgesamt im Volumen 14 Milliarden in die Gesundheitskasse reingeben wollen, um damit eben die Kosten für Kindermitversicherung abzudecken. Warum? Weil die Sozialabgaben natürlich auch kleinere Einkommen deutlich stärker belasten. Bei den Steuern ist es ehrlich gesagt so, dass eine Familie - wenn man das Kindergeld mit berücksichtigt - heute bis zu über 30.000 Euro frei ist von Einkommenssteuer. Das muss man einfach mal sehen. Also, im unteren Bereich eine gezielte Entlastung im Bereich der Lohnnebenkosten, das fände ich zum Beispiel eine sehr intelligente Idee.

Deutschlandradio Kultur: Wie machen Sie das mit der Finanzierung?

Andrea Nahles: Aus meiner Sicht wäre das mittelfristig sogar kostenneutral.

Deutschlandradio Kultur: Okay, das ist Entlastung am unteren Ende der Einkommensskala. Das ist aber noch nicht so ganz diese neue Solidarität, die zum Beispiel Ihr Parteifreund Lauterbach fordert. Der sagt: Man muss auch an die Hilfe, also an das Geld bei den hohen Einkommen, den Vermögenden ran, um auch dort mehr wegzunehmen.

Andrea Nahles: Ja, richtig, ich denke, dass schon die Frage einer gerechten Besteuerung von hohen Einkommen und Erbschaften in Deutschland nicht ausreichend geregelt ist. Wir haben mittlerweile den traurigen letzten Platz, den wir uns mit Österreich teilen, was die OSZE-Länder angeht. Das bedeutet, wir haben die niedrigste Vermögensbesteuerung in diesen wichtigen Industrieländern. Darauf muss man nicht stolz sein.

Deutschlandradio Kultur: Interpretieren wir das so, dass sie für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sind?

Andrea Nahles: Ich könnte mir das vorstellen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, auf den Vorschlag von Hannelore Kraft einzugehen, die gesagt hat, man könnte auch die Reichensteuer so gestalten, dass die früher einsetzt. Wir werden in den nächsten Tagen darüber beraten und dann auch in Nürnberg dazu Position beziehen.

Deutschlandradio Kultur: Und bei dieser 25-prozentigen Abgeltungssteuer auf Vermögen bleibt es, obwohl viele, die sehr viel Geld verdienen, Einkommen aus Vermietung und Verpachtung haben, da deutlich besser gestellt werden ab 2009. Das ist doch nicht gerecht.

Andrea Nahles: Das wird nach meiner Kenntnis so bleiben. Es hat auch übrigens etwas damit zu tun, dass man sich nach langem Ringen international auf so eine Form der Abgeltungssteuer vereinbart hat, auch sogar die Luxemburger, Österreicher und andere darin eingewilligt haben. Ich glaube, dass man das vertreten kann.

Deutschlandradio Kultur: Ich möchte gern ein bisschen von den Details der Sozialpolitik weggehen und mal über die allgemeine Lage der SPD sprechen. Eine Partei, die einen Vorsitzenden hat, von dem sich nur 11 Prozent der Wahlberechtigten wünschen, dass er Kanzler sein kann, das ist ja eine Partei, da hat nicht nur der Vorsitzende ein Problem. Dann ist der Vorsitzende ein Problem, oder?

Andrea Nahles: Ich kann mich noch gut entsinnen, dass Frau Merkel für ausgesprochen schlechte Umfragewerte stand. Offensichtlich ist das nicht das Entscheidende am Ende des Tages. Die Wahl ist auch nicht im Herbst 2008, sondern im Herbst 2009. Deswegen denke ich, dass wir keine Kanzlerkandidatendebatte jetzt brauchen und die auch nicht machen werden und dass ich auch nicht ins Horn derjenigen blase, das tun ja nun schon genügend Leute in Deutschland, die Kurt Beck und seine Qualitäten infrage stellen. Ich bin Rheinland-Pfälzerin und habe ihn hier als Landesvorsitzenden und Ministerpräsident lange genug erlebt und schätze ihn sehr und halte ihn für absolut geeignet, Kanzlerkandidat der SPD zu werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber mit der Diskussion in Sachen Gesine Schwan haben Sie eine Diskussion angezettelt, ob Sie wollen oder nicht, was künftige Mehrheiten angeht jenseits einer Großen Koalition. Viele sagen, eine Große Koalition wird nach dieser Bundespräsidentenwahl im nächsten Jahr nicht unbedingt leichter werden. Schnittmengen mit der Linken gibt es doch in gewisser Weise. Oskar Lafontaine sagt, der Mittelstandsbau muss weg, die kalte Progression, sprich, diese erhöhte Steuer muss ein Stück abgebaut werden.

Andrea Nahles: Da sieht man mal wieder, dass er keine Ahnung hat. Entschuldigung, da sieht man doch schon wieder, dass er unseriös rechnet. Da haben wir doch direkt 50 Milliarden weniger Steuereinnahmen. Gleichzeitig macht er Vorschläge, die über 120 Milliarden Mehrausgaben nach sich ziehen würden. Das ist genau das, was ich meine.

Deutschlandradio Kultur: Also, alle wollen was zurückgeben, die CSU auch, nur die SPD nicht, die hält Kurs und sagt, wir konsolidieren. Ist das der Weg?

Andrea Nahles: Ist das jetzt so, dass die Union diesen Weg nicht mehr mitgeht? Wenn Sie da was Neues wissen, dann hätte ich natürlich ein unmittelbares Interesse daran, dass ich das sofort erfahre.

Deutschlandradio Kultur: Die Kanzlerin sagt in Brasilien, man müsse den Menschen was zurückgeben.

Andrea Nahles: Aber sie hat gesagt, wenn es mit der Haushaltskonsolidierung zu vereinbaren ist. Genau das sagen wir auch. Natürlich sitzen wir nicht auf dem Geld wie Dagobert Duck und tauchen jeden Tag im Geldspeicher ein und erfreuen uns, weil wir den Leuten noch mal so richtig die Steuergelder aus den Taschen gezogen haben. Das ist doch Quatsch. Was wirklich auch der alte Keynes immer gesagt hat, ist: Zurücklegen, wenn man was reinkriegt, und Ausgeben, wenn die private Nachfrage einbricht und wenn die Investitionen schwächeln. Genau darum geht's an dieser Stelle, die Spielräume für die Zukunft zu sichern. Ich bin für Haushaltskonsolidierung dann, wenn es gut läuft in der Wirtschaft. Und wenn es weniger gut läuft, bin ich allerdings auch für Investitionen. Sicher werde ich dann mehr Ärger mit Peer Steinbrück haben als heute.

Deutschlandradio Kultur: Dass Oppositionspolitiker immer diese Spezialpressen in der Tasche tragen, mit denen man beliebig viel Spielgeld unters Volk bringen kann, das ist schon klar. Aber die Frage ist ja schon auch, warum jetzt nach zwei Jahren deutlich gestiegener Steuereinnahmen der Bundeshaushalt immer noch nicht wirklich konsolidiert ist. Muss man da nicht auch schneller sein? Es zeigen sich ja so schwarze Wolken am Konjunkturhimmel.

Andrea Nahles: Ja, aber das hat man auch im letzten Jahr schon gesagt. Die Entwicklungsdaten sind dieses Jahr extrem gut. Nachdem die Leute von 2000 bis 2005 wirklich alle zur Konsolidierung beigetragen haben, dann muss ich ganz ehrlich sagen, finde ich es auch richtig, dass man einen langfristigen, aber konsequenten Konsolidierungskurs fährt, genau das macht Peer Steinbrück, auf der anderen Seite aber auch eine Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst ermöglicht, weil sonst fühlen sich die Leute auch - ehrlich gesagt - verhohnepiepelt.

Deutschlandradio Kultur: Fassen wir noch mal zusammen: Sie sagen, Konsolidierung steht an erster Stelle. Sie haben einen guten Parteivorsitzenden. Der heißt Kurt Beck. Und Sie wollen, davon gehe ich mal aus, im Jahr 2009 nicht unbedingt auf die Oppositionsbank.

Andrea Nahles: Richtig.

Deutschlandradio Kultur: Franz Müntefering hat ja mal gesagt "Opposition ist Mist". Dann erzählen Sie uns doch mal, wie das 2009 gehen soll. Wie kann die SPD weiterhin ganz oben an der Regierung mit beteiligt sein?

Andrea Nahles: Ich verstehe die Frage überhaupt gar nicht, muss ich ganz ehrlich sagen.

Deutschlandradio Kultur: Na ja, Sie stehen nicht bei 45 Prozent.

Andrea Nahles: Ich bin ein wenig baff jetzt im Moment. Wie bitte, mit wem mache ich das jetzt?

Deutschlandradio Kultur: Sie haben immer gesagt, Ampel ist Ihre Idee.

Andrea Nahles: Nein, der Punkt ist ganz einfach, dass ich selbstverständlich keine Fortführung der Großen Koalition anstrebe. Daraus habe ich nie ein Hehl gemacht. Und ich kann mir auch vorstellen, dass die Union das genauso sieht. Weil das ist letztendlich nicht die ideale Lösung in der Demokratie. Darüber macht sich auch keiner was vor. So.

Jetzt ist die Frage: Wie machen wir das? Da sage ich Ihnen ganz ehrlich, da halte ich es immer noch für wünschenswert, Rot-Grün anzustreben. Wenn das nicht reicht, in einem Fünf-Parteien-System ist das extrem schwer, das leugne ich nicht, dann finde ich die Idee einer Ampel absolut in Ordnung.

Deutschlandradio Kultur: Was sagen Sie denn Karl Lauterbach, der sagt: Wenn in Hamburg die Schwarzen mit den Grünen reden und eine Koalition vereinbaren, dann haben wir doch alles Recht der Welt, auch mit den Linken mal auszutarieren, was es an gemeinsamen Schnittmengen gibt.

Andrea Nahles: Ja, das kann der Karl Lauterbach ja so meinen. Ich bin Stellvertretende Parteivorsitzende und habe dazu eine ganz klare Meinung. Wir haben das den Ländern freigegeben, das finde ich auch vernünftig. Das können wir gar nicht von oben qua Ordre de Mufti entscheiden, was sie in den Ländern machen. Und zum Zweiten halte ich es definitiv für ausgeschlossen, mit der Protestpartei, die unseriöse Vorschläge macht, unter der Leitung von Oskar Lafontaine eine Koalition machen zu wollen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn die Länder frei entscheiden können, was empfehlen Sie dann Heiko Maas im Saarland?

Andrea Nahles: Dann soll er frei entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Frau Nahles, danke für das Gespräch.