Nahles: Schonfrist für Merkel ist vorbei
Nach dem überraschenden Rücktritt von Vizekanzler Franz Müntefering hat die Parteilinke der SPD eine härtere Gangart gegenüber dem Koalitionspartner und Bundeskanzlerin Merkel angekündigt. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles erklärte im Deutschlandradio Kultur, dass ihre Partei aus den Ergebnissen des jüngsten Koalitionsausschusses Konsequenzen ziehe.
Hans-Joachim Wiese: Als Franz Müntefering gestern als Vizekanzler und Bundesarbeitsminister zurücktrat, zeigten sich - bis auf wenige Eingeweihte - alle überrascht. Damit hatten sie nicht gerechnet, galt der Sauerländer doch als ausgesprochen diszipliniert, ja als stur, eben der brave Parteisoldat, der leidet, ohne zu klagen. Am Telefon begrüße ich die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, guten Morgen!
Andrea Nahles: Guten Morgen!
Wiese: Frau Nahles, Müntefering hat seinen Rücktritt mit dem Gesundheitszustand seiner Frau begründet, dafür gebührt ihm aller Respekt. Aber, bei allem Respekt, wir sprechen hier auch über Politik. Und er hat den Büttel schon mal hingeschmissen, Sie waren damals der Grund: Ende Oktober 2005 ist er als SPD-Chef zurückgetreten, als der Parteivorstand für die SPD-Linke Nahles als neuen Generalsekretär votierte und nicht für Münteferings Kandidaten Wasserhövel. Was empfanden Sie gestern?
Andrea Nahles: Also ich sehe da einen Riesenunterschied zwischen diesen beiden Ereignissen, weil es einmal wirklich aus einer politischen Konfrontation erwachsen ist. Und hier war es wirklich eine ganz andere Entscheidung, eine persönliche Abwägung kommt an die Weggabelung, was ist das Wichtigste im Leben, und das hat Franz Müntefering für sich gestern entschieden. Insoweit, ja, war ich, ehrlich gesagt, traurig. Ich hatte auch das Gefühl, dass er selber auch ein bisschen traurig war, und ich glaube auch die gesamte SPD.
Wiese: Ich hatte eher den Eindruck, er hatte so etwas wie Erleichterung gezeigt. Erleichterung, vielleicht auch die Bürde des Amtes los zu sein, denn er hat ja in letzter Zeit wirklich wenig Freude dran gehabt. Politische Niederlagen, zum Beispiel beim SPD-Parteitag in Hamburg, als der gegen seinen Willen für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I stimmte und damit für eine Abkehr von der Agenda 2010?
Nahles: Also zum einen noch mal zur Erleichterung. Ich hab ihn nachher in der Pressekonferenz erlebt, und da hat er sich tatsächlich ...
Wiese: Darauf spielte ich an, ja.
Nahles: Ja, ja, locker auch gegeben und war wirklich sein altes Selbst und hat auch Witze gemacht. Ich habe ihn aber auch vorher erlebt in der Fraktion und auch in der kleineren Runde. Und da war das doch noch mal ein bisschen anders. Ich sag das jetzt mal so als Bericht über das, was ich gestern erlebt habe. Und für ihn war, glaube ich, der Auftritt vor der Fraktion der entscheidende und auch der schwierigste. Und die Presse kam danach, sorry, aber so ist das. Und ich glaub, da war er tatsächlich auch froh, dass er die Strecke, dass er das hinter sich gebracht hat.
Aber ich würde trotzdem dagegen mich verwehren, das so zu politisieren. Ich fand auch seine Rede auf dem Parteitag in Hamburg … ganz im Gegenteil, es war überhaupt kein Anflug von Niederlagen, sondern er war stark, er war spritzig, er hat eine Superrede gehalten, auch wenn er dieser Einzelfrage völlig anderer Meinung war, war das ein starker Vizekanzler, der sich präsentiert hat. Insoweit bewerte ich einfach diese Ereignisse ein Stück weit anders.
Wiese: Trotzdem, wenn Müntefering eine politische Niederlage erleidet, dann erleidet mit ihm auch die SPD automatisch eine politische Niederlage. Das ist nun auch letzten Endes auf dem Koalitionsausschuss passiert, keine Einigung mit der Union auf einen Mindestlohn bei der Post. Da war Müntefering bitter enttäuscht, nicht nur er, und sprach anschließend von Lobby-Politik der Kanzlerin. Da müssen doch Konsequenzen gezogen werden?
Nahles: Ja, die werden auch gezogen, nämlich in der Weise, dass Frau Merkel keinesfalls denken muss, dass jetzt das Thema Mindestlohn von der Tagesordnung der Großen Koalition verschwindet. Wir werden das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, so wurde es übrigens auch auf der Klausur der Regierung in Meseberg vereinbart, tatsächlich auch auf den Weg bringen. Und die Union wird sich darauf einstellen müssen, dass wir dort hartleibig weiter für Mindestlöhne kämpfen. Ich glaube, dass die Schonfrist für Frau Merkel wirklich vorbei ist. Sie hat sich ausdrücklich in Tarifvereinbarungen eingemischt. Sie hat Michael Glos, der aktiv im Hintergrund betrieben hat, irgendwelche Arbeitgeberverbände zu gründen, um die Tarifautonomie zu untertunneln, unterstützt oder gewähren lassen. Das sind schon harte Fakten, und da haben wir keinen Grund, jetzt an der Stelle glücklich zu sein. Im Gegenteil, ich rechne da mit noch weiteren, ernsten Auseinandersetzungen in der Großen Koalition.
Wiese: Frau Nahles, wenn Sie sagen, die Schonfrist für Frau Merkel ist jetzt vorbei, dann könnte man doch vorschlagen und sich vorstellen, dass es günstiger wäre für die SPD, dann jemanden im Kabinett auf Augenhöhe mit Frau Merkel zu haben, nämlich den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Warum geht der nicht ins Kabinett? Wäre das nicht besser?
Nahles: Augenhöhe erreichen wir auch mit Frank-Walter Steinmeier und auch Olaf Scholz. Da mache ich mir keine großen Gedanken. Kurt Beck entscheidet souverän selber, wann er wie wo sich einbringt. Er ist Regierungschef, also auch in einer Regierungsverantwortung und zwar Alleinregierung in Rheinland-Pfalz. Und er kann da nicht von heute auf morgen einfach alles stehen und liegen lassen. Die Situation war ja jetzt sehr kurzfristig aufgetreten. Er wird das selber definieren. Er hat auch in der jetzigen Position als Parteivorsitzender alle Möglichkeiten, die Geschicke der Bundespolitik mitzugestalten, insbesondere in Kombination eben mit Frank-Walter Steinmeier jetzt als neuem Vizekanzler. Ich denke, das ist eigentlich eine kluge Entscheidung von ihm, und ich unterstütze das ausdrücklich.
Wiese: Sie selbst als Linke, Frau Nahles, können mit der derzeitigen Politik der Großen Koalition nicht zufrieden sein. Das geht gar nicht, und besonders auch nicht mit der Rolle Ihrer eigenen Partei, der SPD, darin, die wird ja gewissermaßen gejagt von der CDU, von der Union. Kein Mindestlohn bei der Post, keine Einigung bei der Bahnprivatisierung, der SPD laufen die Wähler weg, und von links wird sie von Lafontaine unter Druck gesetzt. Wie soll das geändert werden? Was muss sich ändern, damit die SPD wieder aktiv, wieder initiativ wird?
Nahles: Uihuihui, Sie malen aber hier schwarz! So sehe ich das nicht. Ich bin tatsächlich, unabhängig ob links oder rechts, einfach als Sozialdemokrat mit der Großen Koalition und ihren Ergebnissen derzeit nicht zufrieden. Das bezieht sich vor allem auf die Frage Mindestlohn, andererseits hat die SPD und Kurt Beck erreicht auch, dass wir eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I erhalten, ohne dass dafür andere, Jüngere oder Frauen benachteiligt werden, was der Vorschlag von Jürgen Rüttgers gewesen ist. Das sehe ich als Erfolg. Insoweit ist die Bilanz, die Sie hier aufzeigen, auch des Koalitionsausschusses, für mich nicht ganz so harsch.
Trotzdem ist es so, dass wir da besser werden müssen in der Großen Koalition, die Leute erwarten das auch. Wir müssen den gesamten Niedriglohnbereich neu organisieren. Ich denke, dass Olaf Scholz hier die Grundidee von Franz Müntefering aufgreifen wird, dass wir wirklich versuchen, die unteren Einkommensgruppen besser zu stellen, auch die Kinderarmut in den Fokus zu nehmen und zu bekämpfen. Es sind auch Themen, wo ich spüre, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns steht, und insoweit kann es da nur eins geben: beharrlich weiter zu versuchen, das durchzusetzen und die Union unter Druck zu bringen.
Wiese: Ganz kurz noch, erlebt die Große Koalition das Ende der Legislaturperiode, das reguläre?
Nahles: Ich gehe davon aus, ja.
Andrea Nahles: Guten Morgen!
Wiese: Frau Nahles, Müntefering hat seinen Rücktritt mit dem Gesundheitszustand seiner Frau begründet, dafür gebührt ihm aller Respekt. Aber, bei allem Respekt, wir sprechen hier auch über Politik. Und er hat den Büttel schon mal hingeschmissen, Sie waren damals der Grund: Ende Oktober 2005 ist er als SPD-Chef zurückgetreten, als der Parteivorstand für die SPD-Linke Nahles als neuen Generalsekretär votierte und nicht für Münteferings Kandidaten Wasserhövel. Was empfanden Sie gestern?
Andrea Nahles: Also ich sehe da einen Riesenunterschied zwischen diesen beiden Ereignissen, weil es einmal wirklich aus einer politischen Konfrontation erwachsen ist. Und hier war es wirklich eine ganz andere Entscheidung, eine persönliche Abwägung kommt an die Weggabelung, was ist das Wichtigste im Leben, und das hat Franz Müntefering für sich gestern entschieden. Insoweit, ja, war ich, ehrlich gesagt, traurig. Ich hatte auch das Gefühl, dass er selber auch ein bisschen traurig war, und ich glaube auch die gesamte SPD.
Wiese: Ich hatte eher den Eindruck, er hatte so etwas wie Erleichterung gezeigt. Erleichterung, vielleicht auch die Bürde des Amtes los zu sein, denn er hat ja in letzter Zeit wirklich wenig Freude dran gehabt. Politische Niederlagen, zum Beispiel beim SPD-Parteitag in Hamburg, als der gegen seinen Willen für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I stimmte und damit für eine Abkehr von der Agenda 2010?
Nahles: Also zum einen noch mal zur Erleichterung. Ich hab ihn nachher in der Pressekonferenz erlebt, und da hat er sich tatsächlich ...
Wiese: Darauf spielte ich an, ja.
Nahles: Ja, ja, locker auch gegeben und war wirklich sein altes Selbst und hat auch Witze gemacht. Ich habe ihn aber auch vorher erlebt in der Fraktion und auch in der kleineren Runde. Und da war das doch noch mal ein bisschen anders. Ich sag das jetzt mal so als Bericht über das, was ich gestern erlebt habe. Und für ihn war, glaube ich, der Auftritt vor der Fraktion der entscheidende und auch der schwierigste. Und die Presse kam danach, sorry, aber so ist das. Und ich glaub, da war er tatsächlich auch froh, dass er die Strecke, dass er das hinter sich gebracht hat.
Aber ich würde trotzdem dagegen mich verwehren, das so zu politisieren. Ich fand auch seine Rede auf dem Parteitag in Hamburg … ganz im Gegenteil, es war überhaupt kein Anflug von Niederlagen, sondern er war stark, er war spritzig, er hat eine Superrede gehalten, auch wenn er dieser Einzelfrage völlig anderer Meinung war, war das ein starker Vizekanzler, der sich präsentiert hat. Insoweit bewerte ich einfach diese Ereignisse ein Stück weit anders.
Wiese: Trotzdem, wenn Müntefering eine politische Niederlage erleidet, dann erleidet mit ihm auch die SPD automatisch eine politische Niederlage. Das ist nun auch letzten Endes auf dem Koalitionsausschuss passiert, keine Einigung mit der Union auf einen Mindestlohn bei der Post. Da war Müntefering bitter enttäuscht, nicht nur er, und sprach anschließend von Lobby-Politik der Kanzlerin. Da müssen doch Konsequenzen gezogen werden?
Nahles: Ja, die werden auch gezogen, nämlich in der Weise, dass Frau Merkel keinesfalls denken muss, dass jetzt das Thema Mindestlohn von der Tagesordnung der Großen Koalition verschwindet. Wir werden das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, so wurde es übrigens auch auf der Klausur der Regierung in Meseberg vereinbart, tatsächlich auch auf den Weg bringen. Und die Union wird sich darauf einstellen müssen, dass wir dort hartleibig weiter für Mindestlöhne kämpfen. Ich glaube, dass die Schonfrist für Frau Merkel wirklich vorbei ist. Sie hat sich ausdrücklich in Tarifvereinbarungen eingemischt. Sie hat Michael Glos, der aktiv im Hintergrund betrieben hat, irgendwelche Arbeitgeberverbände zu gründen, um die Tarifautonomie zu untertunneln, unterstützt oder gewähren lassen. Das sind schon harte Fakten, und da haben wir keinen Grund, jetzt an der Stelle glücklich zu sein. Im Gegenteil, ich rechne da mit noch weiteren, ernsten Auseinandersetzungen in der Großen Koalition.
Wiese: Frau Nahles, wenn Sie sagen, die Schonfrist für Frau Merkel ist jetzt vorbei, dann könnte man doch vorschlagen und sich vorstellen, dass es günstiger wäre für die SPD, dann jemanden im Kabinett auf Augenhöhe mit Frau Merkel zu haben, nämlich den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Warum geht der nicht ins Kabinett? Wäre das nicht besser?
Nahles: Augenhöhe erreichen wir auch mit Frank-Walter Steinmeier und auch Olaf Scholz. Da mache ich mir keine großen Gedanken. Kurt Beck entscheidet souverän selber, wann er wie wo sich einbringt. Er ist Regierungschef, also auch in einer Regierungsverantwortung und zwar Alleinregierung in Rheinland-Pfalz. Und er kann da nicht von heute auf morgen einfach alles stehen und liegen lassen. Die Situation war ja jetzt sehr kurzfristig aufgetreten. Er wird das selber definieren. Er hat auch in der jetzigen Position als Parteivorsitzender alle Möglichkeiten, die Geschicke der Bundespolitik mitzugestalten, insbesondere in Kombination eben mit Frank-Walter Steinmeier jetzt als neuem Vizekanzler. Ich denke, das ist eigentlich eine kluge Entscheidung von ihm, und ich unterstütze das ausdrücklich.
Wiese: Sie selbst als Linke, Frau Nahles, können mit der derzeitigen Politik der Großen Koalition nicht zufrieden sein. Das geht gar nicht, und besonders auch nicht mit der Rolle Ihrer eigenen Partei, der SPD, darin, die wird ja gewissermaßen gejagt von der CDU, von der Union. Kein Mindestlohn bei der Post, keine Einigung bei der Bahnprivatisierung, der SPD laufen die Wähler weg, und von links wird sie von Lafontaine unter Druck gesetzt. Wie soll das geändert werden? Was muss sich ändern, damit die SPD wieder aktiv, wieder initiativ wird?
Nahles: Uihuihui, Sie malen aber hier schwarz! So sehe ich das nicht. Ich bin tatsächlich, unabhängig ob links oder rechts, einfach als Sozialdemokrat mit der Großen Koalition und ihren Ergebnissen derzeit nicht zufrieden. Das bezieht sich vor allem auf die Frage Mindestlohn, andererseits hat die SPD und Kurt Beck erreicht auch, dass wir eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I erhalten, ohne dass dafür andere, Jüngere oder Frauen benachteiligt werden, was der Vorschlag von Jürgen Rüttgers gewesen ist. Das sehe ich als Erfolg. Insoweit ist die Bilanz, die Sie hier aufzeigen, auch des Koalitionsausschusses, für mich nicht ganz so harsch.
Trotzdem ist es so, dass wir da besser werden müssen in der Großen Koalition, die Leute erwarten das auch. Wir müssen den gesamten Niedriglohnbereich neu organisieren. Ich denke, dass Olaf Scholz hier die Grundidee von Franz Müntefering aufgreifen wird, dass wir wirklich versuchen, die unteren Einkommensgruppen besser zu stellen, auch die Kinderarmut in den Fokus zu nehmen und zu bekämpfen. Es sind auch Themen, wo ich spüre, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter uns steht, und insoweit kann es da nur eins geben: beharrlich weiter zu versuchen, das durchzusetzen und die Union unter Druck zu bringen.
Wiese: Ganz kurz noch, erlebt die Große Koalition das Ende der Legislaturperiode, das reguläre?
Nahles: Ich gehe davon aus, ja.